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Steinzeitkrimi: Was alte Knochen verraten

Knochen auf einem Tisch
Knochenfunde klären 7.000 Jahre altes Massaker auf.

Vor rund 9.000 Jahren besiedelten die ersten Ackerbauern aus dem Nahen Osten Zentraleuropa und die Iberische Halbinsel. In ihrer neuen Heimat waren die Ackerbauern nicht allein. Sie trafen wahrscheinlich auf dortige Jäger- und Sammlergruppen. Knochen- und Zahnfunde aus der Höhle Els Trocs in den spanischen Pyrenäen zeigen nun: Wahrscheinlich ging es bei diesen Begegnungen nicht immer friedlich zu.

Höhle Els Trocs: Was die Grabungen zu Tage führen

Kurt Alt und Manuel Guerra bei der Arbeit
Draußen heiß, in der Höhle kühl und feucht: Der Deutsche Anthropologe Kurt Alt und Grabungsleiter Manuel Guerra bei der Arbeit.

Die Grabungsarbeiten in der Els Trocs Höhle beginnen vor elf Jahren unter der Leitung des spanischen Archäologen Manuel Guerra von der Universität Valladolid. Die Bedingungen in dem bergigen Gelände sind nicht einfach. Die nächste Siedlung liegt gut eine Stunde entfernt von der Höhle. Im Sommer während der Grabungssaison ist die Hitze oft unerträglich. Tonnenweise Gestein schleppen die Forscher in Säcken auf ihren Schultern den Berghang hinab. Unten im Tal wird das Geröll gesiebt.

Finden sich Knochen und Keramikscherben darin, waschen und sortieren die Archäologen diese penibel. Nicht nur die Abgelegenheit machen Els Trocs zu einer besonderen Grabungsstätte: Im hinteren Teil der Höhle stoßen die Forscher auf zerschlagene menschliche Knochen und Schädelteile, wild und chaotisch durcheinandergemischt. Offensichtlich wurden diese Menschen nicht bestattet. Warum nicht? Was war mit ihnen geschehen?

Das Massaker

Animation: Hinrichtung
Brutal hingerichtet: Schädel- und Skelettknochen zeigen deutliche Spuren von Gewalt.

Von Anfang an ist der Deutsche Kurt Alt, Professor an der Danube Private University (DPU) in Krems an der Donau und Experte für Anthropologie dabei. Er ist für die Analyse der menschlichen Knochenfunde zuständig. Vor Ort und später im Labor in Krems nimmt er die Funde aus Els Trocs unter die Lupe. An den Skelettfragmenten fallen ihm zahlreiche Spuren von Gewalt auf. An dem Schädel einer rund 60 Jahre alten Frau findet er das Einschussloch eines Pfeiles. An einem anderen Schädel kann er sogar nachweisen, dass ein Pfeil durch die Augenhöhle ins Innere gedrungen ist und an der Schädelhinterwand eingeschlagen ist. Oberarm- und Oberschenkelknochen zeigen die Spuren von Hiebwaffen. Kurt Alt vermutet einfache Holzprügel. Nach und nach wird klar: Die Menschen, auf deren Überreste die Archäologen in Els Trocs gestoßen sind, müssen auf brutale Weise niedergemetzelt worden sein.

Wer waren die Opfer?

Alt hält Schläfenknochen an Modell-Schädel
DNA aus dem Schläfenknochen verrät viel die Herkunft der Opfer.

Nach und nach ordnen die Forscher Schädel- und Kieferknochen acht Individuen zu: vier Erwachsenen und vier Kindern. Analysen der Knochen ergeben, dass die Menschen vor rund 7.000 Jahren gelebt haben. Alle, das belegen die Funde, wurden getötet. Dem Anthropologen Kurt Alt gelingt es, intakte DNA aus den Zahnwurzeln und Schläfenknochen zu entnehmen und zu analysieren. Das Ergebnis: Bei den acht Individuen handelt es sich nicht um Einheimische, sondern um Einwanderer. Die DNA weist auf Vorfahren im Nahen Osten, die wahrscheinlich über den Balkan, das heutige Italien und Südfrankreich nach Spanien eingewandert waren.

Als nächstes führen die Forscher eine sogenannte Isotopenanalyse von Zahnschmelz und anderen Teilen des Skeletts durch: Die Analyse verrät, welche Nahrung die Opfer in ihrer Jugend und in den Jahren vor ihrem Tod zu sich genommen haben. Das Ergebnis: Sieben der acht Individuen lebten bereits in ihrer Jugend im nördlichen Spanien, nur einer der Männer der Gruppe hatte seine Jugend in Mitteleuropa verbracht. Das heißt, die Gruppe lebte vermutlich bereits seit zwei bis drei Generationen als Bauern in Spanien.

Aber was hatten sie hier oben in den Pyrenäen zu suchen? Noch heute gibt es dort so gut wie keinen Ackerbau. Die Winter sind kalt, es gibt nur wenige Anbauflächen. Kurt Alt hat eine Vermutung: Wahrscheinlich handelt es sich bei der Gruppe um frühe Hirten, die ihr Vieh im Sommer zum Weiden in die Berge trieben. Dafür spricht, dass die Gruppe aus älteren Erwachsenen und Kindern bestand: Junge Männer und Frauen blieben im Tal und bestellten die Felder der Sippe. Alte und Kinder verbrachten den Sommer mit den Nutztieren in den Bergen.  

Für diese These spricht ein weiterer Knochen-Fund: Im Inneren mehrerer Schädel finden die Forscher eigenartige Verformungen, das sogenannte Beaten-Copper-Phänomen, auch Wolkenschädel genannt. Die Verformungen entstehen, wenn das Gehirn an die Innenseite des Schädels gepresst wird. Beaten-Copper kann natürlicherweise auftreten, wenn sich beim Wachstum im Kindesalter die sogenannten Wachstumsfugen des Schädels zu schnell schließen. Verwachsungen an den Schädeln aus Els Trocs lassen Kurt Alt aber eine andere Ursache vermuten: Ein Virus könnte von den Nutztieren auf die Menschen übergesprungen sein und eine Gehirnentzündung verursacht haben. Ob das wirklich stimmt, müssen weitere Untersuchungen erst noch zeigen.

Wer waren die Täter?

Animatio von Personen mit Pfeil und Bogen.
Haben Jäger und Sammler die acht Bauern umgebracht?

Allein anhand der Knochen- und Zahnfunde konnten die Forscher viel über die Identität der acht Mordopfer herausfinden. Doch wer waren die Täter? In der Höhle haben die Wissenschaftler von diesen bisher keine Spuren gefunden. Ohne empirische Belege muss jede Aussage über sie Spekulation bleiben. Kurt Alt glaubt, dass es grundsätzlich zwei Möglichkeiten gibt: Entweder handelt es sich bei den Tätern um andere Bauern, die – warum auch immer – mit der Gruppe in Streit geraten waren und sie brutal ermordeten. Oder es waren Jäger und Sammler, die sich von den Neuankömmlingen bedroht fühlten und deshalb zu Bogen und Prügel griffen?

Die Effizienz der Greueltat spricht seiner Meinung nach eher für die "Jäger-Hypothese". Die Grabungen in Els Trocs sind vorerst abgeschlossen. Und vielleicht wird die jetzt anstehende Auswertung der neuen Funde doch noch Hinweise auf die Täter bringen.

Autor: Max Lebsanft (WDR)

Stand: 16.02.2022 18:13 Uhr

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