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Wohin mit dem Atommüll?

Endlager und drei Atomkraftwerke
Das Endlager liegt unweit der drei Atomkraftwerke auf Olkiluoto, Finnland. | Bild: Olkiluoto aerial, TVO

In Deutschland wird noch nach dem besten Standort gesucht, in Finnland bereits seit 20 Jahren gebaut. Schon in vier bis fünf Jahren soll das Endlager ONKALO auf der Insel Olkiluoto, im Südwesten des Landes, fertig sein, und die ersten gebrauchten Brennstäbe dort eingelagert werden. Wie sicher ist das? 

Finnland hat sich bereits vor Jahren entschieden, den hochradioaktiven Atommüll in Kupferbehälter einzuschließen und ihn 420 Meter unter der Oberfläche zu lagern, in fast zwei Milliarden Jahren altem Granitgestein. Doch wie haltbar sind die Endlagerbehälter? Finnland hat als mögliches Endlagergestein nur sogenannten nassen Granit, das heißt, durch Klüfte im Gestein kann Wasser in die Endlagerstätte gelangen. So ein Wassereinbruch wird in Deutschland von einigen Fachleuten als "worst case" angesehen. Im finnischen Endlager glaubt man, das beherrschen zu können.

Leben direkt neben dem Endlager

Blick ins Endlager-Bohrloch
Endlager-Bohrloch: Hier kommen die Endlagerbehälter aus Kupfer rein. | Bild: ONKALO, Tapani Karjanlahti/TVO

Die Menschen im finnischen Eurajoki leben schon seit Jahrzehnten neben zwei Atomkraftwerken, die auf der benachbarten Insel Olkiluoto stehen. Ein drittes ist noch im Bau. Bedenken oder Ängste wegen der Atomkraft haben dort die wenigsten. Selbst ein Störfall im letzten Dezember in einem der beiden Atomkraftwerke änderte daran nichts. Sie habe davon aus den Medien gehört und gedacht: "Okay, wenn die vom Atomkraftwerksbetreiber TVO so ruhig bleiben, wird wohl nichts Schlimmeres passiert sein", meint Ilona Sjöman. Die Gemeinderätin und Krankenschwester hat fünf Kilometer von den Atomkraftwerken und dem neuen Endlagerstandort entfernt ihre Kindheit verbracht und lebt immer noch dort. Über das Endlager freut sie sich: "Für mich fühlt es sich sicherer an, wenn der Atommüll dort unten liegt und nicht oberirdisch in Zwischenlagern", sagt sie.

Atomkraft hat in Finnland ein gutes Image

Die Mehrheit der Menschen in Finnland ist stolz auf das technische Know-how ihrer Fachleute und vertraut auf deren Aussagen. Ilona Sjöman kennt das Endlagerprojekt schon lange. Bereits 2004 hatte der örtliche Gemeinderat mit Zweidrittelmehrheit für das Endlager gestimmt. Damals war sie noch Schülerin, kannte aber wie fast jedes finnische Schulkind bereits das Besucherzentrum des künftigen Endlagers. Heute sitzt sie selbst im Gemeinderat und zeigt es ihren Kindern. Dort wird ihnen erklärt, wie das Endlager funktioniert und wie sicher es sein wird. Sie kennen das Modell eines Endlagerbehälters in Originalgröße und schon öfter haben sie in die drei acht Meter tiefen Endlager-Bohrlöcher geblickt, die man dort besichtigen kann.

Sicherheit für mindestens 100.000 Jahre

Grafik von einem Wagen der Betonnit in einen Schacht lässt.
Zusätzlicher Schutz: Die Endlagerbehälter werden mit Bentonitgestein umhüllt.  | Bild: Posiva

Tiina Jalonen leitet die Entwicklungsabteilung beim Endlagerunternehmen Posiva. In Finnland sorgen die Atomunternehmen selbst für die Endlagerung. Es sei schon eine Herausforderung, für alles eine Lösung zu finden, meint sie. Immerhin gebe es niemanden, den man um Rat fragen könne. Das Endlagerkonzept muss Sicherheit für eine Zeit gewährleisten, die kaum vorstellbar und berechenbar ist. Mindestens 100.000 Jahre soll der Atommüll sicher eingeschlossen sein. Besonders wichtig: Radioaktive Stoffe, die man auch Radionuklide nennt, dürfen aus den Endlager-Bohrlöchern nicht ins Grundwasser gelangen.

Was in so einem Fall passieren würde, untersucht auch ein Forscherteam am KIT, dem Karlsruher Institut für Technologie. "Bei Kontakt von Wasser mit Kernbrennstoff können Radionuklide aus dem Kernbrennstoff herausgelöst werden und ins Grundwasser gelangen", sagt Prof. Volker Metz, Leiter der Abteilung für Endlagersysteme des Instituts für nukleare Entsorgung am KIT.
Das finnische Endlager ist in Granitgestein gebaut. In Granit können sich Risse, Klüfte und Spalten bilden. An vielen Stellen kann Grundwasser durchs Gestein wandern. In Finnland nimmt man das in Kauf, denn sie haben keine Wahl: Dort gibt es nur Granitgestein.

Welches Gestein ist das Beste für ein Endlager?

In Deutschland hingegen gibt es noch anderes Gestein, das für ein künftiges Endlager in Frage kommt: Tongestein in Norddeutschland oder Steinsalz in der Mitte – oder im Süden auch kristallines Gestein wie Granit. Bei Steinsalz draf kein Grundwasser in das Endlager eindringen. Es könnte sonst das Salz auflösen. Dafür leitet Salz die Wärme des Atommülls gut ab. Tongestein bietet den besten Schutz vor eindringendem Wasser, leitet die Wärme des Atommülls aber schlecht ab.

Im Endlager ONKALO muss der Atommüll auch dann noch sicher sein, wenn Wasser eindringen sollte. Deshalb setzt man auf mehrere Barrieren. Zum Beispiel auf Ringe aus zusammengepresstem Bentonitgestein. Das vulkanische Mineral soll die Kupferbehälter in den Endlager- Bohrlöchern wie eine zusätzliche Hülle gegen Wasser schützen. Und es kann gefährliche Radionuklide zurückhalten. Auch die Tunnel werden mit Bentonit verfüllt. Bei Kontakt mit Wasser quillt er auf und dichtet sie ab.

Wie haltbar sind die Kupferbehälter?

Am wichtigsten, um die Brennelemente für sehr lange Zeit sicher zu lagern, ist der Behälter. Das Innere ist aus Gusseisen, das Äußere aus fünf Zentimeter dickem Kupfer. Das Konzept dafür kommt aus Schweden, aber dort wurde das Endlagerprojekt vorerst gestoppt. Dort gebe es einen Expertenstreit darüber, erklärt Volker Metz vom KIT, wie schnell das Kupfer "rostet beziehungsweise korrodiert. "Neuere Untersuchungen deuten an, dass es bereits nach 10.000 oder 50.0000 Jahren ein, zwei, bis fünf Zentimeter durchgerostet ist." Weit entfernt also von den mindestens 100.000 Jahren, für die im finnischen Endlager die Sicherheit gewährleistet sein muss. Erst dann ist die Strahlung hinreichend abgeklungen. Nach 200.000 Jahren liegt die Strahlung des Mülls auf dem Niveau von Natururan.

Tiina Jalonen indes ist sicher, dass die Endlagerbehälter die 100.000 Jahre unbeschadet überstehen. Ihre Forschungen dazu seien eindeutig: "In unserem Entsorgungskonzept haben wir fünfzig Millimeter dickes Kupfer, das unter unseren Lagerbedingungen schätzungsweise mehrere hunderttausend Jahre hält. Und es wurde angenommen, dass es nur wenige Millimeter korrodieren würde. Wir haben fünfzig Millimeter - also gibt es einen hohen Sicherheitsfaktor."

Großes Vertrauen in das Mehrbarrieren-System

Ein Mann in Schutzkleidung vor Granitgestein.
Granitgestein im Endlager ONKALO. | Bild: ONKALO, Tapani Karjanlahti/TVO

Doch selbst wenn das Kupfer früher zerstört wird als die Fachleute in Finnland berechnet haben, gibt es noch die zusätzliche Barriere Bentonitgestein. Das Mehrbarrieren-System überzeugt auch Volker Metz. "Gerade in Finnland brauchen sie das Mehrbarrieren-System. Das ist ganz wichtig. Es ist nicht eine Barriere, mit der es steht oder fällt, sondern das Zusammenwirken von allen Barrieren, darin haben wir großes Vertrauen." Was kann man in Deutschland von den Finnen lernen? Letztendlich, dass es den perfekten Standort im perfekten Gestein vermutlich nicht gibt.

Den perfekten Standort gibt es nicht

Tongestein scheint dort wo es verfügbar ist, das von etlichen Ländern favorisierte Endlager-Gestein zu sein. Etwa von der Schweiz, Belgien und Frankreich. Doch am Ende kommt es für ein möglichst sicheres Endlagerkonzept eben nicht nur auf das Gestein an. Entscheidend ist ein Konzept mit mehreren Barrieren.

Auch wenn Finnland der Welt vorzumachen scheint, wie man die Endlagerung von Atommüll erfolgreich hinbekommen kann, sind dort nicht alle Probleme gelöst. Das Endlager ONKALO wird nicht reichen, für den gesamtem hochradioaktiven Abfall. Denn es entsteht gerade ein neues Atomkraftwerk, Hanhiviki 1, und damit bald zusätzlicher Atommüll.

Autoren: Wolfgang Zündel, Claudius Technau (HR)

Stand: 06.03.2021 14:44 Uhr

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