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Luftschadstoffe – Vorsicht Gift!

Ein Mann riecht an offener Schublade einer Kommode im Kinderzimmer.
Der Raumluftgutachter spürt Formaldehyd im Kinderzimmer auf. | Bild: WDR

Pro Tag atmen wir 10 bis 20 Kubikmeter Luft ein, je nach Alter und je nachdem, wie aktiv wir sind. Dies entspricht einer Masse von 12 bis 24 Kilogramm Luft – weitaus mehr als die Masse an Lebensmitteln und Trinkwasser, die wir täglich zu uns nehmen. Unsere Wohnung spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn zwei Drittel unserer Lebenszeit halten wir uns darin auf.

Die Luftqualität in Innenräumen kann unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit beeinflussen, denn einige Menschen reagieren empfindlich auf die unsichtbare Chemie in der Wohnungsluft. Sie entsteht zum Beispiel durch Formaldehyd in neuen Möbeln, PVC-Weichmacher im Kinderspielzeug, Flammschutzmittel aus elektronischen Geräten und Duftstoffe oder Lösungsmittel aus Kosmetika und Putzmitteln. Besonders nach der Renovierung oder nach der Anschaffung neuer Möbel kann die Konzentration von Chemikalien in der Luft besonders hoch sein. Die sind in der Regel unsichtbar, aber einige kann man riechen – so wie bei Familie Güven aus Köln.

Formaldehyd im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer von Tochter Ipek herrscht seit Einzug der neuen Möbel ein unangenehm stechender Geruch. Sie lüftet viel, aber der Geruch hält sich über Monate. Die Eltern sind beunruhigt und machen sich Sorgen um die Gesundheit der Tochter. Auch der neue Tisch im Esszimmer und der neue Wohnzimmerschrank verströmen einen merkwürdigen Geruch. Die Güvens wollen Gewissheit und buchen einen Sachverständigen für Innenraumluft.

Christian Tegeder aus Horhausen ist auf Innenraumluft spezialisiert. Er kann die Konzentration der unsichtbaren Substanzen in der Luft messen und dann mit den Richtwerten des Umweltbundesamtes vergleichen. Vor der Messung dürfen Güvens acht Stunden lang nicht lüften. Dann beginnt Christian Tegeder seinen Rundgang. Als er im Kinderzimmer den unversiegelten Pressspan an der Rückseite der neuen Kommode entdeckt, hat er schnell einen Verdacht. Er vermutet, dass der stechende Geruch durch Formaldehyd entstanden ist. Dieses Gas wird häufig über neue Möbelstücke oder neuen Laminatboden abgeben. Der Raumluftgutachter führt im Kinderzimmer eine chemische Messung durch. Denn es hängt in erster Linie von der Dosis ab, ob eine Substanz in der Raumluft gesundheitsschädlich ist oder nicht. In hoher Konzentration kann Formaldehyd Allergien auslösen, die Schleimhäute reizen, Kopfschmerzen und im schlimmsten Fall sogar Krebs verursachen.

Die Wirkung von Substanzen in der Raumluft ist aber individuell unterschiedlich, denn jeder Mensch reagiert anders. Auch auf eine niedrigere Dosis reagieren einige empfindlich. Tochter Ipek hat außer dem unangenehmen Geruch bisher keine körperlichen Beschwerden. Dennoch misst der Raumluftgutachter tatsächlich Formaldehyd im Kinderzimmer, aber die Konzentration bleibt unter dem kritischen Richtwert des Umweltbundesamtes.

Es liegt noch mehr in der Luft

Im Badezimmer steigen aus verschiedenen Gegenständen Dunstwolken auf.
Im Bad dünsten gleich mehrere Gegenstände verschiedene Gase aus. | Bild: WDR

Auch die Messung im Bad hat etwas in der Raumluft nachgewiesen: sogenannte flüchtige organische Verbindungen (VOC). Sie werden zum Beispiel von neuen Turnschuhen, Duftstäbchen oder Putzmitteln ausgedünstet und sind nicht generell schädlich, können aber bei empfindlichen Menschen auch in geringer Dosis unterschiedliche Beschwerden bis hin zu Atemproblemen hervorrufen. In hoher Dosierung verursachen sie Schleimhautreizungen, Kopfschmerzen oder andere Symptome. Bei seiner Messung stellt Christian Tegeder fest, dass auch die Konzentration der Lösungsmittel unter dem kritischen Richtwert liegt.

Mit diesem Ergebnis liegen Güvens im Trend: Mit Luftproben aus 600 deutschen Haushalten kommt eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes zu einem vergleichbaren Ergebnis: Unsere Raumluft enthält Chemikalien, aber die Dosis bleibt in der Regel unter dem kritischen Richtwert. Doch das bedeutet nicht, dass nicht einzelne Menschen darauf mit körperlichen Symptomen reagieren können – denn manchmal ist auch es auch nicht eine einzelne Substanz, die Beschwerden auslöst, sondern die Summe aus mehreren. Dennoch beziehen sich Richtwerte in der Regel auf einzelne Substanz-Klassen. Und da der Nachweis, dass körperliche Beschwerden eindeutig von einer bestimmten Substanz ausgelöst wurden, in der Regel schwer bis gar nicht zu erbringen ist, bleiben diese Richtwerte unverändert.

Spurensuche nach Schimmel

Laut Umweltbundesamt besteht außerdem in jeder fünften Wohnung in Deutschland Verdacht auf Schimmel. Oft sind die Bewohner ahnungslos, dass es in ihrer Wohnung zum Beispiel schon mal einen Wasserschaden gab. Denn Schimmel ist nicht immer sichtbar. Genau für solche Fälle hat Christian Tegeder seine Schäferhündin Ronja mitgebracht. Sie ist ein ausgebildeter Spürhund und auf Schimmelpilze spezialisiert. Ronja durchsucht jeden Raum bei Familie Güven, findet aber nichts! Das ist gut so, denn Schimmel kann in hoher Konzentration Allergien und Schleimhautreizungen verursachen und die Lunge schädigen.

So können wir vorsorgen

Güvens sind erleichtert: Sie können ihre Möbel behalten und müssen auch den neuen Laminatboden nicht wieder entfernen. Es hat ja bisher auch kein Familienmitglied gesundheitliche Beschwerden. Trotzdem sollte die Familie erst mal keine weiteren neuen Möbel anschaffen, rät Christian Tegeder. Einfach als Vorsichtsmaßnahme, um die chemische Belastung in der Raumluft so gering wie möglich zu halten und damit die Familie auch in Zukunft beschwerdefrei bleibt. Denn manchmal reagiert unser Körper auch erst nach Jahren empfindlich auf eine Substanz.

Der zweite Tipp: Oft, kurz und kräftig lüften. Wer zuerst nach Hause kommt, sollte einige Minuten Durchzug machen. Dann kann das, was sich über den Vormittag in der Raumluft angesammelt hat, ablüften. Eine gute Idee ist es auch, Möbel und Kleidung gebraucht zu kaufen oder zumindest auf die Zertifizierung mit dem Umweltzeichen "Blauer Engel" zu achten.

Auch mit Putzmitteln und Kosmetik sollten wir sparsam umgehen und Verzichtbares, wie zum Beispiel Duftstäbchen, gar nicht mehr kaufen. Sie enthalten oft Lösungsmittel wie Aceton. Am Ende kommt es nämlich auf die Summe der schädlichen Substanzen in der Raumluft an und die können wir selbst beeinflussen.

Wer wie Familie Güven einen Raumluftgutachter bestellen möchte, sollte bei der Auswahl darauf achten, dass es ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger ist. Denn in dieser Branche gibt es auch unseriöse Anbieter.

Das Umweltbundesamt rät, bei Beschwerden grundsätzlich erst einmal zum Hausarzt zu gehen, um andere möglich Ursachen auszuschließen. Auch Umweltmedizinische Zentren helfen weiter: sie sind auf die Diagnose und Behandlung von Erkrankungen spezialisiert, bei denen Umwelteinflüsse als Ursache vermutet werden. In jedem Bundesland gibt es eine solche Beratungsstelle. Wer also einen Verdacht hegt, ist nicht ganz machtlos!

Autorin: Ilka aus der Mark (WDR

Stand: 30.10.2020 16:24 Uhr

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