So., 18.05.25 | 21:45 Uhr
Das Erste
Putin versetzt Selenskyj – und Europa schaut zu?
Die in Istanbul gestarteten ersten bilateralen Gespräche seit 2022 über einen Weg zu einer Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine finden ohne deren Präsidenten Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj statt. Putin war im Gegensatz zu Selenskyj nicht in die Türkei gereist. Gleichzeitig erhöht Europa den Druck. Nach dem Gipfel in Kiew mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und den Regierungschefs von Großbritannien und Polen, Keir Starmer und Donald Tusk, und Bundeskanzler Friedrich Merz drohen die vier mit neuen EU-Sanktionen, sollte kein Fortschritt erzielt werden. Gibt es neue Hoffnung auf ein Ende der Kämpfe? Entscheidet das Verhältnis von US-Präsident Donald Trump zu Putin über das Schicksal der Ukraine? Und welche Rolle übernimmt Deutschland – mit einer Bundeswehr, die Merz zur „konventionell stärksten Armee Europas“ machen will – künftig in Europas Sicherheitsordnung?
Norbert Röttgen

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hält Putins Verhandlungsofferte für ein Ausweichmanöver, lobt jedoch die ukrainische und europäische Reaktion darauf. Dass man sich sofort auf das Angebot einließ, habe Putin zum ersten Mal seit Jahren ernsthaft unter Druck gesetzt, da deutlich werde, dass dieser seinen eigenen Vorschlag nicht befolgt. Aus dieser Situation heraus hofft Röttgen, Trump auf Europas Seite ziehen zu können. Für Deutschlands Verteidigungsfähigkeit gilt unterdessen aus Röttgens Sicht: „Wir wollen und müssen militärisch stark werden, um den Frieden wiederherzustellen und Sicherheit zu gewährleisten“. Dieser Zusammenhang müsse immer unterstrichen werden, so der Außenpolitiker.
Claudia Major

Die Politikwissenschaftlerin ist seit März diesen Jahres Vizepräsidentin für Transatlantische Sicherheitsinitiativen beim German Marshall Fund. Sie bezweifelt, dass Russland aktuell zu echten Friedensverhandlungen bereit ist, da Putin seine politischen Ziele nicht aufgegeben habe. Die russischen Gesprächsangebote sieht sie als taktisches Mittel zur Verzögerung und Spaltung des Westens. Major fordert ein sofortiges europäisches Aktionsprogramm zur Stärkung der Ukraine sowie der eigenen Verteidigungsfähigkeit. Sanktionen allein reichten nicht aus. Sie warnt zudem vor der unberechenbaren Haltung der USA unter Donald Trump und betont die Bedeutung eines geschlossenen transatlantischen Auftretens.
Rüdiger von Fritsch

Der ehemalige Botschafter in Moskau warnt vor einer Überschätzung symbolischer Treffen und betont, dass Russland seine Kriegsziele unverändert verfolgt. Er kritisiert Trumps zynische, von Geschäftsinteressen geleitete Haltung und sieht die Gefahr, dass die Ukraine im Falle eines Deals zwischen Trump und Putin geopfert werden könnte. Die russische Führung ist aus seiner Sicht zu keinerlei echten Kompromissen bereit, sondern verfolgt weiterhin das Ziel eines Sieges und der Schwächung des Westens. Nachdem der Diplomat von Fritsch im Sommer 2019 in den Ruhestand verabschiedet wurde, ist er als Partner bei "Berlin Global Advisors", einer Unternehmensberatung für Geopolitik und Government Affairs, tätig.
Heribert Prantl

Der Kolumnist und ehemalige Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung verteidigt die Bemühungen der europäischen Staatschefs, einen neuen Dialog zwischen den Konfliktparteien zu initiieren. Er sieht das Treffen in Istanbul als einen möglichen Beginn eines Friedensprozesses und begrüßt die Gespräche. Prantl fordert ein Abrüsten bei der Rhetorik gegenüber Russland und plädiert für eine “Friedenstüchtigkeit” der deutschen Politik und Gesellschaft. Annäherung beginne zuerst mit einer ausgestreckten Hand und die müsse der Westen trotz aller Verurteilung von Putins Aggression immer noch beibehalten.