So., 17.09.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Poesie der Tristesse: Aki Kaurismäkis Liebesgeschichte "Fallende Blätter"
Ausgezeichnet in Cannes und gerade in den Kinos angelaufen
In einem Film von Aki Kaurismäki passiert nicht viel, eigentlich fast nichts. Menschen vereint in Choreografien des Stillstands und der Schwermut.
Sie schauen ins Leere oder in sich hinein.
Und manchmal schauen sie auf. Plötzlich öffnet sich ein Blick, der mehr enthält als nur eine Verlegenheit, vielleicht sogar die Hoffnung, dass das Leben mehr sein könnte, als eine Aneinanderreihung von Tagen. Aki Kaurismäki ist ein Meister des Zufalls. Und allem, was daraus folgt. Da sind sie also: Hoppala und Ansa.
"Was diese blutige Welt gerade braucht, sind Liebesgeschichten“
Ansa arbeitet in einem Supermarkt, als sie ein Sandwich über dem Haltbarkeitsdatum in ihre Tasche steckt, wird ihr gekündigt. Eine Neuanstellung findet sie als Hilfskraft in einer Kneipe. "Ich liebe diese erste Begegnung der beiden", sagt Hauptdarsteller Jussi Vatanen. "Wenn sich zwei so einsame Menschen treffen, ist das wirklich ein großartiger Moment." Seine Spielpartnerin Alma Pöysti ergänzt: "Sie sind beide so schüchtern. Und trotzdem treffen sie sich. Das ist die schüchternste romantische Komödie, die es je gab."
Hoppala arbeitet in einer Metallfabrik, weil er während der Arbeit trinkt, wird er gefeuert. Zwei einsame Einzelgänger ohne Grundausstattung zum Glücklichsein. Ihr erstes Date: ein Kinobesuch. Die Liebe nimmt ihren Lauf. Oder auch nicht. Sie gibt ihm einen Kuss und ihre Telefonnummer auf einem Zettel. Doch am nächsten Tag findet Hoppala ihn nicht mehr. Das Leben geht mal wieder schief. Kein Anruf. Und aus dem Radio tönen unaufhörlich Nachrichten über Krieg und Sterben.
Kaurismäki arbeitete gerade am Drehbuch, als der Krieg gegen die Ukraine begann. Die Nachrichten davon ziehen sich durch den Film. In Cannes erlebte "Fallende Blätter" die Weltpremiere und bekam den Preis der Jury. Und Aki Kaurismäki, der wie seine Film-Helden lieber schweigt als redet, gab auch dort nur eines seiner seltenen Statements: "Ich hätte keinen Film während des Krieges machen können, ohne irgendwie darauf einzugehen. Also kommentiere ich ihn über das Radio. Und eine Liebesgeschichte ist es geworden, weil ich nichts anderes hätte machen können. Was diese blutige Welt gerade braucht sind Liebesgeschichten."
Popduo Maustetytöt liefert Soundtrack und Tournee zum Filmstart in Deutschland
Zunächst ist es die Geschichte einer verpassten Gelegenheit. Ansa und Hoppala bleiben allein. Und in einem Klub von Helsinki singen zwei Schwestern, ein Lied über Einsamkeit. Das Popduo aus dem Film heißt Maustetytöt – so nennen sich die beiden Schwestern Anna und Kaisa, die in Finnland zur Pop-Avantgarde gehören.
Nun begleiten sie den deutschen Kino-Start des Films mit einer Tournee, etwa im Berliner Kino "International". Ihren Filmsong hat Aki Kaurismäki ausgewählt. "Ja, er hat sich alle unsere Songs angehört, die wir gemacht haben, und dann den deprimierendsten ausgewählt", lacht Kaisa.
Als Aki Kaurismäki das Duo zum ersten Mal Live erlebte, war er begeistert, und lud sie direkt ein, in seinem Kino in Helsinki aufzutreten und schließlich in seinem Film. Für die beiden war es ein besonderer Moment – sind sie doch mit seinen Filmen aufgewachsen. Die Schwestern berichten: "Wir sind schon seit vielen Jahren Fans von ihm und haben alle seine Filme mehrmals gesehen – oft auch dann, wenn wir traurig waren."
Lieder vom Überfodertsein – mit dem Leben und sich selbst
Maustetytöt bedeutet übersetzt: Spice Girls. Und ist gemeint als pure Ironie. Sie singen nicht von Girlpower, sondern vom Überfordertsein. Mit dem Leben und mit sich selbst. Heulsusen der Liebe aber sind sie nicht. "Ich muss den Lottoschein falsch ausgefüllt haben", heißt einer ihrer Songs. Für sie sei die Musik "einfach ein guter Weg, mit der Melancholie klarzukommen", sagt Kaisa und eine Lebenseinstellung: "So schlimm ist sie nicht. Man kann ganz gut mit ihr fertig werden."
"Alles an diesem Film ist sehr finnisch"
Glück auf finnisch. Ansa und Hoppala haben sich wiedergefunden. Aber das ist nur die Fortsetzung ihrer Beziehung. Nicht ihr Happy End. Das erste gemeinsame Abendessen. Doch Hoppalas Griff zum Flachmann beendet den zaghaften Versuch, ein Paar zu werden.
Kaurismäki macht Kino, wie er es schon vor zwanzig Jahren gemacht hat. Modern ist das nicht. Oder wieder? Seine Filmhelden sind Menschen, die irgendwie durchkommen. Ohne große Ansprüche, ohne große Erwartungen. Wie Ansa und Hoppala. Alma Pöysti, die Alma spielt, beschreibt den Film so: "Alles in diesem Film ist sehr finnisch: der Humor, die Fähigkeit, mit wenigen Worten viel zu sagen. Auch die Trinkfreude kann sehr finnisch sein, um mit dem Leben klar zu kommen. Aber all das verwandelt sich in etwas sehr Universelles."
Wäre das Leben von Ansa und Hoppala nur trostlos, wäre es kein Film von Aki Kaurismäki. In seinem Kino gibt es keine laute Verzweiflung, keine schluchzenden Erschütterungen, aber immer einen Weg. "Fallende Blätter" ist ein filmisches Gedicht – große Poesie.
Autoren: Lutz Pehnert, Lilli Klinger
Stand: 18.09.2023 11:25 Uhr
Kommentare