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Burgbau von Guédelon

Als vor elf Jahren der Grundstein für dieses ungewöhnliche Projekt gelegt wurde, hielten die meisten die Idee für völlig verrückt und nahmen das Projekt nicht erst. Dem Franzosen Michel Guyot war es jedoch ernst: Der Kunsthistoriker und mehrfacher Burgenbesitzer erfüllte sich den Traum, eine Burg ganz im Stil und mit dem Handwerkstechniken und - methoden des 13. Jahrhunderts zu bauen. Das archäologische Experiment Guédelon nahm Gestalt an.

Seitdem bauen fünfzig Leute an einem aufgelassenen und bewaldeten Steinbruch der französischen Gemeinde Treigny eine mittelalterliche Ritterburg. In der Region von Burgund entsteht eine Burg mit rechteckigem, trapezähnlichen Grundriss mit drei Ecktürmen, einem Burgfried, einem Wohnbau und einer Doppeltoranlage mit zwei Türmen. Als Vorbilder dienen vor allem die Burgen aus der Nachbarschaft von Ratilly und Saint-Saveur-en-Puisaye.

Fehlendes Wissen

2025 soll die stattliche Burg fertiggestellt sein. Doch bis dahin ist es ein noch langer und beschwerlicher Weg. Schon in Vorfeld des Bauvorhabens erkannten die Planer um Michel Guyot, dass in den Bauarchiven nur wenig Wissen über Bautechniken jener Zeit zu finden ist.

Das Wissen muss sich Stück für Stück auf der Baustelle erarbeitet werden. Doch der Bau der Burg schreitet unentwegt voran. Das stimmt die Macher zuversichtlich, und frühere Kritiker verstummten: Der französische Staat und die Europäische Union förderten dieses archäologische Experiment schließlich mit 2,5 Millionen Euro.

Der mittelalterlichen Baukunst auf der Spur

Als erste große Hürde erwies sich schon die Beschaffung des Rohmaterials. Das benötigte Baumaterial befindet sich zwar gleich im Steinbruch direkt an der Baustelle, doch die Bauarbeiter hatten zunächst Schwierigkeiten, den Stein aus dem Bruch zu schlagen und dann in die richtige Form zu bringen, erzählt Werkmeister Florian Renucci: "Es sah zunächst gar nicht danach aus, dass wir das mit unseren primitiven Werkzeugen schaffen würden. Man glaubt vielleicht, andere Herausforderungen wären viel größer. Aber es zu schaffen, die Felsbrocken zu spalten, das war wirklich die größte Herausforderung."

Doch dass die mittelalterlichen Steinbrecher die Steine bearbeiten konnten, beweisen die erhaltenen Bauwerke. Es dauerte Wochen, bis die Arbeiter den richtigen Dreh raus hatten. Bevor der Stein bearbeitet wird, müssen die Arbeiter den Stein begutachten, wie er beschaffen ist und wie die einzelnen Schichten der Ablagerungen verlaufen.

Steine in Form bringen

Der Stein lässt sich am leichtesten spalten, wenn der Hammer exakt auf die Stelle trifft, an der zwei Sedimentschichten aneinander liegen. Das lässt sich besten zu zweit bewerkstelligen: Einer schlägt, der andere hält den Vorschlaghammer und leitet so die Kraft exakt auf die Schichtgrenze. Die Steinbrecher jener Zeit dürften mit dem geschickten Einsatz von Muskelkraft und Technik ganz ähnlich gearbeitet haben.

Diesen mittelalterlichen Handwerkstechniken auf die Spur zu kommen ist eines der vorrangigen Ziele von Guédelon, bekräftigt Werkmeister Florian Renucci: "Unsere Arbeit hat überhaupt nichts mit Animation zu tun. Es ist ja auch nicht so, dass wir nach der Arbeit Lust hätten, uns mit Fellen zu bekleiden, mittelalterlich zu essen oder zu leben, das ist es überhaupt nicht. Nein, wir sind keine Animateure, wir forschen über die Arbeit durch die Berufe."

Der Steinmetz bearbeitet die vom Steinbrecher grob herausgeschlagenen Bruchstücke weiter. Durch Guédelon weiß man heute, dass ein Steinmetz nicht mehr als zehn Mauersteine pro Tag herstellen konnte. Dieses Handwerk muss zu jener Zeit sehr viel Menschen beschäftigt haben.

Lebende Geschichtsforschung

Für Archäologen und Architekturhistoriker ist dieses lebende Archiv zur wichtigen Quelle geworden, um Hypothesen zu überprüfen. So besuchen von Zeit zu Zeit Wissenschaftler wie Anne Baud und Nicolas Reveyron von der Universität Lyon die Baustelle. Sie achten darauf, dass die Burg von Guédelon bis ins Detail den historischen Vorbildern entspricht.

Und bei jedem Besuch gibt es immer wieder etwas zu lernen, stellt Archäologin Anne Baud fest: "Wir sind zunächst als Berater dazu gekommen, aber im Gegenzug bekommen wir nun viele Antworten auf Fragen, die wir uns schon lange gestellt haben: Wir lernen viel über die genauen Arbeitsvorgänge auf einer mittelalterlichen Baustelle. Normalerweise können wir ja nur Bauwerke untersuchen, die bereits vor langer Zeit fertig gestellt wurden."

Der Weg des Steins

Damit alles an der Baustelle reibungslos läuft, müssen alle Gewerke Hand in Hand arbeiten. So haben sich rund um die wachsende Burg die Handwerker vom Schmied, der die Nägel herstellt, bis zum Seiler niedergelassen: eine dorfähnliche Gemeinschaft.

Die Arbeit von Steinbrecher, Steinmetz, Maurer nannte man im Mittelalter den „Weg des Steins“: Herausschlagen, Bearbeiten und Setzen. Doch ohne Mörtel allerdings würde daraus noch keine Burg entstehen.

Doch das Wissen der Mörtelmacher, im Mittelalter ein eigenständiger Beruf, ging verloren. Fast ein Jahr lang wurde in Guédelon an der Rezeptur aus rotem Sand, Wasser und Kalk getüftelt – ehe endlich eine brauchbare Mischung gefunden wurde. Chemische Analysen zeigen inzwischen, dass ihre Zusammensetzung verblüffend der des Mörtels in mittelalterlichen Bauwerken gleicht.

Hohe Baukunst

Die bisher größte Herausforderung für die Maurer auf der Experimentalbaustelle war der Bergfried – ein massiger Wohnturm mit Kreuzrippengewölbe.

Die Maurer mussten ein mächtiges und aufwändiges Holzgerüst konstruieren, das das tonnenschwere Kreuzrippengewölbe während der langen Bauarbeiten stützt. Zuerst wurden die sechs Kreuzrippen angelegt und verputzt. Währenddessen wurde die Gewölbewand hochgezogen, die Zwischenräume zwischen den Kreuzrippen wurden gefüllt. Etwa 120 Tonnen kamen so letztlich zusammen, die auf der Holzkonstruktion lasteten. Erst als der letzte Stein gesetzt und der Mörtel ausgetrocknet war, konnte man das Holzgerüst wieder abbauen.

Kultureller Akt des Bauens

Das Gewölbe hält – ohne ausgefeilte statische Berechnungen. Der Burgfried ist vollendet. Durch solche baulichen Herausforderungen wird manchen Beteiligten klar, welche Bedeutung diese Bauwerke in der Vergangenheit hatten, erläutert Werkmeister Florian Renucci: "Wir zeigen mit Guédelon, dass Bauen eine kultureller Akt ist, durch den das gesamte, noch heute sichtbare bauliche Erbe Europas erschaffen wurde; und das auch noch überwiegend von Analphabeten. Vor Guédelon gab es keinen Ort, an dem Besucher sehen konnten, was es damals alltäglich bedeutete, solche Bauten zu errichten."

Autor: Reinhard Kungel
Bearbeitung: Sebastian M. Krämer

Literatur

Guédelon- Bau einer Burg im 21. Jahrhundert

Autor: Thomas Bitterli-Waldvogel
erschienen in der Zeitschrift:
Burgen und Schlösser, Ausgabe 4/2006, Seite 198-207, ISSN: 0007-6201
Deutsche Burgenvereinigung e.V.

Stand: 21.01.2013 12:49 Uhr

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