SENDETERMIN So., 03.09.23 | 23:35 Uhr | Das Erste

Skulptur von zweifelhafter Herkunft

Handelt es sich bei einer weltberühmten Riemenschneider-Madonna in einem Museum in Washington um Nazi-Raubkunst?

PlayRiemenschneider-Madonna
Skulptur von zweifelhafter Herkunft  | Video verfügbar bis 03.09.2024 | Bild: Das Erste

Was Albrecht Dürer für die Malerei, das ist Tilman Riemenschneider in der Bildhauerei. Das Museum "Dumbarton Oaks" in Washington beherbergt von ihm eine Madonna unter dem Namen "Jungfrau mit dem Kind auf einer Mondsichel". Bei den Museumsangaben zur Herkunft dieser Madonna allerdings kommen Fragen auf: Dort steht, dass diese Madonna einem Siegfried Lämmle "vor 1935" in München gehört habe. Siegfried Lämmle war ein bekannter Kunsthändler, der 1938 in letzter Not aus Deutschland fliehen konnte. Am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München hat man vor 2 Jahren einen brisanten Aktenfund gemacht: Lämmle hat diese Madonna ganz offenbar unter Zwang 1936 an einen "arischen" Kunsthändler verkauft, zuvor hatte er als Jude Berufsverbot erhalten. Der "arische" Käufer verkaufte sie weiter und so fand sie den Weg in die USA und schließlich in das Museum "Dumbarton Oaks". Die Forscher in München sind davon überzeugt, dass es sich bei dieser Madonna in Washington um NS-Raubkunst handelt. Und sie haben ihre Kollegen im Museum in Washington, das zu der renommierten Harvard-Universität gehört, sofort über ihren brisanten Aktenfund informiert. Aber in Washington wird diese Information lediglich an die Anwälte weitergegeben, zur Sache selbst schweigt Dumberton Oaks seit 2 Jahren. "titel thesen temperamente" ist jetzt dieser Madonna auf der Spur und erzählt einen spannenden Kunstkrimi.

Auf den Spuren der weltberühmten Riemenschneider-Madonna

Kunstfahnder und Historiker Willi Korte
Kunstfahnder und Historiker Willi Korte | Bild: Das Erste

Die Jungfrau mit dem Kind auf einer Mondsichel. Geschnitzt aus Lindenholz. Von Tilman Riemenschneider. Weltbekannter deutscher Künstler der Spätgotik. Diese Madonna steht seit 1940 in Washington in einem Museum, das der Harvard-Universität gehört. Es gibt nur diese wenigen Fotos von ihr. Das Museum schreibt auf seiner Homepage, dass diese Madonna "vor 1935" einem Siegfried Lämmle in München gehörte. Das soll harmlos klingen. Die Realität sah anders aus: Der bekannte Kunsthändler Siegfried Lämmle war Jude. Für ihn galten seit September '35 die Nürnberger Rassegesetze. Lämmle musste diese Madonna am 3. Januar 1936 verkaufen. "Also diese Angabe vor '35' die ist ja nicht nur falsch, sondern ist ja vor allem irreführend. Sie schafft ja ganz offensichtlich ein Bild, das in die Richtung geht: Das ist unproblematisch", so Kunstfahnder und Historiker Willi Korte. Aber nichts ist unproblematisch. Die Madonna ist Nazi-Raubkunst und sie wurde aus Deutschland in die USA geschmuggelt.

Lämmles Existenz wird zerstört

Siegfried Lämmle mit Bruder Carl Laemmle und Walter
Siegfried Lämmle mit Bruder Carl Laemmle und Walter Lämmle | Bild: © Museum zur Geschichte von Christen und Juden, Laupheim

Bilder aus sorglosen Zeiten: 1925, Siegfried Lämmle, groß gewachsen, mit Vollbart in seiner Geburtsstadt Laupheim. Zusammen mit Sohn Walter, links im Bild, und dem Bruder Carl Laemmle, der schon 1884 in die USA emigriert war. Er hatte in Hollywood die "Universal-Studios" gegründet und ließ beim Familienbesuch in Deutschland diese Bilder drehen. 10 Jahre später wurde Lämmles Existenz zerstört: Am 29. August 1935 erhielt seine Kunsthandlung dieses Schreiben vom Präsidenten der "Reichskammer der Bildenden Künste". "Auf Grund des (...) Reichskulturkammergesetzes vom 1. November 1933 (...) untersage (ich) Ihnen die weitere Ausübung des Berufes als Kunst- und Antiquitätenhändler." Siegfried Lämmle musste seine riesige Sammlung auflösen. Er war gezwungen, alles zu verkaufen und es musste schnell gehen, er hatte nur wenige Monate Zeit dafür. Das lockte deutsche Museen und Kunsthändler an, die zu Schnäppchenpreisen zugriffen. Nach wenigen Monaten war Lämmle am Ende. Er begann Familienstücke zu verkaufen, die er eigentlich niemals in den Handel bringen wollte. Mit dabei jene Madonna von Tilman Riemenschneider.

Wo kommt das Kunstwerk her?

Provenienzforscher Dr. Stephan Klingen
Provenienzforscher Dr. Stephan Klingen | Bild: Das Erste

München, Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Einer der wichtigsten Orte in Deutschland für Provenienzforschung, für die Frage: Wo kommt ein Kunstwerk her. Die Wissenschaftler um Prof. Fuhrmeister sind wahre Aktenfresser. Seit einigen Jahren graben sie sich durch den Firmennachlass des Kunsthauses Böhler. Ein Unternehmen, das ebenfalls bei Lämmle zugeschlagen hatte. Vor 2 Jahren machte Dr. Stephan Klingen dort einen brisanten Fund: Eine Karteikarte bewies, dass Lämmle seine Madonna am 3. Januar 1936 an das Kunsthaus Böhler für 20.000 Reichsmark verkaufte. Für Klingen und Kollegen ist der Fall damit klar: Nazi-Raubkunst. "Wir wissen aus anderen Projekten, dass die Zwangsverkäufe, die Lämmle getätigt hat, schon häufig zu Restitutionen geführt haben. Der Name Lämmle reicht eigentlich für jeden Provenienzforscher oder sollte eigentlich für jeden Provenienzforscher ausreichen, um alle Alarmglocken klingeln zu lassen", erklärt Provenienzforscher Stephan Klingen.

Seit 2 Jahren keine Stellungnahme des Museums

Klingen und seine Kollegen geben ihre Informationen sofort weiter nach Washington. Aber von dort kommt nur eine dürre Antwort: 'Vielen Dank, wir leiten die Information an unsere Anwälte weiter' lässt Museumsdirektor Prof. Thomas Cummins ausrichten. Seit 2 Jahren aber herrscht Funkstille. "Also zumindest haben sie die Erkenntnisse, die schwer zu widerlegen sind, nicht eingearbeitet in die Provenienz und haben auch dazu keine Stellung genommen", so Klingen.

Kunstfahnder Willi Korte erhält keine Recherche-Erlaubnis im Museum

Kunstfahnder und Historiker Willi Korte
Kunstfahnder und Historiker Willi Korte | Bild: Das Erste

An dieser Stelle tritt Willi Korte in die Geschichte ein. Ein international bekannter und bei Museen immer auch etwas gefürchteter Kunstfahnder. Er stand mit Lämmles Erben in den USA in Kontakt, erzählte ihnen vom Fund der Karteikarte in München und bat im Museum in Washington, um Recherche-Erlaubnis. "Und da habe ich erstmal lange keine Antwort bekommen. Und dann habe ich eine Antwort bekommen von einem der leitenden Mitarbeiter, der sagt 'ja, wir haben im Moment keinen Archivar, und außerdem der Archivlesesaal sei zu' – so nach dem Motto: 'Don't call us, we call you'", so der Kunstfahnder. Die Hartleibigkeit des Washingtoner Museums macht sprachlos: Denn Siegfried Lämmle hatte dort 1949 bereits die Rückgabe seiner Madonna gefordert. Ohne Erfolg. 1953 starb er.

Die Riemenschneider-Madonna geht auf Reisen nach Deutschland

Claudia Lichte, damals Direktorin des "Mainfränkischen Museums" Würzburg
Claudia Lichte, damals Direktorin des "Mainfränkischen Museums" Würzburg | Bild: BR, 2004

2004 dann geht die Madonna auf Reisen. Und zwar ausgerechnet nach Deutschland: Als Prunkstück einer Werkschau des Meisters in Würzburg. Kuratorin des Großereignisses: Dr. Claudia Lichte, damals Direktorin des "Mainfränkischen Museums". Ein Blick in den Ausstellungskatalog allerdings wirft Fragen auf. Dort sind bezüglich der NS-Zeit nicht mal mehr die ohnehin schon ungenauen Herkunftsangaben aus dem Museum in Washington zu finden. Kein Wort mehr von Siegfried Lämmle. Stattdessen steht dort: "Die Figur befand sich schon ca. 1910 bis 1935 wiederholt im Kunsthandel." Wurden die Herkunftsangaben im Katalog bewusst verkürzt, um zu verhindern, dass die Raubkunst-Madonna bei der Ausfuhr aus Deutschland als national wertvolles Kulturgut beschlagnahmt wird? Zu einem klärenden Interview ist die Herausgeberin, Claudia Lichte, nicht bereit. Sie antwortet nur über ihren Anwalt: "In der Katalognummer 72 'Maria mit Kind' aus der Dumbarton Oaks House Collection sind die Provenienzangaben der notwendigen Kürze wegen zusammengefasst worden. Sie sind nicht gefälscht." (Zitat aus Anwaltsschreiben Dr. Lichte)

In einem über 380seitigen Katalog ist also kein Platz ausgerechnet für die sensiblen Informationen, die es über diese Madonna gab? Wir haben Willi Korte dazu noch einmal befragt – per Videocall in Washington. "Ich glaube, das wurde alles bewusst so präsentiert bzw. weggelassen, um nicht schlafende Hunde zu wecken. Was ich im Rückblick eigentlich nur als eine inakzeptable Verfälschung der Provenienz in Verbindung mit dieser Ausstellung sehen kann", so Korte. Ein Vorwurf, gegen den sich Claudia Lichte entschieden wehrt – sie habe erst 2005 vom Restitutionsfall Lämmle erfahren. Klarheit könnte ein Einblick in den Leihvertrag bringen, in die Antragsunterlagen zur Ein- und Ausfuhr dieser Madonna – aber das Museum in Würzburg verwehrt uns die Akteneinsicht.

Eine Zumutung gegenüber den Lämmle-Erben

"Jungfrau mit dem Kind auf einer Mondsichel" von Tilman Riemenschneider
"Jungfrau mit dem Kind auf einer Mondsichel" von Tilman Riemenschneider | Bild: Das Erste

Auch das Museum in Washington ist zu einem Interview über seine Nazi-Raubkunst-Madonna nicht bereit. Und ebenso ist der bayerische Kunstminister, Markus Blume von der CSU, weder zu einem Interview bereit, noch antwortet er schriftlich auf die entscheidenden Fragen. Und Lämmles Erben: Sie hoffen immer noch darauf, sich mit dem Museum und also mit der mächtigen Harvard-Universität gütlich einigen zu können. Die Erklärungen des Washingtoner Museums, man müsse den Fall 'mit den eigenen Anwälten besprechen' und 'noch recherchieren' sind für Willi Korte nicht überzeugend. "Was wollen sie denn noch recherchieren? Ob Lämmle Jude war, ob Lämmle NS-Verfolgungsopfer war? Ob Lämmle aus dem Land getrieben wurde? Ob Lämmle fliehen musste? Wissen wir doch alles! Im Grunde ist schon der Hinweis 'wir müssen uns mit der Sache weiter beschäftigen, wir müssen an der Sache weiter recherchieren' ist im Grunde eine Zumutung und eine Frechheit gegenüber den Lämmle-Erben. Muss man ja auch mal so sagen", so der Kunstfahnder.

Autor: Ulf Kalkreuth

Stand: 04.09.2023 10:49 Uhr

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