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Strahlende Spätfolgen: Fukushima heute

Drei Personen mit Helm reinigen gebückt eine niedrige Betonmauer
Dekontaminieren bedeutet, winzige Cäsiumpartikel abzukratzen. | Bild: WDR

Strahlende Spätfolgen sind nicht nur für den zerstörten Reaktorkomplex und die Kernschmelze in drei Reaktorblöcken, sondern auch für die Umgebung geblieben. Dort sind heute vor allem radioaktive Cäsiumpartikel ein Problem – sowohl für Wohngebiete, als auch für landwirtschaftliche Flächen.

Radioaktive Kernschmelze und kontaminiertes Wasser

Im Kraftwerkskomplex Fukushima Daiichi wurden in den vergangenen 10 Jahren gewaltige Anstrengungen unternommen: Von der Zerstörung und den Ruinen von 2011 ist kaum noch etwas zu erkennen. Stattdessen steht dort heute eine Industrieanlage. Immer noch sind Tag für Tag 4.000 Arbeiter damit beschäftigt, die Folgen der Reaktorkatastrophe zu beseitigen. Derzeit stehen zwei Probleme im Vordergrund: das Wasser und die Kernschmelze. Inzwischen hat sich die enorme Menge von über einer Million Kubikmeter radioaktiv belasteten Wassers angesammelt. Weit über 1.000 riesige Tanks stehen überall auf dem Gelände verteilt - und der Platz wird knapp.

Ein schier unlösbares Problem ist jedoch die Kernschmelze: Wie eine Lava haben sich die geschmolzenen Brennelemente in die Fundamente der Reaktorgebäude gefressen hat. Vom Bergen dieser hoch radioaktiven Schmelze inmitten von Trümmern ist der Betreiber TEPCO noch weit entfernt. Bis jetzt ist noch nicht einmal bekannt, wo genau sich dieses hoch radioaktive Material befindet. Selbst mit Robotern ist die Erkundung schwierig. Die Arbeiten auf dem Gelände werden noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Citicen Science: Die Menschen in der Region Fukushima messen selbst

Frau zeigt auf mehrere Karten an der Wand
Im Vereinslokal der NGO „Meßzentrum Todokedori“ in Minamisoma hängen viele selbst erstellte Karten, die die radioaktive Belastung der Region zeigen. | Bild: WDR

In der akuten Phase der Katastrophe wurden der Bevölkerung wichtige Informationen vorenthalten, sowohl von der japanischen Regierung und als auch von TEPCO, dem Betreiber des havarierten Kraftwerks. Das führte zu Misstrauen und Verunsicherung. Daraufhin entstanden in der Region mehrere Bürgerinitiativen, die angefangen haben, Radioaktivität selbst zu messen. Am systematischsten macht das bis heute die NGO Safecast. Sie hat ein preisgünstiges Strahlungsmessgerät zum selber Bauen entwickelt. 3.000 dieser Geräte sind im Umlauf, beispielsweise in Autos. Die Geräte zeichnen die Strahlungswerte und die Standortinformation auf. Alle Werte werden in einer zentralen Online-Datenbank zusammengetragen. Safecast hat auf diese Weise in den vergangenen zehn Jahren die genaueste radioaktive Belastungskarte der Welt zusammengetragen.

Rückeroberung des verstrahlten Landes

Dekontaminationsarbeiten auf Reisfeld
Um die radioaktiven Felder zu entseuchen, werden die oberen fünf Zentimeter Boden abgetragen und in Säcken gelagert. | Bild: WDR

Japan hat der radioaktiven Verseuchung den Kampf angesagt. Die ganze Präfektur Fukushima wurde großflächig dekontaminiert, mit einer Vielzahl von Maßnahmen: Gebäude und Straßen werden abgewaschen. Auf Spielplätzen, Parks und auch auf landwirtschaftlichen Flächen werden die obersten fünf Zentimeter Boden abgetragen. Bis heute zeugen davon unzählige schwarze Säcke – gefüllt mit kontaminierten Blättern, Erde und anderen radioaktiven Materialien – insgesamt 14 Millionen Kubikmeter. Eine Fläche von 9.000 Quadratkilometern wurde so nach und nach dekontaminiert.

Wälder lassen sich jedoch nicht entseuchen. Und nordwestlich vom Unglücksort gibt es immer noch eine Region die so stark belastet ist, dass eine Rückkehr der Menschen auf lange Zeit nicht möglich sein wird.
Viele Gegenden wurden aber wieder zum Bewohnen frei gegeben. Doch fast nur alte Leute kehrten zurück – neu gebaute Schulen und Kindergärten stehen vielerorts so gut wie leer.

Landwirtschaft trotz Strahlung

Frau mit Maske und Kittel entleert Glasgefäß in eine Flasche mit Trichter.
Die NGO "Meßzentrum Todokedori" betreibt in Minamisoma eine eigene Ölpresse. | Bild: WDR

Alle landwirtschaftlichen Produkte aus der Präfektur Fukushima werden genauestens auf Strahlung untersucht, bevor sie zum Verkauf freigegeben werden. Dabei werden heute kaum noch verstrahlte Produkte gefunden. Das ist einer ganzen Reihe von Forschungsprojekten zu verdanken. Diese haben untersucht, wie die kontaminierten Gebiete am besten wieder für die Landwirtschaft erschlossen werden können.

Dafür gibt es zwei wesentliche Strategien:

  • die Menge der radioaktiven Partikel auf den Feldern reduzieren. Das geht zum Beispiel durch entfernen der oberen Schicht, oder durch Unterflügen.
  • verhindern, dass die radioaktiven Partikel in das Produkt wandern. Auch dafür gibt es unterschiedliche Strategien, zum Beispiel das Ausbringen von Kalium. Statt des radioaktiven Cäsiums nehmen die Pflanzen dann das ungefährliche Kalium auf.

Besonders bei Reis funktioniert diese Methode gut. Oder man macht sich zu Nutze, dass Cäsium zwar sehr gut wasserlöslich ist, sich aber nicht mit Fetten verbindet. Rapsöl von einem kontaminierten Feld bleibt aus diesem Grund sauber. Das radioaktive Cäsium ist zwar auch in den Samen enthalten. Beim Auspressen bleibt es jedoch vollständig im Pressrückstand. Den Menschen in der Region ist es extrem wichtig, hier wieder Landwirtschaft betreiben zu können. So wie der Gruppe "Todokedori" (die Hoffnungsbringer): In der Region Minamisoma wird von den Mitgliedern Raps angebaut und zu Öl verarbeitet. Das rückstandsfreie Rapsöl verkaufen sie in ihrem eigenen Laden und in der gesamten Region.

Autor: Reinhart Brüning (WDR)

Stand: 08.03.2021 12:31 Uhr

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