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Terror im Netz, Leben mit dem Krieg: Israel nach dem 7. Oktober

PlayIsrael Demonstration
Leben mit dem Krieg: Israel nach dem 7. Oktober | Bild: picture alliance / Ilia Yefimovich

Als die Hamas-Terroristen am Morgen des 7. Oktober Israel überfielen, kamen sie nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Kameras: Per Helmkamera oder Smartphone filmten sie sich beim Morden von Frauen, Kindern, Familien, verbreiteten Bilder ihrer Massaker über Telegram und sogar über die Facebook-Profile ihrer Opfer. Es war der Beginn eines Krieges, der auch zu einem "Krieg der Bilder" wurde: Die Hamas, so Medienforscher, nutze Social Media in bislang ungekannter Weise als Teil ihrer psychologischen Kriegsführung. Israelische Aktivisten und Kulturschaffende antworten auf ihre Weise: Achiya Schatz kämpft mit seiner Organisation FakeReporter gegen Desinformation und antisemitische Hetze im Netz. Nach den Angriffen der Hamas hat er nun eine neue Online-Plattform geschaffen – "digital-dome.io": "So, wie wir einen Iron Dome gegen Raketen haben, brauchen wir einen Digital Dome gegen Angriffe im Netz." Und eine Gruppe von Filmemachern um Eliran Peled hat für das Projekt #BringThemHomeNow mit Angehörigen der von der Hamas verschleppten Geiseln gesprochen und diese in kurzen Web-Clips porträtiert. "ttt" hat beide in Tel Aviv getroffen – Stimmen aus einer Stadt im Krieg.

Social Media als Teil psychologischer Kriegsführung

Achiya Schatz, Gründer der Organisation "FakeReporter"
Achiya Schatz, Gründer der Organisation "FakeReporter" | Bild: Das Erste

Die Terroristen der Hamas, die am Morgen des 7. Oktober in Israel einfielen, kamen mit Maschinengewehren, Granaten – und Kameras. Fast in Echtzeit verbreiteten sie ihre Aufnahmen im Netz. Es war Teil ihres Auftrags: Nicht nur zu töten, zu foltern, zu verschleppen. Sondern auch zu filmen, "so viel wie möglich". So stand es explizit in den Anweisungen, die die Hamas ihnen für ihre Massaker mitgab. "Zu den Anweisungen der Hamas gehörte es auch, sich die Telefone ihrer Opfer zu nehmen und diese Telefone zu benutzen. Damit Bilder ihrer Verbrechen zu posten und so den Terrorangriff auch ins Netz zu tragen. Ich glaube, genau so funktioniert Terror: Terror ist eine Strategie, Angst zu verbreiten in der Öffentlichkeit. Sie haben nicht angegriffen, um Gebiete zu erobern, sie wussten, dass das unmöglich ist. Sie wollten einfach so viel Zerstörung, Angst, Panik verursachen, wie möglich. Dieser Angriff fand in der realen Welt statt, aber auch in der virtuellen. Und in vielerlei Hinsicht war Israel weder hier noch da darauf vorbereitet", so Achiya Schatz, Aktivist "FakeReporter".

Online-Plattform spürt Desinformation im Netz auf

Achiya Schatz kämpft gegen Desinformation und antisemitische Hetze im Netz
Achiya Schatz kämpft gegen Desinformation und antisemitische Hetze im Netz | Bild: Das Erste

Achiya Schatz hat vor drei Jahren in Tel Aviv die Organisation "FakeReporter" gegründet, die Fake News und Desinformation im Netz aufspürt. Doch das reicht seit Kriegsbeginn nicht mehr aus. Denn so wie mehrmals täglich die Sirenen vor den Angriffen der Hamas warnen und der Schutzschirm "Iron Dome" ihre Raketen vom Himmel holt, so haben sich auch die Angriffe im Netz intensiviert. Deshalb haben sie mit Programmierern aus ganz Israel eine neue, offene Plattform erschaffen, auf der Menschen mögliche Falschnachrichten, Verschwörungstheorien, antisemitische Hetze prüfen lassen können. "Die Online-Welt ist ein Schlachtfeld in diesem Krieg. Und sie ist ein Schlachtfeld ohne Grenzen, ohne Schutz, auf dem es noch leichter ist, Angst zu verbreiten. Nicht nur jetzt, sondern fortwährend. Weil diese grausamen Videos zum Beispiel bleiben, uns immer wieder begegnen. Das sind auch Waffen, die uns verletzen. Deshalb haben wir diese Plattform geschaffen, die uns – wie der Iron Dome – vor diesen virtuellen Raketen schützen soll", erzählt Achiya Schatz.

Das Trauma des 7. Oktober

Im Zentrum Tel Avivs hängen Plakate mit Gesichtern der verschleppten Geiseln
Im Zentrum Tel Avivs hängen Plakate mit Gesichtern der verschleppten Geiseln | Bild: Das Erste

Israel, drei Wochen nach Kriegsbeginn. Die Straßen in Tel Aviv stiller, leerer als sonst. Ein Land unter Schock. Das Trauma des 7. Oktober: Auch hier, in unserem Land, sind wir Juden nicht sicher. Immer noch sind über 200 Menschen verschwunden, verschleppt von der Hamas. Im Zentrum Tel Avivs schauen einen ihre Gesichter von Plakaten und selbstgedruckten Zetteln an.

#BringThemHomeNow setzt den Gewalt-Videos der Hamas das Leben entgegen

Filmemacher Eliran Peled
Filmemacher Eliran Peled  | Bild: Das Erste

Auch im Netz kann man sie sehen. Angehörige erzählen von ihren vermissten Töchtern, Brüdern, Vätern und Müttern. Jeder der einmütigen Filme endet mit dem Satz: "Bring them home! Bringt sie nach Hause!" Es ist das Projekt einer Gruppe von Filmemachern um Eliran Peled. Sie wollen Aufmerksamkeit für die Geiseln schaffen. Und sie wollen den sadistischen Gewalt-Videos der Hamas das Leben entgegensetzen. "Als wir mit unserem Projekt anfingen, war uns schnell klar, dass unsere Filme das Gegenteil dieser Videos sein sollen: Wir möchten nicht den Horror zeigen, sondern die Menschen. Wir möchten ihren Geschichten Platz geben, ihren Gesichtern, den kleinen Dingen, die einen Menschen ausmachen. Es sind persönliche Geschichten, es könnte deine Großmutter sein, deine Schwester, dein Bruder", erzählt Filmemacher Eliran Peled.

Angehörige der verschleppten Geiseln erzählen ihre Geschichten

Filmprojekt #BringThemHomeNow zeigt Kurzporträts von Angehörigen der von der Hamas verschleppten Geiseln
Filmprojekt #BringThemHomeNow zeigt Kurzporträts von Angehörigen der von der Hamas verschleppten Geiseln | Bild: BringThemHomeNow

Einer der Vermissten ist Ronen Engel. Zusammen mit seiner Frau und zwei Töchtern wurde er von der Hamas verschleppt. Sein Bruder erzählt, wie er davon erfuhr: "Gegen 12 öffne ich Ronens Facebook-Seite und ich sehe auf seiner Facebook-Seite einen abscheulichen Terroristen, der in die Kamera lächelt und etwas auf Arabisch sagt. In dem Moment breche ich zusammen." Die Terroristen hatten seinen Facebook-Account gekapert und gefilmt, wie sie ihn misshandelten. Oft bringt die Arbeit an diesen Filmen auch Eliran Peled an seine Grenzen. "Wir haben auch einen jungen Mann interviewt, der uns von seiner Frau erzählte – ich fühlte mich ihm nahe, weil wir ähnlich alt sind und ich auch gerade Vater geworden bin. Sie haben ein 6 Monate altes Baby und sie ist das erste Mal seit der Geburt wieder ausgegangen, zu der Party in der Wüste. Er dachte, sie wäre entführt worden. Und dann, als wir schon im Schnitt saßen, bekam er einen Anruf. Man hatte ihre Leiche gefunden", so Eliran Peled.

Ein Krieg der Bilder

Achiya Schatz gründet Online-Plattform gegen Desinformation im Netz
Achiya Schatz gründet Online-Plattform gegen Desinformation im Netz | Bild: Das Erste

Vier Geiseln hat die Hamas bislang freigelassen, vier von über 200. Die Verschleppten sind ihr größtes Pfand in diesem Krieg, der längst auch ein Krieg der Bilder geworden ist. Am Abend des 17. Oktober beschuldigt die Hamas Israel, ein Krankenhaus angegriffen zu haben, spricht von 500 Toten. Die New York Times und andere große Medien übernehmen die Darstellung zunächst. Später stellt sich heraus, dass es eine Explosion auf dem Parkplatz neben dem Krankenhaus gab. Israel präsentiert Indizien, dass eine fehlgeleitete Rakete einer islamistischen Gruppe die Explosion verursachte. "Dass traditionelle Medien die Darstellung der Hamas übernommen haben, zeigt, dass wir noch nicht verstanden haben, wie soziale Medien funktionieren und dass sie die traditionellen Medien schon bestimmen. Die Lüge ist so viel schneller als die Wahrheit. Die Wahrheit ist kompliziert und vielfältig. Um sie zu finden, braucht es Zeit. Aber diese Zeit müssen wir uns nehmen. Wenn unbestätigte Informationen aus ungeprüften Quellen weiterverbreitet werden, wie im Falle des Krankenhauses, haben wir ein Problem", so Achiya Schatz.

"Wir brauchen einen Konsens darüber, was menschlich ist und was unmenschlich"

Israel nach dem 7. Oktober
Israel nach dem 7. Oktober | Bild: Das Erste

Die Bilder, die von diesem Krieg in die Welt gehen, haben Auswirkungen auf die Welt. Dass die Hamas bei vielen im Westen noch immer als antikolonialistische Freiheitsbewegung gilt, lässt Eliran Peled verzweifeln. Warum, fragt er, seht Ihr nicht die Bestialität ihrer Massaker, das zynische Kalkül, durch Terror jede Annäherung zwischen Palästinensern und Israelis zu verhindern? Warum interessiert Ihr Euch nicht für das Schicksal der Verschleppten? "Ehrlich gesagt: Es ist völlig egal, ob du Israel magst oder nicht magst: Wenn ein 9 Monate altes Baby entführt wird und du das für okay hältst, dann haben wir ein ganz anderes Problem. Ich glaube, die Welt muss verstehen, dass das Schicksal der Geiseln keine politische Tragödie ist, sondern eine menschliche. Du kannst über Politik denken, was du willst. Aber wir brauchen einen Konsens darüber, was menschlich ist und was unmenschlich", so Eliran Peled.

Autorenschaft: Tim Evers, Sarah Stricker 

Stand: 29.10.2023 20:14 Uhr

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