SENDETERMIN So., 24.09.23 | 23:05 Uhr | Das Erste

Das Rauschen der Zeit

Wim Wenders' Filmporträt von Anselm Kiefer

PlayAnselm Kiefer auf seinem Ateliergelände in Südfrankreich bei Barjac
Wim Wenders' Filmporträt von Anselm Kiefer | Video verfügbar bis 24.09.2025 | Bild: Road Movies / Wim Wenders

Er ist einer der bedeutendsten und vielseitigsten Künstler unserer Zeit: der 1945 in Donaueschingen geborene Anselm Kiefer. Aus den Trümmern der Geschichte und den Formen der Natur schuf er seine ganz eigene Ikonographie. Eine Kunst, die souverän die Grenzen zwischen Malerei, Bildhauerei und Architektur überwindet. Starregisseur Wim Wenders hat ihn porträtiert. Mehr als zwei Jahre lang folgte er den Spuren des Künstlers. In atemberaubender 3D-Qualität nimmt sein Film das Publikum mit auf eine filmische Reise durch Kiefers Werk. "Anselm – das Rauschen der Zeit" feierte seine Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes und kommt nach einer Preview am 3. Oktober in der Essener Lichtburg am 12. Oktober in die Kinos.

Schweigen und Verdrängen

Der Regisseur Wim Wenders
Der Regisseur Wim Wenders | Bild: Road Movies / Wim Wenders

Wim Wenders und Anselm Kiefer sind fast gleich alt. Kiefer wurde kurz vor und Wenders kurz nach dem Kriegsende 1945 geboren. Beide wuchsen in einem zerstörten Land auf, umgeben von Menschen, die versuchten, die Vergangenheit zu verdrängen und auf dem Schweigen eine neue Zukunft aufzubauen. "Ich bin ja auch aufgewachsen in einem humanistischen Gymnasium", sagt Wenders. "Ein Großteil der Lehrer müssen Nazis gewesen sein. Geht gar nicht anders, die haben doch ununterbrochen gelehrt. Einer hatte sogar noch so ein Bärtchen."

Kiefer fand seine Art, mit dem Verdrängen umzugehen: Ende der 1960er Jahre reiste er quer durch Europa und zeigte in der Wehrmachtsuniform seines Vaters den Hitlergruß – ein Tabubruch, der ihm den Vorwurf des Neonazimus einbrachte. "In den späten sechziger, Anfang der siebziger Jahre waren die Deutschen noch nicht so weit. Das Nationalbewusstsein oder das Bewusstsein an der eigenen Geschichte war noch nicht so, dass man sich dem stellen konnte", so Wenders. "Und jemand, der das darstellt, da gab es dann nur die Möglichkeit, das muss einer von denen sein, von denen wir nichts wissen wollen und von denen wir auch nichts erzählen wollen."

Begegnung zweier Künstler

Zum ersten Mal begegneten sich die beiden 1991 in Berlin, als Kiefer eine große Ausstellung in der Nationalgalerie vorbereitete. "Schon damals zogen wir in Erwägung, einen gemeinsamen Film zu machen. Es lag ja auf der Hand: Er ein Maler, der auch gerne Filmemacher geworden wäre, und ich ein Filmemacher, der gerne Maler geworden wäre. Aber während ich mit 'Bis ans Ende der Welt' und 'In weiter Ferne so nah!' beschäftigt war, zog Anselm nach Südfrankreich, ich dann bald nach Los Angeles, und wir verloren einander aus den Augen."

Skulptur von Anselm Kiefer
Brautkleid-Skulptur von Anselm Kiefer | Bild: Road Movies / Wim Wenders

Rund 30 Jahre später hat Wenders seinen Plan realisiert. Gedreht hat er vor allem an vier Orten: im südfranzösischen Barjac, wo Kiefer im Laufe mehrerer Jahrzehnte ein 40 Hektar großes ehemaliges Industrieareal zu einem spektakulären Gesamtkunstwerk verwandelte – mit vielen Gebäuden, einem verzweigten Tunnelsystem und unterirdischen Kunsträumen. In seinem Atelier im Pariser Vorort Croissy-Beaubourg, das er 2008 bezog. Im Odenwald, wo Kiefer ab 1971 lebte und arbeitete, und in der von der Rheinlandschaft geprägten Umgebung von Rastatt, wo er aufwuchs.

Reise durch Raum und Zeit

"Ich hatte dabei nie vor, eine 'Biografie' zu drehen", sagt Wenders. Sein Porträt hat Elemente eines Dokumentarfilms, ist aber weit mehr. Es ist eine Reise durch Raum und Zeit. Wenn Wenders Szenen aus Kiefers Kindheit fiktional inszeniert, verwischen die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Und die monumentalen 3D-Aufnahmen lassen Landschaften und Kunstwerke ineinanderfließen. "Er hat ganz eigene Wege erfunden, wie man Zeit in die Malerei einbaut, in die Schichten. Das sind ja mitunter zehn, zwanzig Zentimeter dicke Schichten, und die Bilder liegen im Regen, die werden in der Wüstenhitze eines Ofens gebacken, oder sie liegen wochenlang oder monatelang oder noch länger irgendwo im Freien. Er tut alles Mögliche, seine Bilder auch der Zeit auszusetzen, und das gefällt ihm, dass die Zeit dann ihre Spuren hat und die Zeit auch die Bilder zerfrisst."

Autor des TV-Beitrags: Christof Boy

Die komplette Sendung steht am 24. September ab 20 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.

Stand: 24.09.2023 18:32 Uhr

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