Sa., 08.05.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Greenwashing bei Verpackungen
Scheinbar nachhaltige Verpackungen entpuppen sich nicht selten als Mogelpackung. Hersteller setzen zunehmend Verbundstoffe ein, die wie Pappe aussehen, in Wahrheit aber aus einem mehrschichtigem Material mit Folien, Lacken oder Aluminium bestehen.
Ein Großteil deutscher Supermarktkunden achtet inzwischen darauf, möglichst umweltfreundliche Verpackungen zu kaufen. Tatsächlich finden die Konsumierenden immer häufiger Verpackungen aus Pappe, viele sogar im bräunlichen Papp-Look von ungebleichtem Papier – so scheint es. Doch der Schein trügt. Denn viele Verpackungshersteller machen sich das wachsende Umweltbewusstsein der Kundschaft zu Nutze und führt sie hinters Licht. Unter der Oberfläche nachhaltiger Papp-Optik, verstecken sie Kunststoffe oder Mischverpackungen, sogenannte Verbundverpackungen. Zuhause beginnen dann Ärger und Ratlosigkeit, insbesondere wenn es ans Entsorgen der Verpackungen geht. Gelbe Tonne, oder die Blaue für Papier? Oder beides? Oder gleich in den Restmüll?
Nicht von Pappe: Verbrauchertäuschung
Ein Typ vermeintlich umweltfreundlicher Verpackungen findet sich besonders häufig in den Regalen der Supermärkte: Die "Deckmäntelchen-Verpackung", ein Plastikbecher, ummantelt mit Pappe. Die Kunden*innen erkennen nur die äußere Pappschicht, nicht aber das Innenleben aus Kunststoff – und werfen solche Becher häufig in den Papiermüll. Dabei müsste man eigentlich erstmal den Pappmantel lösen, ebenso den Aluminiumdeckel und alle drei Teile gesondert entsorgen. Doch Umfragen zeigen, dass nur ein Bruchteil der Kundschaft das auch macht.
Weiteres Problem: In der Müllsortieranlage liegen die Verpackungen auf einem schnell laufenden Förderband. Ein Infrarotsensor erkennt, ob die Verpackung aus Pappe oder Plastik besteht – eigentlich. Steht der Becher aufrecht, misst der Sensor den Innenteil aus Plastik. Die Verpackung fliegt in den Plastikmüll. Beim Recycling wird das Plastik zurückgewonnen, doch die Papphülle landet im Restmüll, der hinterher verbrannt wird.
Liegt der Becher dagegen auf der Seite, erkennt der Infrarotsensor nur den Pappmantel. Die Verpackung landet im Papierstrom, die Pappe wird recycelt. Übrig bleibt der Plastikbecher, der wieder in den Restmüll wandert. Optimales Recycling ist so unmöglich.
Dr. Joachim Christiani ist Ingenieur für Verfahrenstechnik. Er prüft und bewertet die Recycelfähigkeit von Verpackungen und arbeitet an einem Verfahren, die Recyclingquote bei solchen ummantelten Plastik-Verpackungen zu verbessern, was gar nicht so einfach ist: "Das ist ein Problem", so der Fachmann. "Seit einigen Wochen ist die erste Versuchssortieranlage in Betrieb, bei der die übriggebliebenen Materialien nicht einfach im Restmüll landen, sondern auch dem Recycling zugeführt werden." Doch das Verfahren werde gerade erst erprobt.
Noch übler: Verbundverpackungen
Die Verpackungshersteller wenden den Trick mit dem Pappmantel an, um der Einstufung als sogenannte Verbundverpackung zu entgehen. Die bestehen aus zwei bis fünf unterschiedlichen Schichten. Bei lichtempfindlichen Getränken wie Orangensaft, besteht die Verpackung beispielsweise aus einem Sandwich mit dieser Schichtfolge: Folie – Pappe – Aluminium – Pappe – Folie. Außen aufgedruckt werben manche Hersteller mit Aussagen wie: "Besteht zu 89 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen – zu 100 Prozent recycelbar." Irreführend nennt das Umweltreferent Philip Heldt von der Verbraucherzentrale NRW.
Schlecht recycelbare Verbundverpackungen aus Papier und Kunststoff nehmen überproportional zu. Diese lassen sich bestenfalls teilweise verwerten. Hersteller werben damit, dass sie Kunststoffverpackungen durch faserbasierte Verbunde mit Kunststoffanteil ersetzt haben und so riesige Mengen an Plastik einsparen – auf den ersten Blick nicht ganz falsch. Im Recyclingprozess können tatsächlich die meisten Materialien mithilfe von Lösungsmitteln voneinander getrennt werden. Doch wo eine einfache Pappverpackung mit einer Innenfolie 5 Minuten in der Lösungsflüssigkeit braucht, benötigen vielschichte Verbundstoffe bis Minuten. Philip Heldt sieht das kritisch: "Auch wenn eine Verpackung hauptsächlich aus Papier besteht: Sobald eine Kunststoffbeschichtung dazu kommt, ist das Recycling begrenzt." Und Verpackungsexperte Dr. Joachim Christiani sieht eine weitere Gefahr: "Jede Verpackung, die als vermeintliche Pappe in die Umwelt entsorgt wird, aber in Wirklichkeit aus mehreren Verbundschichten besteht, zersetzt sich irgendwann und wird zu Mikroplastik."
Fazit: Greenwashing bei Verpackungen belastet die Umwelt, verhindert optimales Recycling und täuscht die Verbraucher*innen.
Autorin: Dagmar Stoeckle (SWR)
Stand: 07.05.2021 13:58 Uhr