Faktencheck zur Sendung vom 18.05.2025

Faktencheck zur Sendung am 18.05.2025
Faktencheck zur Sendung am 18.05.2025 | Bild: NDR/Thomas Ernst

Bei „Caren Miosga“ finden lebhafte Diskussionen statt, in denen die Gäste oft in schneller Abfolge verschiedenste Argumente, Statistiken und Zitate heranziehen. Es bleibt in einer Live-Talkshow nicht immer die Zeit und Möglichkeit, alle Wortbeiträge und Sachverhalte umfassend und abschließend zu klären. Die Redaktion bietet daher an dieser Stelle einen Faktencheck. Dieser dient nicht allein der Prüfung der Aussagen, sondern soll auch Hintergrundinformationen, aktuelle Entwicklungen und zusätzliche Perspektiven vermitteln.

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Sanktionen der EU  

Bei Minute 27:50 sagt CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen auf eine Frage von Caren Miosga zum angedrohten Sanktionspaket:

„(…) Zweitens ist dieses 17. Paket nicht das, was angekündigt worden ist, weil es schon vorher bearbeitet wurde. Das sollte auch gar nicht bestritten oder anders dargestellt werden. Es ist das Bemühen der Europäer, und das ehrliche, ihre Politik durchzusetzen und das ist nämlich, Druck auf Putin auszuüben, ökonomisch durch Sanktionen und durch bessere Unterstützung der Ukraine militärisch.“  

Welche Sanktionen plant die Europäische Union (EU) derzeit?  

Nachdem die EU seit Februar 2022 in insgesamt 16 Paketen Strafmaßnahmen gegen russische Personen und Organisationen sowie diverse Wirtschafts- und Handelssanktionen beschlossen hat, wurde in den vergangenen Monaten das 17. EU-Paket mit Sanktionen gegen Russland vorbereitet. Dieses soll am Dienstag (20. Mai) bei einem EU-Außenministertreffen formell verabschiedet werden. Es sieht unter anderem eine weitere Verschärfung des Vorgehens gegen die sogenannte russische Schattenflotte für den Transport von Öl und Ölprodukten vor. Zudem ist geplant, Dutzende weitere Unternehmen ins Visier zu nehmen, die an der Umgehung bestehender Sanktionen gegen Russland beteiligt sind oder die russische Rüstungsindustrie unterstützen.  

Unabhängig davon kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weitere Sanktionen an. Dies sei eine Reaktion darauf, dass Russland den Aufruf der EU und der USA zu einer vollständigen und bedingungslosen Waffenruhe in der Ukraine für 30 Tage abgelehnt habe. „Dieses Paket wird zum Beispiel Sanktionen gegen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 beinhalten", sagte von der Leyen bei einem Treffen europäischer Staats- und Regierungschefs in der albanischen Hauptstadt Tirana am vergangenen Wochenende. Zudem solle es weitere Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor und gegen Schiffe der russischen Schattenflotte umfassen sowie einen Beschluss zur Senkung des Ölpreisdeckels. Der Russlandexperte Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt dazu gegenüber unserer Redaktion: „Die Sanktionierung von Nord Stream wäre ein neuer Schritt: Bisher gibt es noch keine Sanktionen gegen Gas aus Russland.”  

 (Quellen: Tagesschau.de, 16.5.25; Presseerklärung EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen vom 16.5.2025)     

Fazit: Norbert Röttgen hat Recht. Das jetzt zur Verabschiedung vorliegende 17. Sanktionspaket wurde bereits länger vorbereitet. Als Reaktion auf die Weigerung Russlands, sich auf eine Waffenruhe einzulassen, wird nun zusätzlich ein 18. Sanktionspaket ausgearbeitet.   

Weitere Informationen:  

Zeitleiste der Sanktionspakete beim Rat der Europäischen Union  

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Lage der russischen Wirtschaft und Wirkung von Sanktionen  

Bei Minute 30:03 sagt der deutsche Diplomat und frühere deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch:

„Es wird oft so salopp gesagt, die Sanktionen bringen doch gar nichts. Der Effekt ist ungeheuer auf die russische Volkswirtschaft. Russland hat nach einem ungeheuren Wachstum durch gesteigerte Militärausgaben der vergangenen Jahre im Moment eine zivile Rezession. Russland hat eine Inflation von zehn Prozent. Die Nationalbank hat einen Leitzins, zu dem sich andere Banken Geld leihen können, von 21 Prozent. Da investiert niemand, nimmt keine Privatperson einen Kredit mehr auf. Die Inflation für Lebensmittel liegt bei über zwölf Prozent. Der Kartoffelpreis hat sich vervielfacht seit einem Jahr. Man kann ganz viele Indikatoren aufführen. Russland muss diesen Krieg finanzieren. Darauf müssen wir abzielen. Russland hat früher bis zu 50 Prozent seines Haushalts durch Einnahmen aus Öl und Gas bestritten. Da sind wir nur noch bei 27 Prozent. Was macht man? Man geht in die Reserven. Die Reserven sind zu Zweidrittel seit Kriegsbeginn aufgefressen auf Deutsch. Das ist ein Spiel auf Zeit, das hält auch Wladimir Putin nicht ewig durch.” 

Wie steht es um die russische Wirtschaft?    

Im Jahr 2024 konnte die russische Wirtschaft noch ein starkes Wachstum von 4,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) vorweisen. Für dieses Wachstum hat eine Reihe von Industriezweigen gesorgt: In erster Linie ist das die Rüstungswirtschaft, die dank der Ausgaben im russischen Militäretat boomt. Daneben hat die Automobilbranche ihren Absatz im Vergleich zum Katastrophenjahr 2023 um 50 Prozent gesteigert, die Düngemittelindustrie um 30 Prozent. Dank zunehmender Marktabschottung hat aber auch etwa der Weinanbau in Russland ein Plus von 30 Prozent erzielt.   

Doch dieses Wachstum scheint sich abzuflachen. So warnte der russische Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow bereits zu Beginn des Jahres, dass ein Abflauen des Wachstums erkennbar sei.   

Besondere Sorgen macht die hohe Inflation, sie liegt in den vergangenen Monaten stets bei rund 10 Prozent, im April laut Russischer Zentralbank bei 10,2%. Gerade die Lebensmittelpreise erhöhen sich stark, hier lag die Inflation im April bei 12,7 Prozent. Die Kartoffelpreise haben sich im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht und ein historisches Hoch erreicht. Die Zentralbank versucht seit Monaten, die galoppierende Inflation wieder einzufangen. Sie hat den Leitzinssatz auf 21 Prozent gesetzt - das höchste Niveau seit mehr als 20 Jahren.   

Der Wirtschaftswissenschaftler und Russlandexperte Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik ordnet diese Zahlen auf Nachfrage unserer Redaktion ein: „Für viele Russen waren die letzten Jahre subjektiv wirtschaftlich sehr gute Jahre, die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief und die realen Einkommen sind in den letzten Jahren stark gestiegen.“ Tatsächlich sei es so, ergänzt Kluge, dass der Anteil der Öl/Gas-Einnahmen an den föderalen Haushaltseinnahmen Russland nur noch bei 30% liegt. Dies werde von russischer Seite teilweise aber als Erfolg gesehen, denn der Haushalt werde unabhängiger von Öl und Gas.   

(Quellen: Russische Zentralbank; reuters, 7.5.2025; dpa, 18.2.2025)  

Fazit: Die Zahlen zur russischen Wirtschaft, die Rüdiger von Fritsch in der Sendung genannt hat, sind weitestgehend korrekt. Allerdings weist Russlandexperte Janis Kluge auf Nachfrage darauf hin, dass das russische Wirtschaftsmodell derzeit zwar nicht nachhaltig sei, ein Krieg aber möglicherweise länger durchzuhalten sei: „Putin kann das nicht ewig durchhalten, möglicherweise aber schon für einige Jahre. Dies hängt immer vom Ölpreis und weiteren Sanktionen ab.“  

Weitere Hintergrund-Informationen zum Thema: swp-berlin.org

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Haftbefehl gegen Benjamin Netanyahu durch den Internationalen Gerichtshof   

Bei Minute 57:46 sagt Moderatorin Caren Miosga:

„Dass zwei Millionen Menschen seit elf Wochen keinen Zugang zu Lebensmitteln haben und zu Medikamenten, bezeichnen andere Menschen als Kriegsverbrechen.”  

Bei Minute 58:03 ergänzt der Journalist und Autor Heribert Prantl:

„Das sind nicht andere Menschen, die das sagen. Das ist der Internationale Gerichtshof.”  

Welche Kriegsverbrechen werden Israel vom Internationalen Gerichtshof vorgeworfen?  

Der Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs (IStGH), Karim Khan, hatte im Mai 2024 einen Antrag auf einen Haftbefehl unter anderem gegen den israelischen Regierungschef gestellt. Am 21. November wurde diesem zugestimmt und durch den Internationalen Gerichtshof ein Haftbefehl gegen Israels Premier Benjamin Netanyahu, Ex-Verteidigungsminister Yoav Gallant und den Hamas-Anführer, bekannt unter dem Namen Mohammed Deif, erlassen.     

Der Haftbefehl gegen die beiden Israelis wird begründet mit dem Verdacht, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen verübt zu haben. Konkret sollen Netanyahu und Gallant „absichtlich und wissentlich der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wesentliche Dinge für ihr Überleben einschließlich Nahrung, Wasser sowie Medikamente und medizinische Hilfsmittel sowie Brennstoffe und Strom vorenthalten haben.”   

Israel hat Einspruch gegen die Ermittlungen und insbesondere gegen die Zuständigkeit des Gerichts eingelegt. Die Berufungskammer des IStGH hat diesem Einspruch im April teilweise stattgegeben, da sie einen Rechtsfehler in der Begründung der ersten Instanz sah. Die erste Instanz muss sich nun erneut mit der Beschwerde Israels befassen. Wann eine neue Entscheidung fällt, ist noch offen. Die Berufung hat keinen Einfluss auf den internationalen Haftbefehl gegen den israelischen Premier Netanyahu, dieser hat weiterhin Bestand.    

(Quellen: Tagesschau.de, 21.11.2024; Deutschlandfunk, 25.04.2025)    

Fazit: Heribert Prantls Aussage ist korrekt. Der israelischen Regierung wird vom Internationalen Gerichtshof vorgeworfen, Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen begangen zu haben und zu begehen. Dabei sind konkret die Blockade von Lebensmitteln und Medikamenten gemeint.   

Weitere Hintergrund-Informationen zum Thema: 

tagesschau.de

lto.de

Stand: 19.05.2025