SENDETERMIN So., 28.09.08 | 17:03 Uhr | Das Erste

Nahkampf im Mittelalter

Eine fiktive Zeitreise: Ein römischer Centurio reist mehr als eintausend Jahre in die Zukunft, ins Mittelalter. Der Berufssoldat soll erkunden, wie sich die Waffentechnik weiterentwickelt hat und wie gut er mit seinen Waffen für den Krieg dieser Zeit gerüstet wäre.

Der Centurio aus dem Jahr 72 nach Christus gerät mitten in eine mittelalterliche Schlacht im Jahr 1247. Für ihn ein Schock: Chaos herrscht auf dem Feld. Er selbst ist dagegen an strenge Formationen und enge Reihen gewöhnt.

Entsprechend kurz ist sein Gladius, das Schwert. Im Mittelalter dagegen ist das Schwert einen Meter lang – manchmal sogar so lang wie ausgewachsener Mann. Trotzdem wiegt es weniger. Ritter Albrecht vom Lonetal lädt den Centurio in seine Schmiede ein, um ihm zu zeigen, woran das liegt: Noch immer besitzen Schwerter beidseitig geschliffene Klingen, sind aber aus höherwertigem Stahl statt Eisen gefertigt.

Vom Hieb zum Stich

Zwar kennt auch der Centurio schon Qualitäts- und Gewichtsunterschiede. Neu ist für ihn aber, dass das Schwert nun nicht mehr als Stichwaffe in Kombination mit einem Schild eingesetzt wird, sondern als Hiebwaffe, die den Gegner auf Abstand hält. Denn seit dem 3. Jahrhundert hat sich im Mittelalter die Formation allmählich aufgelöst.

Das mittelalterliche Langschwert lässt kaum gezielt Einwirkungen auf den Gegner zu, erklärt der Militärhistoriker Jorit Witnjes von der Uni Würzburg: "Das heißt, die Schwertkämpfer schlagen einfach so lange auf den Gegner ein, bis dessen Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen oder den Schlägen auszuweichen oder den Schlägen standzuhalten, ausgeschöpft sind und schließlich erschöpft ist."

Das bedeutet aber auch: Die Schwertkämpfer in mittelalterlicher Rüstung müssen für den Hieb so weit ausholen, dass sie dem Gegner ihre empfindlichsten Stellen offenbaren: die ungeschützten Achselhöhlen. Dort verlaufen Blutbahnen, deren Verletzung meist tödlich endet.

Der letzte Stoß

Im Kampf setzen die Ritter deshalb den wichtigsten Hieb an: den Todesstoß mit einem kurzen Dolch. Dieser wird Misericordia-Dolch genannt – nach dem lateinischen Wort für Mitgefühl – weil bei den verheerenden Verletzungen durch mittelalterliche Nahkampfwaffen der Tod als besonders barmherzig gilt. Jeder Ritter trägt ihn stets bei sich. Die Römer versetzten den Todesstoß eher noch mit dem Contus – der beidhändig geführten Stoßlanze.

Lanze für den Reiter

Die Lanze findet sich im Mittelalter ebenfalls wieder: Inzwischen bis zu vier Meter lang wird die Holzwaffe mit Eisenspitze nicht mehr nur über dem Kopf geführt, um von oben her zuzustechen oder zu werfen. Stattdessen klemmen die Ritter sie unter die Achsel und nutzen die Wucht des Aufpralls, wenn sie hoch zu Ross aufeinandertreffen.

Damit lässt sich ein leichter Panzer glatt durchbohren, sagt Militärhistoriker Wintjes: "Die Stoßlanze ist sicherlich die effektivste Waffe, die ein Reiter haben kann; weil die Stoßlanze wie keine zweite Waffe die komplette Vorwärtsenergie des Pferdes ausnutzt. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass man eine entsprechende Ausbildung braucht. Mann muss in der Lage sein auf dem Pferd sitzen zu bleiben, das Ziel im Auge zu behalten und gleichzeitig das Pferd zu kontrollieren und schließlich sollte man auch treffen können."

Hellebarde – die Waffe des Fußvolkes

Diese Taktik können aber ausschließlich die Berittenen, also die Ritter verfolgen. Das Fußvolk dagegen, das im Mittelalter im Gegensatz zu den Berufssoldaten des alten Roms kaum militärisch ausgebildet ist, wird oftmals mit einfachen Lanzen ausgestattet. Diese sind standardisiert in großer Stückzahl herstellbar.

Um vom Boden aus die Berittenen auf Augenhöhe zu holen, entwickeln die mittelalterlichen Fußtruppen die Lanze weiter: zur Hellebarde; einer Mischung aus Lanze und Haken. Mit dem Haken heben sie Ritter aus dem Sattel und mit der Lanze stechen sie zu. Später wird noch eine Axt zum Knacken der stabiler werdenden Rüstungen hinzukommen.

Eine weitere Spielart der Lanze ist der Tjost: eine schwere, dickere Lanze, mit der sich jeweils zwei Ritter aufeinander zureitend vom Pferd schubsen. Dies ist allerdings reiner Sport. Der Tjost wäre für kriegerische Auseinandersetzungen zu schwer und unpraktisch – nicht zuletzt auch in Kombination mit den immer schwerer werdenden Rüstungen.

Wettrüsten

Die Rüstung ist die härteste Nuss im Mittelalter – für die Waffen und für die Ritter. Je besser sich der Gegner schützt, umso wichtiger werden Waffen, die die Panzerung knacken können. So entdecken die Ritter Waffen wieder, die in den Jahrhunderten zuvor aus der Mode geraten sind: Wuchtwaffen.

Das sind Axt, Streitkolben, Geißel, Streithammer – auch Rabenschnabel genannt – oder der Morgenstern. Damit können die Ritter ihre Gegner mit einer solchen Wucht umhauen, dass er wehrlos wie ein Käfer auf dem Rücken liegt. Dann soll die Waffe dazu dienen, die Rüstung zu knacken und schließlich den gegnerischen Ritter zu töten. Doch wie beim Langschwert ist auch hier das Problem der ausladenden Bewegungen gegeben, die ungeschützte Körperstellen freilegen.

Wirksam – aber unritterlich

Gerade der Rabenschnabel ist bei jungen Rittern beliebt. Erhabene Herren wie Ritter Albrecht lehnen diese Waffen wegen der furchtbaren Verletzungen als unritterlich ab. Ritterlich und ehrenvoll ist allein das Schwert.

Im Gegensatz zur Streitaxt und dem Rabenschnabel muss der Streitkolben nicht in eine bestimmte Richtung geführt werden: Er hat mehrere geschliffene Blätter – meist sechs Stück – mit tödlichen Klingen. Ganz zu Recht fürchtet Ritter Albrecht also diese tödlichen Waffen und Rüstungsknacker.

Abstand halten

Somit haben die Ritter also gute Gründe den Gegner auf Distanz zu halten. Deshalb verpassen die Engländer dem Bogen größere Reichweiten – durch größere Maße. Der englische "Longbow" geht in die Militärgeschichte ein. Doch wie schon bei den Römern ist das Problem von Pfeil und Bogen, dass nur Geübte zielsicher treffen. In den Jahrhunderten, in denen Bauern dazu gezwungen werden, für ihre Lehnsherren zu kämpfen, sind Waffen gefragt, die einfach zu bedienen sind und möglichst wenig kosten.

Die Armbrust

So hat sich im Mittelalter mehr und mehr die Armbrust durchgesetzt. Die hatte zwar eine geringere Reichweite, aber konnte von fast Jedem bedient werden. Lange dachte man, die Armbrust sei eine Erfindung des Mittelalters. Aber es gab sie wohl schon in der Spätantike und hieß "gastra fetis", also Bauchgewehr.

Erst im Mittelalter jedoch wird sie wirkungsvoll weiterentwickelt: Eine Kurbel ermöglicht das Spannen und Zielen, ohne dass gleichzeitig Kraftaufwand nötig wäre, erklärt Waffenhistoriker Wintjes. "Deshalb findet die Armbrust im Mittelalter relativ schnell weite Verbreitung, auch wenn sie eine deutlich geringere Reichweite besitzt als etwa der Langbogen", so Wintjes weiter und ergänzt, "auf kurze Distanzen sind beide aber ungefähr gleich wirksam."

Die Begeisterung für die Armbrust wird auch noch über das Jahrhundert von Ritter Albrecht hinaus anhalten – bis sie schließlich abgelöst wird von der durchschlagenden Faszination für die Feuerwaffen. Diese werden das Militärwesen und die Kriegsführung entscheidender revolutionieren, als jede Nahkampfwaffe es je vermochte. Doch der römische Centurio hat fürs Erste genug gesehen, und reist wieder zurück in seine Zeit, in der alles noch seine römische Ordnung hatte.

Autorin: Kristal Davidson

Adressen & Links

Dr. phil., M.A. Jorit Wintjes

Institut für Geschichte
Lehrstuhl für Alte Geschichte
Universität Würzburg

Residenzplatz 2, Tor A
97070 Würzburg

Telefon: 09 31 - 31 28 17
Telefax: 09 31 - 31 28 17
E-Mail: jorit.wintjes@uni-wuerzburg.de

Stand: 11.05.2012 13:08 Uhr

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So., 28.09.08 | 17:03 Uhr
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