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Wind - ein (fast) unberechenbares Phänomen

Grafik mit Winfströmungen über Land
Mit modernster Technik versuchen Wissenschaftler den Wind berechenbar zu machen. | Bild: NDR

Wind ist allgegenwärtig. Kaum ein Wetterphänomen ist so wechselhaft und unberechenbar, kann so hilfreich aber auch verheerend sein. Seit Jahrtausenden nutzen die Menschen die Kraft des Windes und fürchten doch seine unbändige Gewalt, wenn er sich zum Sturm steigert. Bis heute, denn trotz aller Forschung und Erfahrung: Das Phänomen Wind ist komplex und birgt noch so manches Rätsel.

Der Wind – ein Rechenproblem

Windluftmassen über dem amerikanischen Kontinent
Wind kann gefährliche Ausmaße annehmen  | Bild: NASA

Wind ist die Bewegung von Luftmassen. Sie entsteht in erster Linie durch Druck- und Temperaturunterschiede in der Atmosphäre. Einige Winde wehen auf globaler Ebene sehr beständig, zum Beispiel die Passatwinde, andere treten regional nur bei bestimmten Wetterlagen auf, wie der Föhn, der Schirokko oder der Mistral. Doch das Windgeschehen insgesamt ist ein so komplexes System, dass genaue Vorhersagen dazu, trotz leistungsfähiger Super-Rechner, extrem schwierig sind. Selbst die Zugbahnen von riesigen Sturm-Feldern oder Orkanen können nicht exakt im Voraus berechnet werden. Sie ändern ihre Richtung, flauen ab, gewinnen wieder an Stärke – entziehen sich immer wieder den Rechenmodellen von Windforschern und Meteorologen.

Je kleinräumiger Luftbewegungen sind, desto schwieriger sind sie zu berechnen und vorherzusagen. Seit Jahrzehnten arbeiten Experten daran, dem Wind mit immer komplexeren Computer-Modellen auf die Spur zu kommen — doch schon die Berechnung von Turbulenzen überfordert noch immer jeden Großrechner.

Gleichzeitig werden solche kleinräumigen Berechnungen immer wichtiger. Zum Beispiel für Wind-Parks. In Vorbereitung auf große Sturmtiefs müssen die Betreiber von Windkraftanlagen die Rotoren prophylaktisch aus dem Wind drehen, denn Stark- und Scherwinde können die Anlagen beschädigen. Viel schwieriger vorherzusagen sind lokale Windboen, die kurzfristig auftreten und sehr stark sein können. Sie treten selbst bei verhältnismäßig ruhigem Wetter auf. Gerade große Windräder reagieren zu träge und lassen bisher kaum dagegen schützen.

Wie Forschende den Wind messen

Ein Feld aus der Vogelperspektive mit einem schmalen Turm.
Windmessfeld mit 99-Meter-Turm. | Bild: NDR

Auf dem Grenzschichtmessfeld des Observatoriums Lindenberg in Brandenburg treffen sich jedes Jahr Forschende unterschiedlichster Fachrichtungen, um die Windmessung und die darauf basierenden Windvorhersagen immer detaillierter und präziser zu machen. Dabei erproben sie auch neue Methoden.

Bisher stammen die Daten zu Wind und Wetter hauptsächlich von Wetterballons und Boden-Messstationen. Zu letzteren gehört auch der 99-Meter-Turm auf dem Messfeld. Er ist gespickt mit Schalen-Anemometern (messen die Windgeschwindigkeit), Temperaturfühlern und weiteren Messgeräten und kann damit Schwankungen in seiner direkten Umgebung detailliert aufzeichnen. Doch schon zehn Meter über dem Turm kann der Wind ganz anders wehen.

Um Luftbewegungen in größeren Höhen messen zu können, benutzen Meteorologen Wind-LIDARe, optische Fernerkundungsgeräte zur Messung von Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Turbulenz. LIDAR steht für "Light Detection And Ranging". Diese Geräte machen sich den Doppler-Effekt zunutze: Sie senden ein Lasersignal in den Himmel, das an den Aerosolen in der Atmosphäre reflektiert wird. Aus der Frequenzverschiebung zwischen ausgesendetem und empfangenem Signal berechnen Computer Betrag (Windgeschwindigkeit) und Richtung der Windvektoren. Je nachdem, wie viele Aerosole in der Atmosphäre vorhanden sind, kann damit Wind über Distanzen von bis zu mehreren Kilometern gemessen werden.

Doch Wind weht auch in Höhen, die die LIDARe nicht erreichen können. Für die Windmessungen über große Distanzen setzen die Forscher*innen des Observatoriums Lindenberg ihren Windprofiler ein. Der befindet sich abseits des Observatoriums, etwas versteckt, neben einem kleinen Wäldchen. Der Windprofiler ist ein meteorologisches Messsystem, das wie ein nach oben ausgerichtetes Radargerät arbeitet. Mit ihm lassen sich der Höhenwind in 0,5 bis 16 Kilometern Höhe und die Temperatur bis in 4 Kilometern Höhe in hoher zeitlicher Auflösung bestimmen.

Doch genau wie der Messturm und die LIDARe steht er fest an einem Ort und misst nur direkt über der Anlage. Kleinräumigen Windphänomenen kommt man mit diesen Messgeräten nur selten auf die Spur. Daher setzen Meteorologen in den letzten Jahren verstärkt auf mobile Windmessungen. Zum Beispiel mit Drohnen.

Mit dem Wind fliegen

Drohen liegt am Boden, daneben kniet ein Mann.
Fixed Wing Drohne des Forscherteams der Uni Tübingen. | Bild: NDR

Das Team um Jakob Boventer von der Uni Tübingen erprobt bei der diesjährigen Testkampagne eine Fixed Wing Drohne. Das Gerät ähnelt einem Segelflieger. Es hat eine Spannweite von 4 Metern und wird von einem Computer ferngesteuert. Das kleine Flugzeug misst den 3D-Windvektor, also die Geschwindigkeit und die Richtung der Luftmassen, in denen es sich bewegt. So kann es auch kleinräumige Veränderungen und Turbulenzen registrieren. Das Fluggerät ist auf Grund seiner geringen Größe zudem flexibel einsetzbar. Man kann es also überall starten lassen, wo man den Wind messen will.

Das Gleiche gilt für den Drohnenschwarm des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR). Dr. Norman Wildmann und sein Team starten auf dem Messfeld alle halbe Stunde ihre 20 Racing-Drohnen. Die Quadrokopter tragen keine Messgeräte, sie sind selbst welche. Richtung und Geschwindigkeit der Luftmassen, in denen sich die Fluggeräte befinden, finden die Wissenschaftler*innen mit einem Trick heraus: Sie stellen die Drohnen in präzise berechneten Mustern in der Luft auf und befehlen ihnen, die Position zu halten. Aus der benötigten Motorleistung und den Ausgleichsbewegungen, die die Drohnen ausführen müssen, um ihre Position zu halten, errechnet ein Computer die Bewegungsparameter der Luftmassen, die auf die Drohnen einwirken.

Neue Wege den Wind zu verstehen

Die Messsysteme der Forschenden aus Tübingen und des DLR haben gegenüber den traditionellen Windmessverfahren den Vorteil, dass sie schnell an unterschiedlichsten Orten einsetzbar sind und flexibel in unterschiedlichen Höhen messen können. Noch sind sie allerdings im Test-Stadium.

Während der Messkampagne am Observatorium Lindenberg können die Windforscher die Ergebnisse ihrer Messsysteme mit den zuverlässigen Daten der vorhandenen stationären Messapparaturen – Turm, LIDAR und Windprofiler – vergleichen und so feststellen, wie zuverlässig die neuen, mobilen Windmessgeräte funktionieren. Doch auch wenn die Daten immer detaillierter werden, wird es wohl noch etwas dauern, bis das Wesen des Windes komplett entschlüsselt ist. Bis dahin bleibt er so, wie wir ihn kennen: chaotisch, unvorhersehbar und vor allem unberechenbar.

Autorin: Julia Schwenn (NDR)

Stand: 17.12.2021 11:41 Uhr

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