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Die Isar – Erst gezähmt, jetzt wieder wild

Isarstrand in München
Badende an der Isar | Bild: dpa

Wer an einem warmen Sommertag an der Isar in München flaniert, könnte sich fast an ein exotisches Urlaubsparadies versetzt fühlen. Überall haben die Einheimischen Badetücher ausgebreitet, geben sich ausgiebig dem Sonnenbaden hin oder genießen das Wasser des Gebirgsflusses, der auf seinem Weg vom Karwendel in die Donau auch durch die Bayerische Metropole fließt.

Freiheit für die Isar

Tatsächlich ist es den Münchnern gelungen, ein Stück wilde Natur vor ihrer Haustür zu schaffen. Denn vor neun Jahren war die Isar in München noch ein gezähmter und armseliger Fluss. Ihr Bett war betoniert und gepflastert. Eher ein Kanal als ein natürliches Gewässer: unattraktiv, unzugänglich und wenig lebendig.
Die "Reißende", wie die Isar früher genannt wurde, zwängte sich durch ein starres Korsett, das ihr die Stadtbewohner in den letzten 100 Jahren verpassten. Der Grund waren immer wieder verheerende Hochwasser, die Brücken und angrenzende Stadtteile verwüsteten. Doch auch trotz des Korsetts – die Hochwasser kamen wieder und wieder.
Damit muss Schluss sein, sagten sich die Stadtväter. München soll endgültig hochwassersicher werden. Doch nicht durch mehr Beton, sondern durch mehr Natur! Der "Isar-Plan" entsteht. Naturschützer, Wasserbauer, Freizeit-Verbände und Architekten arbeiten fieberhaft daran. Anfangs schien es ein unmögliches Unterfangen, alle Bedürfnisse in einem funktionierenden Konzept zusammenzuführen.

Stabilisierung der Dämme

Die erste Aufgabe der Wasserbauer war es, das Fassungsvermögen des Isarbetts zu vergrößern. Keine leichte Aufgabe, wenn man die Dämme nicht erhöhen kann. Denn auf denen stehen zum Großteil alte Bäume. Und die wollte man erhalten. Obwohl diese Bäume durchaus ein Sicherheitsrisiko darstellen, denn im Hochwasserfall kann der Deich aufgeweicht werden und einzelne Bäume können umstürzen. Das Ergebnis ist ein Loch im Damm. Kein guter Schutz! Die Wasserbauer der Stadt München griffen zu einer mittlerweile patentierten Maßnahme. In den Dämmen wurde eine Erdbetonwand versenkt, die zusätzlich mit Stahlträgern verstärkt wurde. Damit waren die Dämme maximal stabil. Aber eben noch nicht höher, um auch mehr Wasser durch das Isarbecken fließen zu lassen.
Um das zu gewährleisten mussten die Ingenieure das Flussbett der Isar verbreitern und die Überschwemmungsflächen tiefer legen. So konnte Platz für das maximal errechnete Hochwasser geschaffen werden. Die Baggerarbeiten starteten im Jahr 2000. Auf acht Kilometern Länge wurde Erde bewegt.

Flussforschung am detailgetreuen Isar-Modell

Auswertung der Modelluntersuchung
Auswertungen des Modellversuchs | Bild: BR

Was für viele wie grobe Schaufelei wirken musste, war in Wahrheit flussbauliche Meisterleistung. Jeder Stein, jede Biegung und Vertiefung im Flussbett ist Ergebnis komplizierter hydrologischer Berechnungen. Doch die müssen zuerst überprüft werden. Und zwar im Modell. Der letzte Bau-Abschnitt der "neuen" Isar ist momentan an der TU-München aufgebaut, in der Versuchsanstalt für Wasserbau in Obernach. Gelände und Brücken sind in dem 75 Meter messenden Modell exakt nachgebildet. Sogar die Kiesel in der Fluss-Sohle entsprechen dem Maßstab. So kann die Wirkung des Wassers auf das Flussbett simuliert werden. In einzelnen Versuchen wälzt sich das Wasser durch das Modell-Flussbett. Auch größtmögliches Hochwasser wird simuliert. Die Fluten gestalten das Flussbett um.
Anschließend legen die Wissenschaftler die Landschaft trocken. Ein Laser vermisst dann die Lage jedes einzelnen Kiesels. Vor den Versuchen mit Wasser hat er das Flussbett ebenfalls vermessen.
Auf diese Weise kommen die Wissenschaftler der Dynamik des Flusses auf die Spur. Die Messungen zeigen, wo sich die Sohle vertieft hat oder wo zuviel Geschiebe abgelagert wurde. Dadurch könnten unüberwindbare Barrieren entstehen. Schlecht für Fische, die den Fluss durchwandern wollen. Schließlich hat man bei der Gestaltung des neuen Flussbetts rigoros darauf geachtet, den Fluss für die Fische durchgängig zu machen, damit diese zum Beispiel an optimale Laichplätze kommen. Auch Unterstände für Großfische entstanden so.

Je wilder die Isar, desto größer der Artenreichtum

Eine Kroppe
Eine Kroppe | Bild: BR

Die Versuchsergebnisse aus dem Modell zeigen den Wasserbauern, wo nachgebessert werden soll. So entsteht letztlich ein funktionierender Fluss. Die Wirkung allerdings, die diese Renaturierung auf Fauna und Flora gehabt hat, ist verblüffend. In wenigen Jahren hat sich die Ökologie an der Isar dramatisch verändert. Kiesbänke und Grasinseln tauchen auf und verschwinden. Es entstehen ständig neue Lebensräume mit unterschiedlichsten Strömungen. Gut für Wasserinsekten – Nahrung für Fische. In den neuen Flachwasserbereichen finden Jungfische eine schützende Kinderstube. Sogar europaweit gefährdete Arten, wie die "Kroppe", fühlen sich hier plötzlich wieder wohl. In den Kiesbänken haben sich verschiedenste Insekten, vor allem Laufkäfer-Arten eingefunden, die es vorher nicht gab. Und wenn die Mitarbeiter des Referates für Umwelt und Gesundheit der Stadt München auf den Magerrasen der Deiche Stichproben in Sachen Artenvielfalt sammeln, erleben auch sie nicht selten eine Überraschung. Vor kurzem entdeckten sie hier den "Idas-Bläuling", eine Schmetterlingsart, die an der Isar in München noch nie nachgewiesen wurde. Viele Experten gehen davon aus, dass die Artenvielfalt an der Isar in den nächsten Jahren noch weiter steigen wird.

Bei so viel Natur fühlt sich auch der Mensch wohl. Der Isar-Plan ist ein voller Erfolg und bereits Exportschlager! Mehrere internationale Metropolen – darunter auch Los Angeles - wollen es den Münchnern nachmachen und ebenfalls ein wildes Stück Natur in die Stadt holen.

Adressen & Links

Die Stadt München präsentiert auf ihrer Website ihr Isar-Projekt.
www.muenchen.de

Die Website der Isar-Allianz informiert über das Projekt der Renaturierung des Flusses.
www.isar-allianz.de

Autor: Herbert Hackl (BR)

Stand: 17.09.2012 12:17 Uhr

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