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Tierverbreitung und Klima

Im Frühling haben die Ornithologen am Bodensee viel zu tun: Denn die ersten Zugvögel kehren in die Heimat zurück.

Frau und Mann mit Klatte stehen hinter einem Beobachtungs-Fernglas
Katrin Böning-Gaese und Dr. Günther Bauer haben im Frühjahr viel zu tun. | Bild: SWR

Dr. Günther Bauer von der Vogelschutzwarte Radolfzell und Prof. Katrin Böning-Gaese von der Universität Mainz arbeiten an der Bestandsaufnahme der Neuankömmlinge. Seit ein paar Jahren zählen sie Arten, die hier noch nie gesehen wurden, wie etwa die Mittelmeermöwe. "Wir merken jetzt hier am Bodensee doch deutlich den Klimawandel", sagt Katrin Böhning-Gaese, "zum einen kommen die Arten immer früher an und zum anderen haben wir hier jetzt Arten, die wir früher hier am Bodensee überhaupt nicht hatten."

Die Neuankömmlinge am Bodensee stammen meistens aus südlichen Gebieten. Der Purpurreiher etwa, oder der Alpensegler. Aber auch völlig exotisch wirkende Arten wie der Bienenfresser sind darunter.

Vom Zugvogel zum Standvögel

Auch an heimischen Vogelarten lässt sich der Klimawandel bereits ausmachen. Normalerweise zieht etwa das Rotkehlchen im Winter in südliche Regionen. Doch dieses Verhalten wird immer seltener.

"Das sind auf jeden Fall zunehmend Beobachtungen, dass Rotkehlchen den Zug verkürzen. Die Zahl der Überwinterer nimmt entsprechend zu", erläutert Biologe Bauer. In milden Wintern muss das Rotkehlchen nicht mehr der Kälte entfliehen.

Aber die Bilanz der biologischen Feldarbeit zeigt nicht nur die scheinbaren harmlosen Klimaauswirkungen wie etwa das winterliche Standvermögen des Rotkehlchens: Im Naturmuseum von Konstanz finden sich Arten, die für die Bodenseeregion einmal ganz typisch waren. Heute sind sie nur noch als Museumspräparate zu bestaunen.

Vom Standvogel zum Wintergast

Der Rotschenkel, der Große Brachvogel, die Uferschnepfe oder der Wiedehopf. Diese Vogelarten sind zwar noch immer am Bodensee zu beobachten, aber sie brüten nun in anderen Regionen. "Die Arten leben zwar zum Teil noch eine zeitlang hier, aber sie bekommen keine Jungen mehr und mit der Zeit stirbt die Art hier am Bodensee aus und die Nachkommen von anderen Populationen siedeln sich dann im Norden an", erläutert Ornithologin Böhning-Gaese.

Der große Brachvogel nutzt die Region ebenfalls nicht mehr als Brutquartier. Durch das milde Klima aber kommt er im Winter aus dem Norden an den Bodensee, da er in den nicht gefrorenen Boden mit seinem langen Schnabel gut eindringen kann.

"Reingeschmeckte" Arten

Die Bereicherung der Bodensee-Vogelwelt durch neue Arten interpretieren die Forscher als ein deutliches Zeichen dafür, dass sich das Klima auch deren Heimat verändert hat.

Bisher lebte die Kolbenente im Mittelmeergebiet. "Dort wird es ja auch wärmer. Dort gibt es weniger Niederschläge und die Folge ist, dass dort die Wasserqualität abnimmt, oder sogar, dass die Flüsse oder Seen austrocknen. Das hat die Konsequenz, dass ein Vogel nicht mehr erfolgreich brüten oder mausern oder gar erfolgreich überwintern kann", meint Hans-Günther Bauer, "die Vögel müssen sich also neue Plätze suchen und finden die zum Teil jedenfalls in unserem Raum, also in Mitteleuropa".

Europas Vogelwelt im Umbruch

Die Veränderungen der Vogelwelt am Bodensee ist keine Ausnahme. Was für Süddeutschland gilt, gilt ebenfalls für ganz Europa. Die Biologen beobachten, dass sich die Lebensräume extrem in nördlicher Richtung verschieben.

Die beiden Forscher vergleichen ihre Daten mit einem Atlas, der die Verbreitung aller Vogelarten Europas zeigt: den Stand von heute und eine Prognose. Den Trauerschnäpper, eine Singvogelart, findet man momentan in Mitteleuropa. Die Verbreitung als Brutvogel ist südlich durch zu hohe Temperaturen begrenzt. In einhundert Jahren, so rechnen die Ornithologen, wird sich die Verbreitung als Brutvogel durch die Klimaerwärmung auf Nordeuropa beschränken. Hierzulande wird diese Vogelart dann aussterben.

Verlust der natürlichen Lebensräume

Was die Prognose nicht berücksichtigt, ist der Anspruch vieler Arten an einen speziellen Lebensraum, ohne den sie nicht überleben können. Am Bodensee ist es etwa der ausgedehnte Schilfgürtel. "Wir haben hier am Bodensee solche fantastischen Naturschutzgebiete, in denen die Arten leben und brüten können. Mit dem Klimawandel wird es ihnen hier unter anderem zu warm, teilweise fehlt auch die Nahrung. Und die Arten müssen sich in den Norden ausbreiten. Aber im Norden brauchen sie dann wieder ähnlich gute Lebensräume, um dort brüten zu können. Das könnte ein Problem darstellen", bedauert Katrin Böhning-Gaese.

Vogelarten, die auf spezielle Lebensräume wie den Riedgrasgürtel des Bodensees angewiesen sind, werden es schwer haben, in unserer kultivierten Landschaft zu überleben. Zusätzlich erschwert nun auch der Klimawandel das Überleben dieser Tiere.

Autor: Axel Wagner

Stand: 11.05.2012 13:03 Uhr

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