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Talente-Check: Wegweiser für die passende Ausbildung

Jugendlicher bedient virtuellen Kran
Die virtuelle Kran-Station beim Talente-Check in Salzburg. | Bild: WDR

Wo sind die Handwerker*innen der Zukunft? Aktuell bleiben jährlich etwa 15.000 bis 20.000 Lehrstellen unbesetzt. Das betrifft nahezu alle Gewerke und Regionen Deutschlands. Gleichzeitig zeigt die aktuellste PISA-Studie, dass es schlecht um das Wissen rund um Berufe steht. OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher warnt, dass zu wenige junge Menschen sich für zukunftsfähige und benötigte Tätigkeiten entscheiden. Er fordert einen höheren Stellenwert der Berufsorientierung und -beratung. Hier könnten Talente-Checks eine echte Perspektive bieten.  

Wozu passen die eigenen Neigungen und Talente am besten?

Zimmerer-Lehrling hämmert auf einem Dach.
Jeder Beruf erfordert ganz bestimmte Talente. | Bild: WDR

Jugendliche sollten möglichst mit 13 oder 14 Jahren schon eine grobe Idee haben, wo es beruflich hingehen soll. Denn zu dem Zeitpunkt steht schon die Entscheidung an: weiterführende Schule mit Hochschulabschluss, direkt eine Lehre oder Ausbildung, oder eher eine Fachoberschule? In Deutschland stehen dabei aktuell über 300 Ausbildungsberufe und mehr als 20.000 Studiengänge zur Auswahl. Das zu überblicken und sich selbst einzuschätzen, wozu die eigenen Talente am besten passen, ist eine enorme Herausforderung.

Um Jugendliche in diesem Alter bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, riefen die Wirtschaftskammer Salzburg gemeinsam mit dem Land und der örtlichen Bildungsdirektion 2016 den Talente-Check in Österreich ins Leben. Er ist ein modernes Zentrum mitten in Salzburg, an dem Jugendliche einen umfangreichen Testparcours durchlaufen. Er soll ihnen ein detailliertes Bild von ihren eigenen Talenten, Neigungen und Fähigkeiten geben. Die circa 4,5 Stunden umfassende Testung inklusive anschließendem Beratungsgespräch ist für alle 7. und 8. Schulklassen des Bundeslandes Salzburg kostenlos. Und sie wird tatsächlich auch in hohem Maße in Anspruch genommen: Rund 90 Prozent der Lernenden haben den Talente Check in den letzten Jahren bereits durchlaufen. Das zeigt der Evaluationsbericht, den das Österreichische Institut für Bildungsforschung (ÖIFB) über die ersten fünf Betriebsjahre im Auftrag des Landes Salzburg erstellt hat.

Indoor-Abenteuerspielplatz – wissenschaftlich fundiert

Schüler Markus an der Werkbank-Station.
Spielerische Tests, statt Prüfungsdruck. | Bild: WDR

Die Räumlichkeiten des Talente-Check-Zentrums sind modern gestaltet. Mit vielen Praxis-Stationen, wie Werkbank, heißem Draht, virtuellem Kran und Kletterwand wirken sie wie ein Indoor-Abenteuerspielplatz. Gabriele Tischer, Abteilungsleiterin Bildung der Wirtschaftskammer Salzburg, erklärt das Konzept so: "Das Ziel ist eine lockere, positive Atmosphäre, in der man spielerisch den individuellen Talenten und Neigungen auf die Spur kommen kann. Es soll Spaß machen, sich mit Berufsorientierung zu beschäftigen! Gleichzeitig sind die Messmethoden, die den einzelnen Teststationen zugrunde liegen, ganz klar wissenschaftlich fundiert." Das bestätigt auch Bildungsforscher Roland Löffler vom ÖIFB: "Die Leistungstests, die an den Computerstationen zur Feststellung der eigenen Neigungen und verschiedensten kognitiven Fähigkeiten dienen, wie auch die praktisch-motorischen Tests, sind aus wissenschaftlicher Sicht gut fundiert, jederzeit einsehbar und werden mittlerweile auch erfolgreich in anderen Testzentren in Österreich angewendet."

Der Evaluationsbericht des ÖIFB kommt nach den ersten fünf Jahren zu einem rundum positiven Fazit. Er empfiehlt, das Angebot in dieser Form unbedingt weiterzuführen. Einzige Kritik: Für Jugendliche, die keine Deutsch-Muttersprachler sind oder sonderpädagogischen Förderbedarf haben, sei der Testparcours nicht gut geeignet, hier solle das Angebot noch modifiziert werden.

Psychologische Beratung inklusive

Psychologin Beate Matlschweiger bei der Beratung.
Die Ergebnisse werden individuell besprochen. | Bild: WDR

Da es sich um psychologische Methoden handelt, werden die ausführlichen Messdaten des Talente-Checks im Anschluss gemeinsam mit einer psychologischen Berufsberaterin und einem Elternteil besprochen. Die wissenschaftlichen Testergebnisse sind für Laien zum einen nicht ganz einfach interpretierbar. Erst das persönliche Gespräch kann alle individuellen Faktoren miteinbeziehen, die für die persönliche Berufswahl und die richtige Interpretation dieser getesteten Momentaufnahme wichtig sind.

Zimmerer-Lehrling Julian erinnert sich noch lebhaft an sein Beratungsgespräch vor zwei Jahren: "Anhand eines Blattes hat der Berater meinen Charakter analysiert, aber aufs genaueste Detail. Als ob er mich schon seit Jahren kennt, obwohl ich ihn vor fünf Minuten das erste Mal gesehen habe!" Bei ihm ergaben die Tests unter anderem hervorragende Werte in Feinmotorik und Raumvorstellung. Außerdem zeigten sie hohe soziale und kommunikative Kompetenzen und ein starkes Aktivitätsbedürfnis. Kein Wunder, dass die zunächst angefangene Handelsakademie und eine Ausbildung zum Speditionskaufmann nichts für ihn waren. Da ging es nämlich vor allem ums Stillsitzen in Schule und Büro. Erst der Talente Check und die persönliche Interpretation der Ergebnisse im Beratungsgespräch brachten ihn auf die Idee, eine Zimmerer-Lehre zu beginnen.

Aufwind für Handwerksberufe durch Talente-Checks?

Bessere Angebote zur Berufsorientierung für Jugendliche könnten dem Handwerk mehr Zulauf verschaffen. Empirisch eindeutig belegen lasse sich das auf der bisherigen Datenbasis über die letzten fünf Jahre seit Eröffnung des Talente Checks in Salzburg jedoch noch nicht, so Bildungsforscher Roland Löffler. Dafür sei der Zeitraum zu kurz – doch er verweist auf die erhobenen Zahlen, die zeigen, dass neun von zehn ehemaligen Talente-Check-Teilnehmenden bei dem Ausbildung- beziehungsweise Berufsweg geblieben sind, den sie danach eingeschlagen haben. Durch eine bewusstere Entscheidung können sich demnach Abbrüche verhindern lassen. In Hinblick auf Handwerksberufe seien laut dem Bildungsforscher zusätzlich vor allem auch Realbegegnungen wichtig – also beispielsweise Betriebsbesuche oder Schnuppertage für diejenigen, bei denen der Talente-Check eine handwerkliche Neigung und Eignung feststellt.

Wie Handwerksbetriebe und Lehrlinge zusammenfinden

"Lehrlinge gesucht" Banner auf einer Baustelle
Wie kommen Betriebe an den passenden Nachwuchs? | Bild: WDR

Roland Löffler vom ÖIFB betont die Macht des sogenannten Peer-Effects: Wenn Jugendliche selbst Lehrlinge aus Handwerksbetrieben kennen, spiele Mundpropaganda eine wichtige Rolle. Das bestätigt auch der Weg von Zimmerer-Lehrling Julian, der dank des Talente-Checks auf seine Eignung fürs Handwerk aufmerksam wurde. Seine Lehrstelle bei einer Holzbau-Firma nahe Salzburg fand er anschließend durch einen Freund, der dort bereits eine Lehre absolviert hatte und sehr zufrieden war. Julians Ausbildungsbetrieb bemüht sich generell um eine passende Kommunikation mit Jugendlichen: mit Besuchen in Schulen, aber auch mit einer zeitgemäßen Präsenz in den sozialen Medien. Dort können potenzielle Lehrlinge den Betrieb entdecken und sich ein Bild von der Firmenkultur machen.

Laut Bildungsforscher Löffler ist dies ebenfalls ein wichtiges Instrument. Auf der Webseite von Julians Lehrbetrieb finden sich auch direkt die Gehaltsaussichten: über 700 Euro im Monat, ab dem ersten Tag. Für Lehrlinge in Deutschland gibt es seit 2020 einen Mindestmonats-Lohn von 515 Euro, was zwar nicht üppig ist, sich aber im Laufe der Ausbildung steigert. Auch die Weiterbildungsmöglichkeiten sind vielfältig, bis hin zum dualen Studium. So kann sich ein junger Mensch immer höher qualifizieren, während er gleichzeitig schon seinen eigenen Lebensunterhalt verdient!

Mitte 2021 eröffnet in Berlin der erste Talente Check Deutschlands

Auch in Berlin können die 8. Klassen in Zukunft einen Talente-Check durchlaufen. Die IHK Berlin war auf den Talente-Check in Salzburg aufmerksam geworden. Nach diesem Vorbild hat sie gemeinsam mit der Agentur für Arbeit und Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie den Talente-Check Berlin ins Leben gerufen. Im Sommer 2021, sobald die Corona-Lage es zulässt, soll er eröffnen. Dieser ist ausschließlich für ganze Klassen vorgesehen. Einzeltermine sind nicht vorgesehen.

Neben computerbasierten Neigungstests und praktischen Stationen ähnlich wie in Salzburg, wird es in Berlin noch einen Showroom für verschiedene Berufsausbildungen geben. Er wird von der IHK Berlin und von der Berliner Handwerkskammer betrieben und soll einen Einblick in verschiedene Berufswelten geben soll.

Autorin: Clarissa Juse (WDR)

Stand: 04.06.2021 11:13 Uhr

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