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Chemikalien: Gift im Kleiderschrank

Regal mit vielen bunten Garnen und zwei Männer im Laborkittel
Wie gefährlich sind die Chemikalien in der Kleidung? | Bild: WDR

Leuchtend bunte T-Shirts, knitterfreie Hemden und wasser- und schmutzabweisende Funktionskleidung – schön und praktisch, aber giftig! Denn die Textilindustrie setzt dafür im großen Stil Chemikalien ein: NPEO, Aldehyde und PFC. Und das hat seinen Preis. Einige der eingesetzten Substanzen stehen im Verdacht, krebserregend zu sein oder sie beeinflussen das menschliche Hormonsystem.

Doch wie können wir uns davor schützen? Ein Beispiel: NPEO (Nonylphenolethoxylate) sind in der EU längst verboten. Doch in Asien werden sie als günstige Wasch- und Netzmittel weiterhin in der Textilproduktion eingesetzt und mit den fertigen Kleidungsstücken nach Europa importiert. Denn erst ab 2021 wird der Import belasteter Textilen mit NPEO in die EU ganz verboten werden. Das hält unsere Flüsse dann sauber. Doch für die Umwelt in den der Produzentenländern hat das Verbot negative Folgen: Die Hersteller werden wahrscheinlich nicht auf NPEO verzichten, sondern die Kleidung einfach öfter waschen – mit Frischwasser, das den Menschen vor Ort dann fehlt. Zurück bleibt noch höher belastetes Abwasser.

Ein anderes Beispiel: Die krebserregenden Aldehyde (zum Beispiel Formaldehyd) werden bei der Herstellung von Farbstoffen angewendet und sollen Kleidungsstücke wie Hemden knitterfrei machen. Industriearbeiter, die diesem Giftstoff ausgeliefert waren, sind an Tumoren des Nasen-Rachenraumes erkrankt. Ob Formaldehyd in einem Kleidungsstück verwendet wurde, ist an Hinweisen wie "vor dem ersten Tragen waschen" zu erkennen, aber besser ist es, gar nicht erst knitterfreie Ware zu kaufen.

Neu entwickelte Farben sind umweltfreundlicher!

Ein Mann gießt rote Flüssigkeit in ein Reagenzglas.
Umweltschonendere Reaktivfarbstoffe sparen Wasser und Energie | Bild: WDR

Um umweltfreundlicher zu färben, greifen Chemiker in die molekulare Trickkiste: Neue Reaktivfarbstoffe werden mit mehr Ankermolekülen ausgestattet. So binden sie sich effektiver an die Fasern, auch schon bei niedrigeren Temperaturen. Früher verblieben im Abwasser über die Hälfte der Farbstoffe. Heute reagieren neu entwickelte Farbstoffe schneller mit den Gewebefasern, sodass nur noch 5 bis 10 Prozent ins Abwasser gelangen. Die Färbereien sparen so mindestens einen Spülgang ein. Zudem ist für die Fixierung deutlich weniger Salz notwendig, da die Anziehungskräfte der Farbstoffmoleküle optimiert wurden. Gelangen Salze aus den Färbereien ungefiltert in die Umwelt, versalzen sie das Grundwasser – so wie in ganzen Regionen Indiens.

Wunderwaffe PFC – eine unsichtbare Gefahr

Die in der Textilproduktion eingesetzten chemischen Hilfsmittel bleiben für uns Kunden meist unsichtbar. Wir nutzen nur deren Effekte. Wasser und Schmutz perlen an Funktionskleidung einfach ab. Aber warum? Poly- und perfluorierte Chemikalien, kurz PFC, machen das möglich. Doch diese PFC haben einen entscheidenden Haken: Es sind künstliche, besonders stabile, chemische Verbindungen, die weder durch Bakterien noch durch Pilze abgebaut werden können. Sie verteilen sich über Wasser- und Luftströme, gelangen in Böden, ins Grundwasser und damit auch in unseren Körper. Einmal in der Umwelt, bauen sie sich nicht mehr ab.

Die deutsche Umweltstudie zu Gesundheit GerES V (2014-2017) hat auch bei Kindern und Jugendlichen zu viele langlebige Chemikalien aus der Stoffgruppe der PFA im Blut festgestellt. PFA sind eine Untergruppe der PFC. Auch in deutschen Outdoor-Geschäften hat Greenpeace deutliche erhöhte Messwerte von PFC in der Luft festgestellt. Sie dünsten aus neuer Funktionskleidung aus. Bei unserer Stichprobe in der Garderobe eines Kindergartens konnten wir keine flüchtigen PCF nachweisen – eine gute Nachricht. Gebrauchte Funktionskleidung dünstet weniger flüchtige PFC aus als neue. Doch PFC-Partikel lösen sich auch durch Reibung und Knittern aus den Matschhosen, Regenjacken und Gummistiefeln und verbleiben in der Umwelt.

Wie funktionieren PFC?

Öltropfen perlt an einem Stück Stoff ab
Die PFC-Ausrüstung garantiert Schutz vor Wasser und Fetten. | Bild: WDR

Es wirkt wie Zauberei: Die Gewebe werden in die flüssigen fluorhaltigen Chemikalien eingetaucht, getrocknet und schon besitzen sie völlig neue Eigenschaften: Wasser und Öle perlen einfach ab. Nun haften Fluor-Atome an den Fasern und deren atomare Eigenschaften verringern die Oberflächenspannung der Textilien. Ein Wassertropfen hingegen besitzt eine sehr hohe Oberflächenspannung. Sie hält den Tropfen zusammen. Auch wenn er auf ein Gewebe mit niedrigerer Oberflächenspannung trifft. Das Wasser läuft einfach ab und zieht nicht ein. Die fluorhaltigen PFC-Ausrüstungen setzen die Oberflächenspannung der Textilien sehr weit herab. So weit, dass sogar Fette und Öle einfach abperlen, dabei besitzen Öle deutlich weniger Oberflächenspannung als ein Wassertopfen.

Zum Glück gibt es mittlerweile Alternativen zum PFC. Zum Beispiel können auf Gewebe wasserabweisende Beschichtungen aus Polyurethan aufgetragen werden. Oder Textilien werden mit langkettigen Polymeren ausgerüstet, die wasserabweisende Moleküle tragen. Für die deutlich kleineren Wasserdampfmoleküle bleiben die Textilien durchlässig. Sie sind also atmungsaktiv. Nur einen Nachteil haben die umweltfreundlicheren Alternativen: Fette und Öle stoßen sie nicht ab. Als Arbeitskleidung sind sie also noch nicht einsatzbereit – aber für einen Spaziergang im Regen taugen sie allemal.

Kampf für PFC-freie Kleidung

Tafel "PFC Free" in einem Outdoorladen
Inzwischen wächst das Angebot an PFC-freier Funktionskleidung. | Bild: WDR

Einige PFC hat die EU bereits verboten, weil sie nachweislich die Leber angreifen oder die Entwicklung der Schilddrüse stören. Doch damit ist das Problem nicht gelöst. Zwar investieren viele Hersteller derzeit in die Entwicklung fluor-freier Imprägnierungen. Andere ersetzen aber einfach die langkettigen, besonders bedenklichen PFC durch kurzkettige Fluorchemikalien. Diese sind nach heutigen Erkenntnissen zwar nicht ganz so schädlich wie ihre langkettigen Verwandten, können jedoch in gesundheitsgefährdende Bestandteile abgebaut werden. Grenzwerte gibt es bislang keine.

Greenpeace fordert ein europaweites Verbot der kompletten Stoffgruppe der PFC. Um mehr Druck auf Hersteller und Politik auszuüben, hat Greenpeace vor elf Jahren eine weltweite Detox-Aktion gestartet, mit Erfolg: 80 teils führende Modeunternehmen haben sich inzwischen verpflichtet, giftfrei zu produzieren. Beim Kleiderkauf können Verbraucher sich an "PFC-free"-Labeln orientieren. Fett- und Ölabweisend ist diese Funktionskleidung zwar nicht, aber für den Einsatz im Alltag dürfte das nicht entscheidend sein.

Autorin: Kristin Siebert (WDR)

Stand: 11.12.2020 16:38 Uhr

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