SENDETERMIN So., 21.04.24 | 21:45 Uhr | Das Erste

Wofür steht die AfD, Herr Chrupalla?

PlayZwischen Kreml-Nähe und Rechtsextremismus – wofür steht die AfD?
Wofür steht die AfD, Herr Chrupalla? | Video verfügbar bis 21.04.2025 | Bild: AfD

Die AfD ist laut Umfragen stark wie selten zuvor. Bei den Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg könnte sie in allen drei Bundesländern die meisten Stimmen erhalten. Zugleich sieht sich die Partei Vorwürfen ausgesetzt, Sprachrohr für Russlands Propaganda zu sein und Rechtsextremismus Vorschub zu leisten. Wie nah ist die Partei Russland tatsächlich? Welche Folgen haben die rechtsextremen Äußerungen?

Caren Miosga diskutiert mit Ihren Gästen zudem über die Frage, wie die Pläne der Partei für den Wirtschaftsstandort Deutschland aussehen und welche Auswirkungen ihre Positionen auf die Unternehmen vor Ort jetzt schon haben.

Tino Chrupalla

Tino Chrupalla, Bundessprecher und Fraktionsvorsitzender AfD
Tino Chrupalla, Bundessprecher und Fraktionsvorsitzender AfD | Bild: AfD

Der Malermeister aus Sachsen ist seit 2019 Bundessprecher der AfD und führt seit 2022 zusammen mit Alice Weidel die Partei. Momentan wird die AfD mit vielen Vorwürfen konfrontiert: Ihre Spitzenkandidaten für die Europawahl stehen im Verdacht, Gelder aus Kreml-nahen Quellen bekommen zu haben. Außerdem streitet die AfD vor Gericht gegen die Einordnung des Verfassungsschutzes als “rechtsextremer Verdachtsfall”. Vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegt Chrupallas Partei in den meisten Umfragen ganz vorne und könnte zum ersten Mal in Regierungsverantwortung kommen.

Nadine Lindner

Nadine Lindner, Journalistin Deutschlandradio
Nadine Lindner, Journalistin Deutschlandradio

Die Hörfunkjournalistin von Deutschlandradio erlebte vor zehn Jahren als Landeskorrespondentin in Sachsen den Einzug der AfD in den ersten Landtag und hat die Entwicklung der Partei seitdem journalistisch begleitet. Sie sieht die AfD trotz guter Umfragewerte vor einem Dilemma: Könnte die Partei mehr als nur Opposition? Ihre politischen Konzepte für Wirtschaft und Gesellschaft hält Lindner für unbrauchbar. Aber womöglich geht es der AfD auch gar nicht darum, Probleme zu lösen, sondern sie nur zu benennen. Lindner sieht das zentrale Konzept der Partei darin, die Verunsicherung in der Bevölkerung in Wut und Ablehnung des demokratischen Systems mit seinen Repräsentanten zu verwandeln.

Joe Kaeser

Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender Siemens Energy AG
Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender Siemens Energy AG

Der frühere Siemens-Chef und heutige Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens Energy AG warnt beharrlich vor dem wachsenden Einfluss der politischen Rechten. Wer die AfD wähle, entscheide sich für den Verlust des deutschen Wohlstands. Investoren und Fachkräfte im Ausland hörten genau hin, was deren Politiker sagten. Sein lautes Warnen begründet der Industriemanager auch mit der deutschen Geschichte: „Nach 1933 gab es eine Zeit, in der die wirtschaftliche und gesellschaftliche Elite noch Position gegen den Kurs des Nazi-Regimes hätte beziehen können. Damals haben die meisten geschwiegen, und diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen.“

Nachgehakt
Zur Sendung vom 21. April 2024

Bürgergeld für Geflüchtete? 

Tino Chrupalla sagte in der Sendung: 

„Was Fachkräfte angeht, hat man uns seit 2015 erzählt, es kämen Fachkräfte. Es sind mittlerweile seitdem über 10 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen. Viele sind wieder gegangen, aber viele sind auch hiergeblieben. Aber es waren wenige Fachkräfte dabei, so ehrlich muss man sein und deswegen haben wir auch ein riesiges Migrationsproblem in Deutschland. Die meisten sind ins Bürgergeld eingewandert und in unsere Sozialsystem. Das ist der Pull-Faktor, weil sich eben Arbeit ein Stückweit auch nicht mehr lohnt.“ 

Sind seit 2015 mehr als 10 Millionen nach Deutschland eingewandert, wie viele davon sind geblieben? 

Die Gesamtzahl der Asylanträge im Zeitraum 2015 bis 2023 betrug laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2.705.701. 

Laut Statistischen Bundesamt (BAMF) lebten zum Stichtag 31.12.2023 insgesamt etwa 3,1 Millionen Schutzsuchende in Deutschland (aus der Ukraine Geflüchtete sind in dieser Zahl inbegriffen). Rund 2,25 Millionen von ihnen verfügten über einen humanitären Aufenthaltstitel, also einen anerkannten Schutzstatus. Aus der Ukraine Geflüchtete: 1.149.951,, 1.110.855 von ihnen sind ukrainische Staatsbürger*innen. (Quelle: Ausländerzentralregister AZR / Stand 16.03.24) 

Bekommen Geflüchtete unmittelbar Bürgergeld? 

Nein. Asylbewerber erhalten rund 18 Prozent weniger Sozialhilfe als Deutsche, bzw. Geflüchtete aus der Ukraine. Erst wenn sie als Geflüchtete anerkannt werden, erhalten sie Bürgergeld in voller Höhe. (Quelle: Mediendienst Integration, 1.2.2024) 

Anders ist es bisher bei den Geflüchteten aus der Ukraine geregelt, sie können unmittelbar Bürgergeld beziehen, wenn sie anspruchsberechtigt sind. Dies ist in der EU-Massenzustrom-Richtlinie begründet, die auf europäischer Ebene am 4. März 2022 aktiviert wurde. Das bedeutet: Ukrainische Geflüchtete müssen in Deutschland und allen anderen EU-Ländern kein herkömmliches– üblicherweise langwieriges und bürokratisches – Asylverfahren durchlaufen. Stattdessen bekommen sie automatisch einen Aufenthaltsstatus. (Quelle: Mediendienst Integration, Februar 2024)

Wie viele Flüchtlinge sind in Arbeit oder beziehen Bürgergeld? 

Laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit beziehen 5,46 Millionen Menschen in. Deutschland Bürgergeld (Stand: Dezember 2023). 2,61 Millionen der Leistungsbezieher sind ausländischer Herkunft. Davon kommen 710.967 aus der Ukraine und 921.323 aus Asyl-Herkunftsländern wie Syrien und Afghanistan. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass von den ausländischen Bürgergeld-Empfängern immerhin 760.305 Menschen nicht erwerbsfähig sind, das heißt sie können nicht arbeiten, etwa aufgrund ihres Alters (unter 15 Jahre alt) oder aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation.

 Veröffentlichungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen zudem, dass die Erwerbstätigenquoten der Geflüchteten unmittelbar nach ihrer Ankunft in Deutschland gering sind, beispielsweise während der Zeiträume, in denen sie zum Teil noch Beschäftigungsverboten unterliegen oder sich in Asylverfahren befinden; sie steigen dann aber mit zunehmender Aufenthaltsdauer. So belaufen sich die Erwerbstätigenquoten im ersten Jahr nach dem Zuzug auf 7 Prozent, steigen sechs Jahre nach dem Zuzug auf 54 Prozent und auf 62 Prozent sieben Jahre nach dem Zuzug. Im Befragungsjahr 2021 erreichen auch die 2015 zugezogenen Geflüchteten eine Erwerbstätigenquote von 54 Prozent (Quelle: IAB-Kurzbericht, 13/2023). 

Sind Sozialleistungen wie das Bürgergeld relevante Anreize (Pull-Effekte) für Migration? 

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellte 2023 in einer Untersuchung fest: „Der größte Teil der wissenschaftlichen Literatur stellt meist keinen Effekt von Veränderungen sozialer Leistungen auf die irreguläre Zuwanderung fest. Es gibt jedoch wichtige Ausnahmen, und zu diesen gehört eine Studie von drei Ökonom*innen der US-amerikanischen Princeton University aus dem Jahr 2019. Die Verfechter*innen der Kürzung sozialer Leistungen haben zuletzt auf diese Studie verwiesen, die eine recht radikale Kürzung von Leistungen um 50 Prozent im Juni 2002 in Dänemark untersucht. Demnach hatte diese Kürzung die Zuwanderung um 3,7 Prozent oder 5 000 Menschen reduziert. Kritik an der Studie wurde aber auch mit Blick darauf laut, dass sie wichtige Push-Faktoren – etwa die Fluchtursachen in den Heimatländern – und andere Faktoren ignoriere. (...) Und selbst wenn man den Effekt in Höhe von 3,7 Prozent für Deutschland als realistisch betrachtet, so wäre dies angesichts von insgesamt 3,1 Millionen Schutzsuchenden, die heute bei uns leben, lediglich ein sehr kleiner Rückgang der Zuwanderung.” (Quelle: DIW-Wochenbericht, 45/2023

Fazit:

Anders als Tino Chrupalla in der Sendung sagte, sind seit 2015 nicht mehr als 10 Millionen Menschen als Geflüchtete nach Deutschland gekommen, insgesamt gab es in den Zeitraum rund 2,7 Mio. Asylanträge, zusätzlich kamen etwas mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland. Derzeit beziehen etwa 1,6 Millionen Menschen, die aus Asylherkunftsländern wie Syrien und Afghanistan oder als Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine gekommen sind, Bürgergeld. Studien zeigen, dass mit zunehmender Aufenthaltsdauer auch die Zahl der Erwerbstätigen deutlich steigt. Ob Sozialleistungen ein Pull-Faktor darstellen, wie Chrupalla behauptet, ist zumindest stark umstritten. 

Geburtenrate 

Caren Miosga sagte in der Sendung: “Dritter Punkt, Kinder kriegen. Die Deutschen sollen viel mehr Kinder kriegen. Im Moment bekommen wir 1,5 Kinder pro Frau.” 

Tino Chrupalla widerspricht und sagt: “1,3.” 

Wie hoch liegt die Geburtenrate aktuell? 

Caren Miosga bezog sich in der Sendung auf eine Angabe des Statistischen Bundesamtes. Demnach lag die Geburtenrate im Jahr 2022 bei 1,46 Kindern pro Frau, aufgrundet also 1,5.

Eine im März veröffentlichte Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigt, dass die Geburtenrate in Deutschland innerhalb der vergangenen beiden Jahre deutlich zurückgegangen ist. Lag sie im Sommer 2022 noch bei 1,5 Kinder pro Frau, ist sie im Jahr 2023 nach vorläufigen Berechnungen im Durchschnitt der Monate Januar bis November auf 1,36 gefallen. Sie liegt damit auf dem tiefsten Stand seit 2009. 

Als Ursache gelten für die Forscher die multiplen Krisen: Der Krieg in der Ukraine, die gestiegene Inflation oder auch der fortschreitende Klimawandel haben die Menschen zusätzlich zur Pandemie verunsichert. In einer solchen Zeit multipler Krisen setzen viele ihren Kinderwunsch nicht um“, vermutet Prof. Dr. Martin Bujard vom BiB, Mitverfasser der Studie. (Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, PM vom 20.3.24

Fazit:

Die Zahl, die Caren Miosga nannte, stammt aus dem Sommer 2022. Aktuell liegt die aktuelle Zahl, angegeben für den Schnitt des Jahres 2023, bei nur 1,36 Kindern pro Frau.  

Stellungnahme der AfD-Ostvorsitzenden zur Debatte um den Begriff Remigration 

Nadine Lindner sagte in der Sendung: „Sie müssen sich dazu die Erklärung der Fraktionsvorsitzenden Ost durchlesen, die dann gipfelt in dem Begriff „Deutschland muss deutsch bleiben“  

Was steht tatsächlich im Papier? 

Die Stellungnahme der Fraktionsvorsitzenden der ostdeutschen AfD-Landesverbände vom 15.01.24 befasst sich inhaltlich mit der Wahl des Wortes „Remigration“ zum Unwort des Jahres.  

Fazit:

Das Schlussfazit des Textes ist die Forderung „Deutschland muss wieder deutscher werden“. Diese Formulierung ist semantisch sogar noch schärfer, als von Nadine Lindner zitiert. Die Forderung der AfD-Fraktionsvorsitzenden Ost nach einem als „deutscher“ empfundenen Deutschland setzt voraus, dass dieses zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits nicht mehr als „deutsch genug“ erlebt wird, um „deutsch zu bleiben“ zu können. (Quelle: Stellungnahme der Fraktionsvorsitzenden Ost vom 15.01.2024)

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