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Mit dem Zug aufs Dach der Welt

Die höchste Bahn der Welt verbindet die westchinesische Provinz Quinghai mit Lhasa, der Hauptstadt Tibets. Der Bau der Trasse, die bis über 5000 Höhenmeter führt, gilt als Meisterleistung.der Ingenieurkunst. Dahinter stecken aber auch handfeste, machtpolitische Interessen. Die neue Bahn ist für China nicht nur militärisch von Bedeutung. In Zukunft sollen die Züge auch wertvolle Rohstoffe transportieren. China will mit den Bodenschätzen Tibets Kasse machen. Ökologische Bedenken bleiben da auf der Strecke.

Mit dem Bau der Eisenbahnlinie von Quinghai nach Tibet, haben chinesische Ingenieure einen alten Traum wahr gemacht. Seit Juli 2006 führt eine Linie von Golmud, am Rande der Wüste Gobi, in die Stadt Lhasa. Eine technische Meisterleistung, aber auch umstritten. Die höchste Bahn der Welt soll den Tibetern mehr Wohlstand bringen. Doch die befürchten nicht nur ökologische Probleme sondern auch eine Überfremdung durch wachsenden Tourismus und den Zustrom chinesischer Geschäftsleute.

Eroberung des chinesischen "Wilden Westens"

Der Lhasa-Express fährt größtenteils auf Höhen von mehr als viertausend Metern. In der Bergregion Tibets ist die Luft dünn. Sie enthält nur 60 Prozent so viel Sauerstoff wie auf Meereshöhe. Das mindert die Leistung der Dieselmotoren enorm. Deshalb sind gleich drei 11000 PS- starke Loks nötig, um den Zug auf Tempo 120 zu bringen. Im Normalbetrieb arbeiten zwar nur zwei, die dritte ist nötig, um bei Ausfall einer der Loks den Zug an Steigungen wieder in Gang zu bringen. Fünf Jahre lang bauten 100.000 Arbeiter an dem Schienenweg, Kosten rund drei Milliarden Euro. Pläne für das Großprojekt gibt es schon seit 1950, als Tibet von China besetzt wurde. Mit der Eroberung des "Wilden Westens" – per Bahn - hat die kommunistische Führung endlich ihr Ziel erreicht.

Intelligente Bautechnik soll Untergund kühl halten

Im Lande der Yaks, galt der Bau einer Bahnstrecke lange als unmöglich. Denn wenn im Sommer die tief gefrorenen Böden tauen, versinkt alles im Morast. Doch die Ingenieure fanden eine Lösung, die verhindern soll, dass die Gleise auf dem aufgeweichten Boden absinken: Ein Schotterbett aus lose aufgeschichteten Steinen. Der beständige Hochlandwind bläst durch die Hohlräume und hält den Untergrund auch im Sommer kühl. So soll die Bahntrasse das ganze Jahr über stabil bleiben. Die Konstrukteure der Tibetbahn haben sogar die Folgen der zu erwartenden Klimaerwärmung berücksichtigt.

Der Bahningenieur Cheng Guodong erklärt: "Wir setzen auf eine neuartige Kühltechnik, im Kampf gegen die globale Erwärmung. Wenn wir die Bodentemperatur in den nächsten 50 Jahren um drei Grad absenken können, macht uns ein genereller Temperaturanstieg von zwei Grad keine Probleme."

Deshalb wurden an besonders gefährdeten Passagen Kühlstäbe in den Boden getrieben – insgesamt 10 000. In den Röhren zirkuliert Ammoniak, das dem Erdreich Wärme entzieht und nach oben abtransportiert. So verhindert der künstliche Frost in der Tiefe eine Verwerfung der Gleise.

Medizinisches Personal ist immer an Bord

Der Lhasa-Express muss auf seinem Weg den Tanggulapass überqueren. Die Bahnstation da oben liegt auf einer Rekordhöhe von 5063 Metern. Damit die Passagiere nicht höhenkrank werden, wird in den Wagen der Sauerstoffgehalt künstlich auf etwa 25% gehalten (auf Meereshöhe sind 21% normal, in diesen Höhenregionen ist es draußen noch deutlich weniger). In der kaum besiedelten Region ist für Notfälle ist sogar medizinisches Personal an Bord. Wer mit der dünnen Höhenluft dennoch nicht zurechtkommt, kann sich in jedem Abteil zusätzlich mit Sauerstoff versorgen.
Teile der Strecke führen über Betonpfeiler, um das empfindliche Grasland zu schonen und die Wanderwege heimischer Tierarten - wie der tibetischen Antilope - nicht zu behindern. Ob das wirklich funktioniert, muss sich noch zeigen.

In 15 Stunden von Peking nach Lhasa

Die rund 1.200 Kilometer lange Trasse zwischen Golmud und Lhasa wurde am 1. Juli 2006 eröffnet. Seither gibt es eine durchgehende Bahnverbindung von Peking in die Hauptstadt Tibets. Die Fahrt durch das traumhafte Hochland, über kühne Brückenkonstruktionen, zieht Bahnenthusiasten magisch an. 15 Stunden braucht der Express-Zug, bis er auf abenteuerlichem Kurs seine Endstation erreicht: den hypermodernen Bahnhof von Lhasa mit Einkaufszentrum und Business Center. Bei der Gestaltung der Außenfassade haben die Architekten bewusst Stilelemente des berühmten Potala Palastes kopiert. Angesichts des Originals, ein eher hilfloser Versuch, Tibeter zu Eisenbahnfans zu machen. Längst sind die Einheimischen in der Minderheit.

Die Segnungen des Schienenzeitalters stoßen bei ihnen auf ein geteiltes Echo. Einerseits verspricht der wachsende Tourismus mehr Wohlstand. Andererseits fürchten die Tibeter, dass mit der neuen Eisenbahn noch mehr Chinesen in ihr Land kommen und damit ihre Jahrtausende alte Kultur endgültig zerstört wird. Symbol der Besatzungsmacht und Prestigeprojekt - die neue Bahn verkörpert eben mehr als nur technischen Fortschritt.

Autor: Hans Jürgen von der Burchard

Stand: 11.05.2012 13:06 Uhr

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