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Risiko: Öl und Gas aus der Arktis

Forschungsschiff "Polarstern"
Die "Polarstern" auf der Spur von Rohstoffen in der Arktis. | Bild: hr

Im arktischen Meeresboden verborgen, sollen riesige Mengen an Öl und Gas lagern. Durch den Klimawandel wächst bei den Anrainerstaaten der Arktis das Verlangen, diese Rohstoffe rund um den Nordpol fördern zu können. Eine Studie der US-amerikanischen Fachbehörde Geological Survey (USGS) aus dem Jahr 2008 kommt zu dem Ergebnis, dass dort rund 90 Milliarden Barrel Erdöl und fast 50 Billionen Kubikmeter Erdgas im Boden schlummern, die nach dem heutigen Stand der Technik gefördert werden könnten.

Diese Berechnungen der USGS basieren allerdings nur auf der geologischen Struktur von 25 der 33 geologischen "Provinzen" des Arktisraumes, nördlich des 66. Breitengrades. Es handelt sich also um Annahmen, nicht um Fakten. Trotzdem ist das Interesse an dieser Region seither massiv gestiegen. Auch Deutschland beteiligt sich – wenn auch nur indirekt – an der Suche nach möglichen Rohstoff-Vorkommen.

Die "Polarstern" auf Forschungsfahrt

Ein Mann betrachtet eine Gesteinsprobe
Wissenschaftlicher Leiter: Dr. Volkmar Damm  | Bild: hr

Spitzbergen 2018: Wissenschaftler machen sich an Bord der "Polarstern" auf den Weg gen Norden. Das erste Ziel des deutschen Forschungsschiffes liegt nördlich des 75. Breitengrades. Eine bisher weitgehend unerforschte Region. Und doch ist um die Gegend und die Rohstoffe, die sich möglicherweise darunter befinden, ein Wettlauf entbrannt. Vor allem die USA, Russland, Norwegen und Dänemark melden bereits Ansprüche an. Dabei ist noch ungewiss, ob es dort oben tatsächlich so ergiebige Erdöl- oder Erdgasvorkommen gibt, dass sich ein Abbau lohnen würde.

Die Crew um den Geologen Volker Damm könnte Licht ins Dunkel bringen. Die Wissenschaftler betreiben geologische Grundlagenforschung in der Arktis. Ihr Ziel ist es, mehr über die Entwicklung des "Arktischen Kontinentalrandes" herauszufinden. Denn das kann Hinweise auf Öl-Lagerstätten geben. Die deutschen Wissenschaftler sind nicht das erste Mal in der Arktis. Im Auftrag der Bundesregierung erkundeten sie bereits 2008 und 2010 die Gegend der Bafin Bay, westlich von Grönland. 2013 dann das Grönländische Meer sowie die Barentssee.

Umweltverbände sehen diese Forschungsarbeiten kritisch: Zu kompliziert sei die politische Gemengelage und zudem sei die Ölförderung in der Arktis ein zu großes Risiko für Natur und Umwelt. Außerdem wolle man doch weg von fossilen Energieträgern. Die letzten Ölvorkommen der Welt dürften deshalb gar nicht erst angezapft werden, fordern Klimaforscher. Denn nur so seien die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens überhaupt noch zu erreichen.
Die Deutschen Forscher hingegen, wollen durch ihre Grundlagenforschung die internationale Diskussion erst einmal versachlichen. 

Wie entsteht Erdöl?

Grafik mit einem Erdölförderturm und Erdöl am Meeresboden.
Öl- und Gasförderung konnte das Ökosystem der Arktis gefährden.  | Bild: hr

Das europäische Erdöl entstand im Wesentlichen während des Jura, also vor rund 150 Millionen Jahren. An anderen Orten auch während der Kreidezeit vor 150 bis 65 Millionen Jahren. Exoten gibt es auch: Sie bildeten sich im Eozän (Ölschiefer), vor 38-55 Millionen Jahren.
Die entscheidende Frage für die Forscher ist deshalb: Wie hat sich der grönländische Kontinentalrand entwickelt und könnte es dabei zu Einschlüssen von Erdöl oder Erdgas gekommen sein? Erste Hinweise könnten Gesteinsproben liefern, die am Erdboden gesammelt werden. Sie werden vor allem auf ihr Alter untersucht. Denn vor rund 200 Millionen Jahren wurden aus einem einzigen, großen Kontinent mehrere kleinere und dann – vor 55 Millionen Jahren – trennten sich das heutige Grönland und Skandinavien voneinander. Es entstanden das norwegische Becken und die Grönland See – Regionen in denen heute Erdgas und Erdöl vermutet wird.

Bei der Entstehung von Erdöl spielt Plankton eine wichtige Rolle. Diese tierischen und pflanzlichen Kleinstlebewesen sinken – nach ihrem Absterben – auf den Grund. In Regionen ab 200 Meter Tiefe gelangt kein Sauerstoff an ihre Überreste. Die Folge: Sie verwesen nicht.
Im Laufe der Jahre mischen sich nun Sand und Ton unter die Planktonschicht. Es bildet sich das sogenannte Erdölmuttergestein. Millionen Jahre lang legen sich nun weiter Schichten darüber. Bis auf 3.000 Meter sinkt das Gestein hinab. Druck und Temperatur sorgen dafür, dass die großen Moleküle brechen und sich in Kohlenwasserstoffverbindungen verwandeln – in Erdöl und Erdgas.

Die begehrten Rohstoffe wandern durch poröse Gesteinsschichten nach oben. Solange, bis sie durch undurchlässige Schichten gestoppt werden und sich unter Aufwölbungen ansammeln. Millionen Jahre später: Indem die begrenzenden Schichten durchbohrt werden, können Erdöl und Erdgas gefördert werden - vorausgesetzt sie werden gefunden.

Erdöl und Erdgas? Seismische Messungen und Gesteinsproben

Gesteinsproben werden entweder mithilfe einer Dredge – einer Art Rechen – vom Meeresboden geholt oder mithilfe eines "Multicorers". Mit dem Multicorer können Sedimentproben aus dem Meeresboden "gestanzt" werden. Bis zu 80 Zentimeter tief dringen die acht Röhren des Gerätes dafür in den Boden ein. Nur Sekunden später wird er wieder hochgezogen, mitsamt seiner Fracht: wertvolle Schlamm- und Gesteinsproben aus der Tiefe. Diese werden dann später in einem Labor untersucht.

Ein Gruppe von Forschern vor Gesteinsproben
Gesteinsproben vom Meeresboden | Bild: hr

Die deutschen Wissenschaftler sind zunächst skeptisch, ob in der Arktis tatsächlich ergiebige Ölquellen zu finden sind. Genaueres wollen sie mithilfe von Schallwellen herausfinden, mit denen sie die Gesteinsschichten am Meeresgrund untersuchen. Dafür lassen sie ein drei Kilometer langes "Streamerkabel" vom Schiff ins Wasser. Mit ihm kann man Schallsignale bis zu einer Tiefe von 10.000 Metern empfangen. Zwei Millionen Euro kostet die Technik, die wie ein Ultraschallgerät funktioniert. Ausgesendet werden die Signale von "Luftpulsern", die an Bojen hängen. Während das Schiff mit gleichbleibender Geschwindigkeit fährt, schießen die Luftpulser alle elf Sekunden hochkomprimierte Luft mit 130 Bar ins Wasser. Die Schallwellen breiten sich im Salzwasser mit 1.500 Meter pro Sekunde aus und treffen auf den Boden, der einen Teil der Signalenergie reflektiert. Je nach Gesteinsschicht dringen die Schallwellen unterschiedlich tief ein. Aus der Laufzeit der Signale ergibt sich später ein differenziertes Bild des Meeresbodens. Verschiedene Gesteinsschichten lassen sich so voneinander unterscheiden.

Allerdings stehen die Schallwellen im Verdacht, dass Innenohr von Tieren zu schädigen. Deshalb lässt die grönländische Regierung die deutschen Geologen nicht ohne Auflagen arbeiten. Die Polarstern muss während der Messungen mindestens 2.000 Meter Abstand zu jedem Grönlandwal halten und 500 Meter zu anderen Tieren. Eine Walbeobachterin überwacht, dass die Bedingungen eingehalten werden.

Untersuchung von Mikroorganismen

Auch Mikroorganismen werden auf der Reise gesammelt und später im Labor untersucht. Besonders interessant ist für die Forscher die Frage, wie die empfindlichen Mikroorganismen auf einen Ölaustritt, etwa durch einen Unfall, reagieren würden. Ihre Hoffnung: Mikroorganismen zu entdecken und zu kultivieren, die in der Lage sind, Öl abzubauen. Denn inzwischen ist bekannt, dass sich verschiedene Bakterien quasi von Erdöl ernähren. Dabei setzen sie Stoffe frei, die andere Organismen nutzen können. Diese Untersuchungen helfen, die Folgen eines Unfalls in der Arktis besser abschätzen zu können, etwa bei einer Ölpest.

Gefahr durch Probebohrungen

Grafische Darstellung eines Schiffes, dass Messungen am Meeresboden durchführt.
Seismische Messungen | Bild: hr

Sollte die Grundlagenforschung der deutschen Wissenschaftler einen Hinweis auf Erdöl und Erdgas liefern, heißt das aber noch lange nicht, dass tatsächlich Öl vorhanden ist. Gewissheit liefern erst Probebohrungen. Die aber lehnen Umweltschutz-Organisationen wie Greenpeace strikt ab. Denn verschiedene Unfälle haben gezeigt, wie verheerend die Folgen sein können. Wie im Fall der Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Dort hat man im April 2010 die Kontrolle über das Bohrloch verloren. Es dauerte insgesamt 90 Tage bis das Leck dann wieder geschlossen werden konnte.

Experten gehen davon aus, dass dabei fast fünf Millionen Barrel Erdöl ausgelaufen sind - umgerechnet rund 800 Millionen Liter landeten an den Küsten und am Meeresgrund. Auf solch ein Problem in der Tiefsee war niemand vorbereitet. In der Arktis käme dann noch erschwerend hinzu, dass es in der nahezu unbewohnten Region keinerlei Infrastruktur gibt, um soeinen Unfall zu bekämpfen. 

Erste Forschungsergebnisse

Die Arktisreise der Wissenschaftler im Jahr 2018 dauerte insgesamt vier Wochen.  Die gesammelten Daten und Proben werden anschließend in verschiedenen Instituten ausgewertet. Bei Dr. Volkmar Damm, dem wissenschaftlichen Leiter, laufen alle Fäden zusammen.

Erst vor kurzem sind die Berechnungsmodelle und Ergebnisse für die Forschungsfahrten 2013 und 2015 fertig geworden. Mit überraschendem Ergebnis: Auf der östlichen Seite, also dem Gebiet der Barentssee, ist tatsächlich mit erheblichen Erdöl- und Erdgaslagerstätten zu rechnen.

Die Daten von vier weiteren Fahrten in die Region rund um den Nordpol, müssen noch ausgewertet werden. Falls auch die zu dem Ergebnis kommen, dass dort ergiebige Erdölquellen schlummern, ist könnte es mit der unberührten Natur und ihrer außergewöhnlichen Schönheit vorbei sein. Umweltschützer fordern deshalb eine Schutzzone um die Arktis, unter Aufsicht der Vereinten Nationen.

Autorin: Stephanie Krüger (hr)

Stand: 31.01.2020 22:48 Uhr

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