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Mäuse für die Wissenschaft: Wie die Nager als Modellorganismus der Forschung dienen

Labormaus
Labormaus: Modellorganismus der Forschung. | Bild: BR

Labormäuse gibt es seit etwa 100 Jahren. Sie stammen von der Hausmaus ab, sind aber auf genetische Einheitlichkeit gezüchtet, damit die Versuche einen gemeinsamen Standard haben. Viele sehen "Mus laboratorius" sogar als eigene Art. Wie ihre "wilden" Artgenossen sind Labormäuse verspielt, verfressen und vermehrungsfreudig. Viele Krankheiten von Mensch und Maus haben ähnliche genetische Ursachen. Das alles macht die Labormaus zum Modellorganismus der Forschung. Im Lauf der Jahre hat man Hunderte von Nagerstämmen gezüchtet, die bestimmte genetische Eigenschaften haben: So gibt es etwa Mäuse mit einer Veranlagung zur Fettsucht, zu Diabetes oder Brustkebs.

Erforschung der Ursache von Fehlbildungen

Am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin versuchen die Wissenschaftler*innen, der Ursache von Fehlbildungen auf die Spur zu kommen. Im Labor des Instituts wird das Erbgut von Mäusen so verändert, dass der Nachwuchs mit zu wenigen oder zu vielen Fingern und Zehen auf die Welt kommt. Die Mäuse haben also dieselben Gendefekte wie die Patienten*innen von Professor Stefan Mundlos an der Charité-Universitätsklinik. Die Forscher*innen hoffen durch den Versuch genaue Voraussagen über die Ursache und die Häufigkeit der Fehlbildungen treffen zu können.

Die Tiere am Institut für molekulare Genetik dienen der Grundlagenforschung – wie fast die Hälfte aller Versuchstiere. Die andere Hälfte wird unter anderem bei Tests von Medikamenten oder Impfstoffen eingesetzt.

Jeder Tierversuch muss genehmigt werden. Voraussetzung ist, dass er zur Beantwortung wissenschaftlicher Fragen unerlässlich ist. Doch es bleibt ein ethisches Dilemma: Darf man andere Lebewesen zum Wohl des Menschen untersuchen, leiden und sterben lassen? Zudem fallen viele Medikamente, die im Tierversuch erfolgreich waren, im klinischen Test mit Menschen durch.

Die Suche nach Alternativen zum Tierversuch

Chip unter einem Mikroskop.
Multi-Organ-Chip statt Tierversuche | Bild: BR

Es gibt die Möglichkeit, manche Stoffe in vitro, also im Reagenzglas, zu testen. Die Forscher*innen können so sehen, ob ein bestimmter Stoff menschliche Zellen – etwa die Haut – schädigt oder nicht. Doch in vitro Tests können beispielsweise keine Aussage über die Wirkung auf den Gesamtorganismus treffen.

Eine neue Erfindung soll das ändern und viele Tierversuche überflüssig machen: der Multi-Organ-Chip der Firma TissUse, eine Ausgründung der TU Berlin. Ob Lunge, Niere oder Leber – das Team des Start-ups TissUse baut das Organsystem des Menschen auf Biochips nach.

Der Chip ist nicht viel größer als eine Kreditkarte – doch der Platz reicht aus, um winzige dreidimensionale Organmodelle auf ihm wachsen zu lassen. Sie sind durch einen künstlichen Kreislauf miteinander verbunden. In haarfeinen Kanälen fließt eine blutähnliche Nährstofflösung, angetrieben von einer Mikropumpe, die hier die Aufgabe des Herzens übernimmt. Wenn die Wissenschaftler*innen recht behalten, könnten die Multi-Organ-Chips künftig gut die Hälfte der Tierversuche erstzen.

Die Auswirkung von genetischen Veränderungen wird man allerdings auch mit einem Multiorganchip nicht testen können. Hier scheinen Labormäuse im Dienst des Menschen noch unverzichtbar zu sein.

Autor: Andreas Kegel (BR)

Stand: 07.11.2020 15:48 Uhr

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