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Stromgewinnung auf hoher See – schwimmende Windkraftanlagen

Unterkonstruktion des schwimmenden Windrades im Hafen von Grenaa
Die Unterkonstruktion des schwimmenden Windrades im Hafen von Grenaa. | Bild: NDR

Windkraft ist ein wichtiger Baustein im Energiemix der Zukunft. Doch immer wieder gibt es heftige Widerstände gegen den Bau neuer Windkraftanlagen an Land. Warum dann nicht einfach die Anlagen dort bauen, wo sie niemand sieht – und außerdem noch viel häufiger ein kräftiges Lüftchen weht?

Schwimmen statt Rumstehen

"Mit schwimmenden Windkraftanlagen könnten wir den zehnfachen Strombedarf der Menschheit decken", schwärmt Henrik Stiesdal. Der Däne ist Windkraft-Pionier der ersten Stunde und hat schon vor Jahrzehnten den ersten Offshore-Windpark der Welt aufgebaut – damals noch mit fest im Meeresgrund verankerten Fundamenten. Nun tüftelt er an einer Windkraft-Revolution: gigantische Windräder, die nicht in Küstennähe auf dem Meeresboden stehenen, sondern auf offener See schwimmen.

Stiesdal steht auf der Kaimauer des kleinen dänischen Hafens Grenaa und blickt stolz auf eine große, gelbe Konstruktion, die im Hafenbecken schwimmt. Tetra Spar ist eine Art überdimensionales Stativ mit einem knapp 100 langen Mast, an dessen Ende eine Offshore-Windturbine montiert ist. Dieser Prototyp einer schwimmenden Windkraftanlage wurde hier im Hafen montiert.

Das Projekt wird von einem internationalen Firmenkonsortium vorangetrieben. Partner sind unter anderem der japanische Energiekonzern TEPCO, Shell, RWE und Siemens Gamesa, die Windenergietochter von Siemens. Henrik Stiesdal ist für die Entwicklung und den Bau der schwimmenden Unterkonstruktionen der Windenergieanlagen verantwortlich.

Die schottische Lösung

"Schwimmer" der Windkraftanlagen von Hywind Scotland an Land liegend.
Die "Schwimmer" der Windkraftanlagen von Hywind Scotland. | Bild: NDR

Der Däne hat Konkurrenten, die in ihren Bemühungen schon einen Schritt weiter sind. 2017 ging mit Hywind Scotland der erste schwimmende Windpark der Welt ans Netz. Fünf riesige Windkraftturbinen mit einer Leistung von jeweils 6 Megawatt produzieren Strom rund 25 Kilometer vor der schottischen Küste. Die Ausbeute ist sehr gut. Denn auf dem Meer trifft der Wind nicht auf Berge, Gebäude oder andere Hindernisse, die ihn verwirbeln und beeinflussen würden. Außerdem weht es auf hoher See praktisch immer ausreichend stark für die Stromproduktion. Hywind Scotland ist schon mehrere Jahre in Folge der Offshore-Windpark mit dem höchsten durchschnittlichen Windertrag aller britischen Windparks.

Die Anlagen selbst sind allerdings sehr aufwendig und teuer in der Herstellung. Ihre Unterkonstruktion besteht aus einem gigantischen Rohr, das wie eine Angel-Pose senkrecht im Wasser dümpelt. Es wird durch 5.000 Tonnen Ballastgewicht aufrecht gehalten und ist mit drei Halteleinen am Meeresgrund verankert. Da der unter Wasser liegende Teil dieser Konstruktion fast 70 Meter lang ist, benötigt man schon für die Montage eine entsprechende Wassertiefe. Es wird liegend hinaus aufs Meer geschleppt, an einer geeigneten Stelle teilweise geflutet und so aufgerichtet. Anschließend wird das Oberteil (Mast und Windrad) mit einem riesigen Schwimmkran herangefahren, aufgesetzt und verschraubt. Eine schwierige und aufwändige Prozedur, gerade bei Seegang.

Der dänische Ansatz: stabile Dreiecke und eine simple Idee

Schwimmende Windkraftanlage in einer Grafik dargestellt.
Ein Ballastkiel hängt an Seilen unter der Schwimmkonstruktion. | Bild: NDR

Für Windkraft-Pionier Henrik Stiesdal ist dieser Aufwand zu hoch und macht schwimmende Windräder dadurch sehr teuer. Der dänische Konstrukteur hatte eine andere Idee, für die ihn viele in der Windbranche belächelten: Er wollte ein schwimmendes Windrad-Fundament bauen, das im Vergleich zum schottischen "Ein-Rohr-System" die Form einer Pyramide aus relativ dünnwandigen Stahlrohren hat. Und zwar solchen Rohren, wie sie von der Industrie seit Jahren für die Masten herkömmlicher Windkraftanlagen produziert werden.

Stiesdals Konstruktion besteht aus stabilen Dreiecken. Die dafür vorgefertigten Rohre werden auf großen Lkw in den Hafen transportiert und dann am Kai zusammengesteckt und mit Bolzen gesichert. Ein schneller und relativ einfacher Aufbau. Die gesamte Unterkonstruktion wird dann über die Kaikante ins Hafenbecken geschoben. Anschließend setzt ein landgestützter Kran das eigentliche Windrad auf. Ein 3.600 Tonnen schwerer, ebenfalls dreieckiger Kiel aus betongefüllten Rohren bildet das Gegengewicht unter Wasser. Er ist an extrem reißfesten Tauen unter dem Schwimmkörper aufgehängt und kann am Ziel in tieferem Wasser abgesenkt werden. Zur Montage der gesamten Konstruktion reicht dem Dänen deshalb ein Hafenbecken von 8 bis 10 Metern Tiefe.

Mittlerweile hat das Projekt die nächsten, wichtigen Hürden genommen: Drei Schlepper haben den Prototyp vor die Küste Norwegens gezogen und dort verankert. Ein Stromkabel ist auch schon angeschlossen. Das System aus Grenaa muss nun im Testbetrieb zeigen, ob es wirklich so stabil und sturmfest ist, wie die Ingenieure berechnet haben. Die Anlage soll Wellen bis zu 25 Metern Höhe widerstehen. Statistisch kommen solche Monsterwellen nur alle 50 Jahre vor. Doch in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels werden die Bedingungen auf dem Meer für die Technik vermutlich auch deutlich belastender.

Die deutsche Küste – zu flach für tief gehende Konzepte

Deutschland hat mit Nord- und Ostsee zwei Meere vor der Tür, die relativ flach sind. Das bedeutet auch, dass die Bundesrepublik genug Flächen für Offshore-Windparks auf festen Fundamenten hat. Das sind Standorte mit Wassertiefen bis 70 Metern.

In vielen Regionen der Welt sieht das allerdings ganz anders aus. Die internationale Windenergiebranche hat darum das Potenzial erkannt und rüstet sich für den Bau von schwimmenden Windparks, die dann auch in Wassertiefen von 1.000 Metern und mehr Strom produzieren sollen.

Autor: Björn Platz (NDR)

Stand: 16.12.2021 16:43 Uhr

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