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„Als wäre es vorbei“

Katja Petrowskaja mit Texten aus dem Krieg

„Als wäre es vorbei“ – Schriftstellerin Katja Petrowskaja mit Texten aus dem Krieg | Video verfügbar bis 09.03.2027 | Bild: hr

„Wie schnell das Böse den Raum einnimmt“

Als am 28. Februar Selenskyj mit Trump streitet, melden sich Ihre Freunde aus Kiew.
„Wir haben uns sofort geschrieben. Ich hatte eigentlich sofort nach dieser Pressekonferenz mehrere Liebeserklärungen bekommen, als wäre es die letzte Aktion, was sie überhaupt machen können“, sagt Katja Petrowskaja.

„Das ist wirklich ein sehr scharfer Moment. Man hat das Gefühl mittlerweile, dass der Krieg wieder anfängt. Was Trump gemacht hat. Das ist ein Feldzug gegen Europa. Und wir müssen das wirklich verstehen. Weil wir tatsächlich alle jetzt in Gefahr sind. Und ich weiß nicht, es ist sehr schwer, sich das vorzustellen, wie schnell das Böse den Raum einnimmt“, so Katja Petrowskaja weiter.

Alltag in Zeiten des Krieges

Katja Petrowskaja. Ukrainisch-deutsche Schriftstellerin, seit 25 Jahren lebt sie in Berlin. Aufgewachsen ist sie in Kiew. 2011 schreibt sie über die Geschichte ihrer Familie: über den Völkermord an Kiewer Juden im Zweiten Weltkrieg. Dann kam der Krieg in der Ukraine. Seit drei Jahren kann sie über nichts anderes schreiben.

„Ich wollte dieses Buch nie schreiben. Der Krieg ist mir aufgezwungen worden, genauso wie allen Ukrainern. Und ich habe das als Pflicht verstanden, eigentlich über die Menschen zu erzählen. Die da leben in Präsenz von diesem Krieg“, sagt die Schriftstellerin.

Den Alltag in Zeiten des Krieges beschreibt Petrowskaja regelmäßig in ihren Zeitungs-Kolumnen, die jetzt als Buch erscheinen. Im Titel steht die Hoffnung, es könnte schon vorbei sein, doch der Untertitel sagt, was ist: „Texte aus dem Krieg“. Diese sind inspiriert durch besondere Fotos, die der Bilderflut aus den Nachrichten etwas entgegensetzen, weil sie keine Gewalt zeigen, keine Waffen. Es sind Geschichten von Menschen, die den Krieg aushalten. Von Freunden und von Unbekannten. Das Buch beginnt 2022, als die russische Armee bis kurz vor Kiew vorrückt.

„Ich habe viele Freunde in Vororten von Kiew, zum Beispiel in Butscha hatte ich so eine Gruppe von Freunden, mein Klassenkamerad wohnt da und wir hatten da immer gebadet und das ist ein wirklich sehr schöner Ort und man kann sich nicht vorstellen, dass damals am Anfang des Krieges alle diese Vororte besetzt wurden und da wurden Unmengen von Zivilisten getötet. Einfach so“, erzählt Katja Petrowskaja. „Und diese Brücke war lange Zeit die letzte, sozusagen Stelle, wodurch man wegkonnte.“

Schreiben gegen die Kriegs-Müdigkeit

Die Bilder findet sie im Internet, in sozialen Medien, bekommt sie von Freunden. Wir beobachten den Krieg online, schreibt Petrowskaja. Ihre Texte im fortschreitenden Krieg sind wie eine Chronologie, bei der deutlich wird, wie eine rote Linie nach der nächsten überschritten wurde:

Exhumierteam im befreiten Isjum 2022. Freiwillige identifizieren über 400 Menschen, die unter russischer Besatzung getötet wurden. Fast alle Zivilisten. Daran sollten wir uns heute erinnern, falls in Friedensgesprächen über besetzte Gebiete verhandelt wird, sagt Petrowskaja.

„Wie russischer Frieden aussieht und das ist ganz wichtig, haben wir in Butscha und Irpin gesehen. Also wenn man sagt: Okay, diese Gebiete gehen an Russland, dann also da wird gefoltert, vergewaltigt, da verschwinden Menschen, die Kinder werden nach Russland geschickt, einfach geklaut von den Eltern usw. Es passieren wahnsinnige Dinge“, so Petrowskaja weiter.

Sie sagt, sie schreibe auch gegen ihre eigene Kriegs-Müdigkeit an. Das tut sie in ihrer ganz eigenen poetischen Sprache:
„Der Mann steht im Loch, als probierte er den möglichen Tod an. (…) Der Tod und der Mann haben sich zeitlich verpasst.“
„Der kalte, sture Blick eines Kindes, das Gewalt und Leiden gesehen hat. Sein Alter ist seltsam unbestimmbar, und man ahnt schon den Mann und den Greis in ihm.“
„Ich erinnerte mich an Bilder von Gerhard Richter, die Ähnlichkeit war so ergreifend wie störend: Denn vor mir lag ein Dokument des Krieges, entstanden zwischen Angst und der Lust am Leben.“

Zum ersten Mal wieder die Sonne

Ein Selfie, aufgenommen unter Beschuss.
„Sozusagen das letzte Bild. Und sie hat das Handy auf den Kühlschrank gestellt. Hat sich abfotografiert. In schwarz-weißen Filter, weil sie die Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg so sah, also schwarz-weiß. Und sie hat das Bild gepostet und hat geschrieben: Ich möchte in meinem Leben die Hauptrolle spielen. Und das war wirklich am Tag, als sie dachte, sie stirbt“, erzählt Katja Petrowskaja.

Angelina, das Mädchen, lebt heute in Berlin. Katja Petrowskaja berichtet auch von schönen Momenten. Von Frieden inmitten des Krieges. Zum Beispiel von der 10-jährigen Wlada, die Monate im Keller verbracht hat und sich dann weigerte herauszukommen, hier hat sie es endlich geschafft und sieht zum ersten Mal wieder die Sonne.

Regenbogen steht für Hoffnung

Als Petrowskaja 2023 Kiew besucht, fotografiert sie selbst die Stimmung im Park.
„Man sieht nicht, was fünf Minuten davor passiert ist. Da stehen drei Bäume, Blumen sind da, alles ist schön. Aber eigentlich war das ein Foto, was ich nach einer wahnsinnig schrecklichen Nacht gemacht habe. Eine Rakete wurde direkt vor meinen Augen in meinen riesigen Hof abgeschossen“, sagt die Schriftstellerin.

Auch bei der Raketenabwehr ist die Ukraine von den USA abhängig. Einschläge in Häuser, sie würden häufiger, warnt Petrowskaja. Dass Militärhilfen und Geheimdienstinformationen der USA wegfallen, gäbe dem Krieg eine neue Dimension.

„Der Schmutz des Krieges“ nennt sie ein Foto.
„Es bedeutet, dass die Leute da buchstäblich nackt vor dieser Aggression gelassen werden“, erklärt Petrowskaja

Ein Regenbogen erscheint vor ihrem Fenster in Berlin, Regenbogen steht für Hoffnung, und Hoffnung sieht sie auch in dem Bild der letzten Babuschka, die von Freiwilligen evakuiert wird.   
„Und sogar die letzte Babuschka, die von allen vergessen wurde, die wirklich vielleicht in zwei Monaten selbst stirbt, sie wird nicht gelassen. Es bedeutet, es gibt immer diese Gruppen von jungen Menschen, die immer wieder an die Frontlinie fahren und diese alten Menschen überreden, mitzukommen. Weil es geht um Leben. Es geht nicht um den Krieg, es geht um Leben“, sagt Katja Petrowskaja.


Autorin: Katja Deiß

Katja Petrowskaja: „Als wäre es vorbei“, Suhrkamp, 2025, 217 Seiten, 25 Euro.

Stand: 09.03.2025 19:45 Uhr

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Hessischer Rundfunk
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