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Windkomfort – warum man beim Städtebau mit dem Wind planen sollte

Ein Frau mit Regenschirm kämpft gegen den Wind an.
Mit Windsimulationen am Stadtmodell untersuchen Wissenschaftler, ob Neubaugebiete Frischluft-Korridore blockieren | Bild: NDR

Die Klimaerwärmung verändert auch das Stadtklima, und darum rückt für Wissenschaftler und Stadtplaner das Thema Wind stärker in den Fokus. Wie lässt sich durch geschickte Architektur eine optimale Belüftung und Kühlung der Stadt gewährleisten? Gar nicht so trivial, denn Neubauten können zu Windturbulenzen, zugigen Ecken und anderen Phänomenen führen, die das Wohlgefühl der Menschen negativ beeinflussen.

Was ist Windkomfort?

Gegenwind und ruinierte Frisuren – wenn Stadtmenschen an Wind denken, dann meist, weil er stört. Und doch ist eine frische Brise entscheidend dafür, dass wir uns in der Stadt wohlfühlen. Bundesweit nehmen daher Stadtplaner und Wissenschaftler das komplizierte Wechselspiel zwischen Wind und Architektur genauer unter die Lupe. Denn der Wind ist ein wichtiger Parameter für das Stadtklima. Er bestimmt, wie sich Schadstoffe ausbreiten, wie hoch die Feinstaubbelastung ist, und wo sich im Sommer die Hitze staut.

Gerade hohe Häuser haben einen erheblichen Einfluss auf die Windverhältnisse. Stadtplaner:innen betrachten und berücksichtigen bei ihrer Arbeit darum verstärkt den sogenannten Windkomfort: Wo zieht es zwischen Häusern? Warum kann man an gewissen Plätzen kein Straßencafé einrichten? Und wo müssen Frauen den "Monroe-Effekt" fürchten, das Hochfliegen ihrer Röcke?

Warum Windkomfort wichtig ist

Der Meteorologe Dr. Akio Hansen vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg weiß, dass es beim Wind oft um das "Sowohl-als-auch" geht: "Wind ist für jeden erlebbar. Das ist das Faszinierende und Schöne daran. Aber gleichzeitig ist der Wind in der Stadt auch sehr schwer fassbar und sehr unterschiedlich. Man muss eben schauen, dass man nicht eine Stadt so gestaltet, dass es immer komplett windstill ist. Das ist im Winter vielleicht ganz nett, oder wenn der Herbststurm kommt. Aber im Sommer hätte man dann eben das große Problem, dass sich die Hitze durch den Beton in der Stadt staut und sich nicht wirklich mit dem Umland austauscht."

Zugige Hafencity

Windnmessungen von drei Männern durchgeführt.
Messungen in der Hafencity geben Auskunft zum Windkomfort. | Bild: NDR

Hansen unternimmt unter anderem Messungen der Windverhältnisse in der Hamburger Hafencity. Als dieser Stadtteil geplant wurde, war Windkomfort noch kein großes Thema. Aber jetzt, denn Anwohner und Besucher beklagen zugige Ecken und Windschneisen – was an einem Hafen zunächst erwartbar klingt. Aber deutlich messbar ist: An der Hafen-Universität etwa stellen die Meteorologen fest, dass an einigen Gebäudepunkten Windböen vorkommen, die dreimal so schnell wie der mittlere Wind sind. Schon an einem normalen Herbsttag entstehen vor dem Gebäude schnell unangenehme Böen bis zu 120 km/h.

Auch heute gäbe es noch Möglichkeiten, die Windsituation zu verbessern, sagt Hansen: "Ich würde versuchen, entlang der Kaimauer Bäume zu pflanzen, die einfach insgesamt dem Wind die Geschwindigkeit rausnehmen. Weltweit hat Stadtgrün da sehr positiven Einfluss, nicht nur auf den Wind, sondern auch auf andere Phänomene wie Feinstaub."

Urban-Heat-Inseln verhindern

Schlauer wäre es natürlich, dem Wind schon beim Bau einen Schritt voraus zu sein; ihn mitzuplanen. Daran arbeitet Prof. Christof Gromke vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Sein Ziel: die optimale Belüftung ganzer Städte. Das Stadtklima unterscheidet sich von dem auf dem Land ganz erheblich: Steine und Teer heizen sich stärker auf als das grüne Umland, Wohnungen und Industrieanlagen geben viel Wärme ab. Zusätzlich können ungünstig gelagerte Luftschichten den Austausch behindern und zu Dunstglocken führen. Klimatologen sprechen von städtischen Wärmeinseln, Urban Heat Islands (UHI).

Grundsätzlich gilt: Je größer eine Stadt, desto heißer wird sie auch. Der Unterschied zum unbebauten Umland liegt im Durchschnitt bei 0,5 bis 2 Grad, er kann aber – vor allem in Sommernächten – auch bis zu 10 Grad betragen. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten, in Deutschland wohnen sogar 85 Prozent in städtischen und halbstädtischen Gebieten. Und die Städte wachsen weiter.

Frischluft-Korridore für die Belüftung der Stadt

Das Phänomen des "Flurwinds" spielt in großen Städten im Sommer eine besonders wichtige Rolle: Weil das Umland abends schneller abkühlt und gleichzeitig die Hitze der Stadt aufsteigt, strömt kühle Luft in die City. "Dieser Wind kühlt die Stadt effektiv ab", erklärt Strömungswissenschaftler Gromke. "Und das ist sehr wichtig dafür, dass wir gut schlafen können in der Nacht. Wenn es zu heiß ist, dann schlafen wir alle schlecht."
Damit die Kaltluft nachts in die Stadt strömen kann, sind unverbaute Korridore wichtig. Das muss stärker als bisher berücksichtigt werden, wenn neue Stadtviertel geplant und Wohnanlagen gebaut werden.

Simulation am Stadtmodell

Christof Gromke untersucht das am Beispiel Mannheim. Auf einem ehemaligen Kasernengelände sollen fast 1.600 neue Wohneinheiten für etwa 4.000 Menschen entstehen. Wie gut werden die dahinter liegenden Quartiere nach dem Bau noch belüftet und gekühlt?

Um das herauszufinden, simuliert Gromke den Kaltluft-Strom an einem Modell der Stadt. "Immer wenn Kaltluft auf ein Hindernis beispielsweise auf ein Gebäude trifft, dann kann sie entweder um das Gebäude herum fließen, oder sie wird nach oben umgelenkt und fließt über das Gebäude drüber. Wenn sie nach oben umgelenkt wird, besteht aber auch die Gefahr, dass die kalte Luft mit der wärmeren Luft, die sich dort befindet, vermischt. Dann kommt es zu einer Verdünnung beziehungsweise einem Aufhören der Kaltluft-Strömung. Darum sind hohe Gebäude am Stadtrand auf jeden Fall zu vermeiden."

Gromkes Untersuchungen ergeben: Das Einströmen der Kaltluft in das Mannheimer Stadtgebiet wird durch den Abriss alter Militärbaracken auf dem Gelände sogar erleichtert. Die neuen Gebäude werden den Kaltluft-Strom nicht blockieren. Den geplanten Neubauten steht aus Windkomfort-Sicht nichts im Wege.

Anpassungen an das sich wandelnde Stadtklima

Eine Animation zeigt Wind-Turbulenzen, die durch ein Gebäude entstehen
Hohe Gebäude und Einfallschneisen für den Wind können zu negativem Windkomfort führen. | Bild: Palm 4 U, Uni Hannover/ CEN/ Uni Hamburg

Die zunehmende Verdichtung der Städte und die Klimaerwärmung sind große Herausforderungen für die Stadtplanung der Zukunft. Das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt "Stadtklima im Wandel" nimmt diese Herausforderungen in den Blick. Klimaforschende der Universität Hannover, vom CEN, dem Deutschen Wetterdienst und des Helmholtz-Zentrums Hereon entwickeln derzeit ein Computermodell für Windprognosen bei Neubauprojekten. Es soll den Einfluss von Gebäuden auf Windstärke, Temperatur und Luftschadstoffmengen vorhersagen.

Das Rechenmodell soll es ermöglichen, atmosphärische Prozesse gebäudeauflösend (technisch: mit Gitterweiten von 10 Metern oder feiner) zu simulieren, um Maßnahmen zur Verbesserung des Stadtklimas und der Luftreinhaltung planen zu können. Genutzt werden soll es nicht nur von der Wissenschaft, sondern vor allem von Menschen aus der Praxis: Bauunternehmern, Stadtplanerinnen, Architektinnen. Sie sollen damit in Zukunft windbewusster bauen können.

Denn angesichts des Klimawandels dürfen sich die Bau- und Planungsfehler der Vergangenheit nicht wiederholen, sagt Meteorologe Akio Hansen: "Wir müssen jetzt schon darauf achten, wenn wir Gebäude für die Zukunft so bauen, dass sie dann auch den veränderten klimatischen Bedingungen standhalten."

Autorin: Christiane Henningsen (NDR)

Stand: 16.12.2021 16:43 Uhr

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