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Wo bleibt das tierfreie Fleisch aus der Petrischale?

Fleisch in einer Petrischale
Fleisch aus dem Labor. | Bild: NDR

Die Welternährungsbehörde FAO schätzt, dass 2050 rund 460 Millionen Tonnen Fleisch jährlich produziert werden müssten, um die Gelüste der Menschheit zu befriedigen. Ursachen hierfür sind das Anwachsen der Weltbevölkerung auf geschätzte zehn Milliarden und ein Anstieg der Kaufkraft, insbesondere in Asien und Afrika. Der Fleischkonsum würde sich also innerhalb von nur 50 Jahren verdoppeln. Dabei beansprucht die Tierproduktion schon heute rund 70 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen weltweit. Sie schadet Umwelt und Klima und die Haltungsbedingungen für die Tiere stehen in der Kritik. Eine Sackgasse.

Wissenschaftler wollen Fleisch deswegen künstlich züchten: Aus Zellkulturen statt Tieren und mit Nährlösungen statt herkömmlichen Futtermitteln. Noch ist eine Produktion im großen Maßstab nicht rentabel und es bleibt offen, ob das sogenannte In-Vitro-Fleisch halten kann, was seine Entwickler versprechen.

In-Vitro-Fleisch aus Zellkulturen

Die Technik, Gewebe im Reagenzglas – also "in vitro" – herzustellen, stammt ursprünglich aus der Medizin. Ärzte züchteten für ihre Patienten zunächst Haut-Transplantate, später auch Ohrläppchen und sogar Herzklappen in sogenannten Bioreaktoren.
Warum also nicht auch Steaks und Schnitzel so produzieren, fragten sich Forscher. Das Prinzip des Verfahrens: Sie entnehmen einem lebenden Tier eine Muskelstammzelle. Diese Zelle wird in einer Nährlösung kultiviert und vermehrt sich. Aus den Stammzellen werden Muskelzellen, die in wenigen Wochen zu Muskelfasern zusammenwachsen. Etwa 20.000 Fasern formen am Ende den "Fleisch-klops für einen Hamburger.

Zuchtfleisch-Burger: Teuer und trocken

Fleisch zu einer Frikadelle geformt in einer Plastikschale
2013 – der erste Hamburger-Frikadelle aus Laborfleisch | Bild: NDR

2013 präsentierte der Niederländer Mark Post, Professor für Physiologe an der Universität Maastricht, den ersten Zuchtfleisch-Burger. Die Entwicklungskosten bis dahin: rund 250.000 Euro. Testesser verspeisten in London öffentlich das teure Stück. Das wohlwollende Urteil: Schmeckt wie Fleisch, nur ein bisschen zu trocken. Aktuell züchtet Mark Post deswegen neben Muskelzellen auch Fettzellen. Sie sollen das Laborfleisch zarter machen: "Wir erwarten, dass das Fleisch besser schmeckt und auch eine bessere Konsistenz hat, weil es saftiger ist. Wir schätzen, dass ein Hamburger ungefähr zehn, elf Euro kosten wird. In zwei bis drei Jahren könnte es soweit sein."

Ein ambitioniertes Ziel: Bisher gelingt die Fleischproduktion nur im teurem Labormaßstab. Dabei sind die Verheißungen groß: Aus einer einzigen Muskelstammzelle könnte Fleisch entstehen, das Millionen ernährt. Ohne ein Tier zu töten! Ein riesiger Markt.

Laborfleisch: Fiction oder bald Realität?

In-vitro-Fleisch, so die Hoffnung, soll nicht nur die Massentierhaltung überflüssig machen, es könnte auch Ressourcen sparen und die Umwelt schonen. "Das kommt auf die Fleischsorte an", schränkt Silvia Woll vom Institut für Technologie in Karlsruhe ein. Woll gehört zu einem Team von Technikfolgenabschätzern, das im Auftrag der Bundesregierung alle relevanten Studien zum Laborfleisch ausgewertet hat. "Die Studien zeigen, dass der Land- und Wasserverbrauch besonders bei Rindfleisch deutlich niedriger wäre, bei Hühner- und Schweinefleisch dagegen sind die Vorteile gering. Ähnlich sieht es aus beim Ausstoß klimaschädlicher Gase. Gerade die Rindermast produziert große Mengen Methangas. Bei der In-Vitro-Herstellung entsteht das nicht. Allerdings würde bei jeder Fleischart der Stromverbrauch erheblich steigen, da Bioreaktoren viel Strom verbrauchen."

Lohnen würde sich demnach nur die Produktion von Rindfleisch. Silvia Woll geht davon aus, dass es noch mindestens zehn Jahre braucht, bis Rinderhack aus dem Labor zu konkurrenzfähigen Preisen auf den Tisch kommt. Denn die technologischen Hürden, die mit der Herstellung von In-Vitro-Fleisch in einem großen Maßstab einhergehen, sind groß.

Und die ethischen Fragen?

Ein grundlegendes Problem ist die Nährstofflösung, in der das Fleisch wächst. Bisher nutzen die Forscher fötales Kälberserum (FKS). Um das zu gewinnen, benötigt man Schlacht-Kühe, die gerade tragend sind. Deren Föten wird das Blut aus den noch schlagenden Herzen entnommen. Das daraus gewonnene Serum ist besonders wachstumsfördern und galt lange als unverzichtbar in der Zellkulturtechnik. Wegen der Methode für seine Gewinnung ist es ethisch aber höchst umstritten.

"Wir nutzen das Serum nur noch als Referenz. Wir haben es inzwischen durch pflanzenbasierte Substanzen ersetzt. Wir wissen, welche Proteine die Nährlösung enthalten muss, um die Zellen zum Wachstum anzuregen, und wir produzieren diese Proteine jetzt selbst. Dafür nutzen wir Algen, Soja, Gras, alle möglichen Pflanzen. Die nächste Generation von Hamburgern wird ganz ohne Kälberserum entstehen", sagt Mark Post.
Wie eine Nährstofflösung aber kontinuierlich einem Biorektor zugeführt und etwaige Reste wieder abgeführt werden, ist noch ungeklärt.

Das Fleisch der Zukunft: Hack-Steak

Fleischstreifen im Labor
Das Fleisch der Zukunft: winzige Fleischstreifen | Bild: NDR

Ethisch kommt die In-vitro-Fleischforschung also voran und auch ökonomisch lässt eine Zahl aufhorchen: Die herkömmliche Rindermast benötigt zur Herstellung von einem Kilo Fleisch circa die acht- bis zehnfache Menge an vegetarischen Proteinen, Soja zum Beispiel. "Unsere Nährlösung ist sehr viel effektiver als die herkömmliche Futterverwertung in Mastbetrieben. Wir benötigen nur das Zweieinhalbfache an vegetarischen Input", erklärt Marc Post.

Allein: Noch fehlt der Beweis, ob dieser Wert auch in einer großtechnischen Anlage erreicht wird. Und eine Hürde bleibt wohl bis auf weiteres bestehen. Bisher gelingt nur die Produktion von winzigen Fleischstreifen, bestenfalls geeignet für Geschnetzeltes oder Hackfleisch. Ohne Blutbahnen und Bindegewebe kann kein großes Steak oder Filet wachsen. Zwar forschen Wissenschaftler und auch private Firmen weltweit an essbaren Gerüst-Strukturen für die Muskelzellen - bisher aber ohne durchschlagenden Erfolg. Das Fleisch der Zukunft wird erstmal eher ein Muskelmus sein.

Autor: Georg Beinlich (NDR)

Stand: 07.09.2019 12:48 Uhr

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