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Tarnen und täuschen – Wie Blumen Insekten ihre Pollen unterjubeln

Wanzen auf der Pflanze Roridula
Die Wanzen auf der Roridula sind immun gegen die klebrigen Härchen. | Bild: NDR

Die Geschichte von Bienchen und Blümchen ist uralt. Und doch sind noch nicht alle Kapitel erzählt. Denn das Werben der Blumen um die Insekten endet längst nicht bei süßem Nektar und Farbenpracht. Das bieten schließlich fast alle Blüten. Einige Pflanzen haben im Lauf der Evolution erstaunliche Tricks entwickelt, mit denen sie die Insekten besonders effektiv anlocken und benutzen – zur Bestäubung, zur Nahrungsbeschaffung und vielem mehr.

Salbei mit Schlagbaum-Mechanismus

Der Salbei gilt als Gewürz- und Heilpflanze. Weniger bekannt ist, wie trickreich Salbei um Bienen und Hummeln wirbt. So hat die Blüte im Laufe der Evolution eine vorgeschobene Unterlippe entwickelt, die als Landplatz für die anfliegenden Insekten dient. Diese wollen nur das eine: Nektar. Doch vor dem sogenannten Nektarium sitzt beim Salbei eine Sperre. Schlagbaum-Mechanismus nennen die Botaniker diese trickreiche Konstruktion.

Die Hummel oder Biene drückt mit dem Kopf gegen die Sperre und betätigt dadurch einen langen Hebel, an dessen Ende die Pollensäckchen mit dem männlichen Pollen befestigt sind. Während das Insekt seinen Kopf in die Blüte presst, um Nektar aufzusaugen, wird ihm durch den Hebelmechanismus der Pollen auf dem Hintern gerieben. Derart beladen fliegt es dann zur nächsten Blüte. Damit es dort zu einer erfolgreichen Befruchtung kommt, ist das Timing entscheidend: Salbei ist vormännlich, wie die Botaniker sagen. Das heißt, die männlichen Geschlechtsorgane werden als erste reif. Erst Tage danach entwickelt sich in derselben Blüte der Stempel, der den Pollen aufnimmt. So wird verhindert, dass sich die Pflanze selbst bestäubt.

Für eine erfolgreiche Befruchtung ist der Salbei also darauf angewiesen, dass das pollenbeladene Insekt eine Blüte ansteuert, die schon einige Tage weiter im Reifeprozess ist und deren weibliche Geschlechtsorgane nun empfangsbereit sind. Auch diese befinden sich am Hebelmechanismus und holen sich den Pollen zielgerichtet dort ab, wo die andere Blüte sie hingerieben hat – am Hinterteil des ahnungslosen Insekts.

Roridula: Pflanze und Wanze arbeiten zusammen

Wanzen auf der Pflanze Roridula
Die Wanzen auf der Roridula sind immun gegen die klebrigen Härchen. | Bild: NDR

Ein weiteres Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen Pflanze und Insekten ist die Roridula. Sie gehört zur Gruppe der Klebefallen. Das südafrikanische Gewächs fängt Insekten mit langen, klebrigen Haaren, die am Rand seiner schmalen Blätter hervorsprießen. Fressen kann Roridula die Insekten allerdings nicht. Dafür braucht sie die Hilfe von besonderen Wanzen, die auf ihr leben. Diese sind durch eine dicke Sekret-Schicht am ganzen Körper vor den klebrigen Härchen der Roridula geschützt und können ungehindert über die Blätter laufen. Sie finden die gefangenen Insekten innerhalb von Minuten und fressen sie auf. Die Roridula wiederum ernährt sich vom Kot der Wanzen. Darin sind noch so viele Nährstoffe enthalten, dass sie gut davon leben kann.

Mietfrei wohnen für Ameisen

Aufgeschnittene Knolle der Pflanze Myrmecodia mit Gängen.
Die Myrmecodia bildet einen bezugsfertigen Ameisenbau in ihrer Knolle. | Bild: NDR

Ein weiteres Beispiel für eine Symbiose zwischen Insekten und Pflanze ist die Myrmecodia, auch Ameisenpflanze genannt. Sie lebt auf Bäumen und hat keinen Kontakt zum Boden. Deshalb kann Myrmecodia auch keine Nähstoffe aus dem Erdreich aufnehmen. Das trickreiche Gewächs kompensiert den Nachteil mithilfe von Ameisen. Die Pflanze bildet eine dicke Knolle aus, in der Gänge und Kammern entstehen – der bezugsfertige Ameisenbau. Die Insekten entdecken und besiedeln die Knolle sehr schnell. Myrmecodia bietet ihnen glattwandige Kammern, die die Ameisen als Wohn- und Brutstätten nutzen. Zudem gibt es in der Knolle auch rauwandige Kammern mit Warzen an den Wänden. Dort lagern die Insekten ihren Müll: Kadaver von Beutetieren, andere Speisereste oder tote Artgenossen. Über die Drüsen in diesen Kammern kann Myrmecodia die wertvollen Nährstoffe aus den "Abfällen" gewinnen und sich so versorgen.

Amorphophallus: bestialischer Gestank lockt Insekten

Ein Blatt, das aussieht wie ein Baum.
Ein Blatt, das tut als sei es ein Baum. Die Flecken auf dem "Stamm" imitieren Flechten-Bewuchs | Bild: NDR

Die Vertreter der Gattung Amorphophallus gelten als Meister der Täuschung. Sie verbergen sich nicht, sondern sie verkleiden sich – als Bäume: Amorphophallus gigas zum Beispiel kann bis zu sechs Meter hoch werden. Die Pflanze besteht dabei aber nur aus einem einzigen Blatt. Der Stiel wird so dick wie ein menschlicher Oberschenkel. Das Blatt ist vielfach gefiedert und unterteilt, sodass es auf den ersten Blick aussieht wie eine stattliche Baumkrone. Doch der Eindruck täuscht. Denn die Struktur ist weich und anfällig. Amorphophallus gigas wächst in Regenwäldern, wo kaum ein Windhauch weht. Eine steife Brise würde den dicken Stiel des Blattes knicken und abbrechen lassen.

Zudem muss sich die Pflanze vor Tieren schützen, die auf der Suche nach Nahrung in den saftigen Stiel beißen oder auch einfach nur aus Unachtsamkeit dagegen laufen könnten. Das tut sie, indem sie so tut, als sei sie mit Flechten bewachsen. Denn Flechten besiedeln nur massive Strukturen wie Steine oder altes Holz. Zudem sind Flechten für die meisten Tiere ungenießbar. Aus Sicht eines Tieres bedeutet das: "Beiß nicht rein, laufe nicht dagegen." Amorphophallus gigas bildet Flechtenmuster auf seiner Oberfläche aus, die so echt erscheinen, dass Botaniker sogar bestimmen können, welche Flechtenart die trickreiche Pflanze gerade nachmacht.

Auch dieser Hochstapler kann blühen. Die Blüte sitzt allerdings nicht am Blatt, sondern sie wächst als eigener Spross aus der unterirdischen Knolle der Pflanze. Die Geschwindigkeit, mit der sie das tut, ist erstaunlich. Zum Teil wächst der Blütenstand bis zu 20 Zentimeter pro Tag. Das Erblühen selbst dauert dann nur einen einzigen Tag. Mit bestialischem Gestank lockt Amorphophallus gigas Fliegen, Käfer und andere Aas fressende Insekten an. Die Blüte heizt sich dabei auf bis zu 40 Grad auf. Dadurch entsteht ein Kamineffekt, der die Duftstoffe hoch über die Baumwipfel des Regenwaldes transportiert und potenzielle Bestäuber aus vielen Kilometern Entfernung anlockt. Die Insekten müssen allerdings etwas Geduld mitbringen. Denn die Pflanze schließt sie 24 Stunden in der Blüte ein und entlässt sie dann, reichlich mit Pollen eingestaubt, wieder in die Freiheit. Kurz darauf fällt die Blüte in sich zusammen. Das Spektakel wiederholt sich im nächsten Jahr wieder.

Es geht allerdings auch ein paar Nummern kleiner. Der Amorphophallus gigas gehört zur Familie der Ararceae. Zwei europäische Verwandte sind der Aronstab und die Callas. Die Duftpalette der Aronstabgewächse reicht von Aasgeruch über Käsegestank bis zum Schuhcreme-Aroma. Die meisten Duftrichtungen sind für Menschen abstoßend.

Autor: Björn Platz (NDR)

Stand: 15.08.2020 12:52 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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