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Wie Corona unsere Innenstädte verändert

Geschlossenes Geschäft mit verhängten Schaufenstern.
Leerstand auf der Frankfurter Zeil  | Bild: NDR

Seit einem Jahr lebt Deutschland im Krisenmodus und die neue Realität trifft viele Großstadtmenschen besonders hart. Denn die deutschen Metropolen sind alles andere als krisenfest: Homeoffice im Schlafzimmer und leere Büroviertel, Onlineshopping-Boom und Ladensterben, Wohnen im Schuhkarton und überfüllte Parks legen es an den Tag. Die Städte werden sich durch die Auswirkungen der Krise verändern. Welche Chancen darin liegen und welche Konzepte dafür die richtigen sind, diese Fragen beschäftigen inzwischen Stadtplaner und Architekten in der ganzen Republik.

Leere Innenstädte: Corona als Brandbeschleuniger

Grünfläche in einer Stadt
Wer in einer engen Stadtwohnung lebt, braucht attraktive öffentliche Räume. | Bild: NDR

Die ersten, unmittelbaren Folgen der Krise sind in den Innenstädten offensichtlich: Immer mehr Läden stehen leer. Die Nachfrage nach Büroflächen sinkt vielerorts. Es ist nicht so, dass Corona der alleinige Grund für den Niedergang deutscher Fußgängerzonen ist. Der Boom des Onlineshoppings und die Digitalisierung der Arbeitswelt sind keine neuen Entwicklungen. Aber die Pandemie beschleunigt die Krise. Zu lange haben sich die Städte auf die Sogwirkung von Einzelhandel und Büroflächen verlassen.

In normalen Zeiten kommen mehr als Dreiviertel der Besucher zum Einkaufen oder zum Arbeiten in die Innenstadt, das zeigen Untersuchungen des deutschen Handelsverbands. Mehr als die Hälfte der Innenstadthändler sehen ihre Existenz bedroht. Denn in der Krise bleiben Bummler, Touristen und Pendler als Laufkundschaft aus: Warum sollten sie auch in die Stadt fahren, wenn es sich von der Couch bequemer und sicherer einkaufen und arbeiten lässt. Die Pandemie zwingt viele Städte zum Umdenken. Reine Geschäftsviertel oder reine Einkaufsstraßen sind anfällig für Krisen und sie werden auch in Zukunft weniger Menschen in die Innenstädte locken können.

Lebendige Quartiere, kurze Wege

"Monofunktionalität ist Gift für die Stadtentwicklung", sagt auch Christoph Mäckler, Frankfurter Architekt und Gründer des Instituts für Stadtbaukunst an der TU Dortmund. "Europäische Städte leben von sozialer und funktionaler Vielfalt", sagt er. Seine Vision eines krisenfesteren, lebendigen Stadtteils will er zusammen mit dem Frankfurter Stadtrat Mike Josef auf dem zentral gelegenen Römerhof verwirklichen. Bislang gibt es hier einen  Betriebshof, Gewerbe, ein Ordnungsamt und Kleingärten. Nun sollen 2.000 Wohnungen entstehen. Außerdem sind eine Schule, Sportanlagen und Geschäfte geplant – ein gemischtes Viertel, in dem alles, was man im Alltag braucht, auf kurzem Weg erreichbar ist.

Zurück in die Zukunft

Begrünte Gebäude aus der Vogelperspektive in einer Skizze
Planungsentwurf für den neuen Frankfurter Römerhof | Bild: Deutsches Institut für Stadtbaukunst

Der Blick in die Zukunft des Römerhofs ist auch ein Blick zurück ins späte 19. Jahrhundert. Denn Mäckler und Josef nehmen sich ganz bewusst die Viertel der Gründerzeit zum Vorbild: Der städtebauliche Entwurf sieht grüne Alleen, Plätze und Innenhöfe vor, denn die fehlen Städtern in der Krise besonders. Doch dieses Bedürfnis wurde im Siedlungsbau der Nachkriegszeit stiefmütterlich behandelt.

Wer in einer engen Stadtwohnung lebt, braucht attraktive öffentliche Räume mit hoher Aufenthaltsqualität, auch das ist eigentlich nicht erst eine Lehre der Lockdowns. Wo diese Räume fehlen, da steigt (jetzt) die Nachfrage nach Häusern mit Garten im Umland. Die vielerorts schnell und günstig hochgezogenen Standardwohnblöcke, von Kritikern spöttisch als "architektonischer Würfelhusten" bezeichnet, sind offenbar nicht krisenfest: Eine repräsentative Forsa-Umfrage für das Dornieden-Wohnbarometer zeigt, dass die Pandemie Wohnbedürfnisse verändert: Ein eigener Balkon ist für jeden zweiten Bundesbürger wichtiger geworden, sogar 65 Prozent wünschen sich einen eigenen Garten. Lebendige, gute Nachbarschaften sind in der Krise essenziell.

Auch in dieser Hinsicht könnte die Gründerzeit ein Vorbild sein: Damals gab es vielfältigere Häusertypen, die um grüne Innenhöfe herum nicht nur eine funktionale, sondern auch eine soziale Mischung ermöglichten: Im Vorderhaus wohnte der Professor, im Hinterhaus der Handwerker. Heute gehören diese Viertel in vielen Städten zu den beliebtesten Wohnlagen, obwohl sie gleichzeitig am dichtesten besiedelt sind.

Die Metropole der Zukunft: Dichter und vielfältiger?

Kita in Nürnberg auf dem Dach eines Parkhauses
Kita in Nürnberg auf dem Dach eines Parkhauses | Bild: Querwärts Architekten

Mehr Dichte, mehr Nutzungsmix, mehr soziale Mischung – das lässt sich in Zukunft auch in zentralen Lagen realisieren. Davon ist Prof. Karsten Tichelmann aus dem Fachbereich Architektur der TU Darmstadt überzeugt. Er schätzt das Potenzial, das sich durch intelligente Umnutzung und Verdichtung erschließen ließe, auf rund zwei Millionen Wohnungen bundesweit. In und auf Parkhäusern und leerstehenden Bürogebäuden lassen sich Wohnungen oder soziale Einrichtungen bauen. In ehemaligen Kaufhäusern könnten multifunktionale Zentren entstehen: Einzelhandel im Erdgeschoss, Kultur- und Eventflächen sowie öffentliche Institutionen, Bibliotheken oder Verwaltungen darüber. Schneidermeister, Designer oder andere kleine Manufakturen könnten dort neue Räume finden. Es gibt gute Beispiele, doch es gibt auch große Hürden.

 Einfach wird die Vielfalt nicht

Einiges spricht dagegen, dass dieser Wandel im großen Maßstab gelingt. In Toplagen liegen etwa die Gewerbemieten nicht selten bei 300 bis 400 Euro pro Quadratmeter. Solange sie nicht sinken, lässt sich Wohnungsbau oder kulturelle Nutzung im Zentrum kaum finanzieren.

Hinzu kommen gesetzliche Grundlagen, die auf veralteten Planungsideen basieren: der strikten Trennung von Wohnen und Arbeiten. Sie setzen gemischt genutzten Quartieren enge Grenzen. Bebauungspläne ändern sich nur langsam: Seit 2017 gibt es zwar eine neue Kategorie, das "urbane Gebiet", das eine dichtere Bebauung erlaubt und mehr Mischung zulässt. Vielen Experten gehen diese Änderung allerdings nicht weit genug: Mehr als 100 Baubürgermeister und Planungsdezernenten, Wissenschaftler, Architekten, Verbände und Institutionen haben die sogenannte Düsseldorfer Erklärung unterschrieben und darin mutigere Reformen gefordert.

Die nächste Krise kommt bestimmt

Einig sind sich alle: Die Entwicklung lässt sich nicht wieder zurückdrehen, ein "Weiter so" nach der Krise darf es nicht geben. Die Weichen müssen jetzt gestellt werden, denn die Probleme enden nicht mit dieser Pandemie. Es könnten weitere folgen, Klimawandel, Migration und Mobilität werden Metropolen ohnehin herausfordern. Umso mehr braucht es Mut, Zuversicht und den Willen zum Wandel, um Städte trotz absehbar knapper Kassen mit kreativen Konzepten zukunftsfähig zu machen.

Autorin: Annette Schmaltz (NDR)

Stand: 06.02.2021 13:36 Uhr

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