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Sao Tomè – Die Schokoladeninsel

Der Chocolatier

Claudio Corallos
Claudio Corallos | Bild: NDR

Claudio Corallos Biografie hat das Zeug zum Hollywood-Drehbuch, denn er führt ein Leben wie aus einer anderen Zeit. Der Schöngeist, Abenteurer und Romantiker stammt aus dem italienischen Florenz, wo er sich an der Universität auf den Umgang mit tropischen Nutzpflanzen spezialisierte. Nach dem Studium machte er sich gleich daran, sein Wissen praktisch umzusetzen. Er zog in den Kongo, der damals noch Zaire hieß. Hier, mitten im Regenwald, gründete er seine erste Kaffeeplantage, mit der Hilfe von lokalen Stammesführern. Es gab keine Straßen und zur Hauptstadt Kinshasa musste man mehr als zwei Tage mit dem Boot über die weit verzweigten Nebenflüsse des Kongo fahren. Hier lernte er die Tochter des portugiesischen Botschafters kennen, heiratete sie und nahm sie mit in sein Urwaldreich. Sie ernährten sich von der Jagd, bekamen drei Kinder und Claudio begann, auch mit verschiedenen Kakao-Pflanzen zu arbeiten. Dann kam der Krieg. Die Corallos mussten fliehen und ihre Plantagen sowie die mehr als 2.000 Arbeiter zurücklassen. Bis heute hat Claudio Corallo das nicht verarbeitet. Er landete im südamerikanischen Bolivien - auf einer Plantage. Durch Zufall hörte er dort von einer besonderen Kakaofrucht, auf Sao Tomé und Principe. Der schwarze Kontinent hatte ihn nie losgelassen und dieser Kakao reizte den Italiener sehr. So zogen die Corallos wieder zurück nach Afrika, auf die kleine Inselrepublik, mitten auf dem Äquator. Warum aber sollte sein kostbarer Kakao von anderen verarbeitet werden? Claudio beschloss, seine eigene Schokolade herzustellen und so entstand ein Produkt, bei dem vom Kakaobaum bis zum Schokoriegel alles in der Hand einer Familie bleibt. Über 35 Jahre Erfahrung auf tropischen Plantagen stecken dahinter.

Die Kakaofrucht

Kakao stammt aus Südamerika und wurde von einheimischen Indianerstämmen als Götterspeise bezeichnet. Auch die spanischen und portugiesischen Kolonialherren erkannten schnell das Besondere an dieser Frucht. Als Brasilien am Anfang des 19. Jahrhunderts kurz vor der Unabhängigkeit stand, war es für den damaligen portugiesischen König, Joao VI. daher von großer Wichtigkeit, die Kontrolle über die Kakaoproduktion zu behalten. So ließ er die edelste Sorte der Forastero Pflanze, den Forastero Amelonado, über den Atlantik bringen und auf seiner Kolonie Sao Tomé und Principe anpflanzen. Diese Kakaofrucht stammt aus dem Amazonasgebiet Brasiliens, also aus der gleichen äquatornahen Klimazone, wie Sao Tomé. Im Laufe der Zeit geriet die Plantage in Vergessenheit. Plantagenbesitzer hatten längst den gezüchteten Hybridkakao für sich entdeckt, der schneller wächst, wesentlich größer und dadurch natürlich profitabler ist. Auch Schokoladenproduzenten bevorzugten den Rohstoff von Hybridplantagen, da er billiger ist. Masse statt Klasse lautete das Motto.

Erst Menschen wie Claudio Corallo besannen sich auf die alten, natürlichen Kakaosorten. Sie sind zwar nicht so profitabel im Anbau, doch sie haben ein wesentlich stärkeres Aroma und einen besseren Eigengeschmack. Man muss also keine fremden Aromen hinzufügen, um den Genuss-Effekt zu erreichen.

Ungewöhnliche Plantage

Kakaobaum
Plantagenbaum | Bild: NDR

Die Corallos besitzen zwei Kakaoplantagen, eine auf der Insel Principe und eine auf Sao Tomé. Die Verarbeitung der Bohnen und die Schokoladenproduktion finden auf Sao Tomé statt. Wichtig für den Erhalt der Urpflanze aus Brasilien ist vor allem die Plantage auf der sehr isolierten Insel Principe.

Principe ist extrem schwer zu erreichen und das macht sie für größere Plantagen und Investoren uninteressant. Diese Isolation sorgt dafür, dass dort keine nennenswerten Mengen an Hybridpflanzen existieren und die Urpflanze (Forastero Amelonado) vor genetischer Verunreinigung geschützt wird.

Zweihundert Jahre lang haben vor allem die Affen für das Überleben der Pflanze hier gesorgt. Sie öffnen die Frucht und lutschen die Kakaobohnen ab. Die Bohne selber schmeckt im Rohzustand sehr bitter, aber das Fruchtfleisch drumherum ist süß und lecker. Das wissen auch die Affen. Während sie mit ihrem kleinen Snack beschäftigt sind, bewegen sie sich durch die Bäume des Urwaldes und spucken irgendwann die Bohnen aus. Diese wachsen dann, im fruchtbaren und sehr feuchten Klima der Insel, zu Setzlingen heran. So haben die Primaten dafür gesorgt, dass überall im Regenwald Principes der Urkakao aus Südamerika wächst.

Claudio Corallo und seine Angestellten durchstreifen diesen Urwald regelmäßig auf der Suche nach den Setzlingen. Diese pflanzen sie dann auf der Plantage ein. Die Plantage ist jedoch genauso unkonventionell wie die Anpflanzung durch Primaten. Es ist keine Plantage im herkömmlichen Sinne, denn den Pflanzen wird viel Platz gegeben, und ganz bewusst lässt man andere Pflanzen zwischen ihnen wachsen, solange genügend Luft zirkulieren kann. Vor allem zu den Seiten hin muss ein Luftaustausch stattfinden, um Fäulnis und die Verbreitung von Parasiten zu vermeiden. Nach oben sorgen hohe tropische Regenwaldbäume für Schatten.

Ein Laie würde diese Plantage nicht als solche erkennen, sondern glauben, es sei ein Urwald. Ist es ja auch, mit ein paar Gastpflanzen dazwischen. Auf diese Weise konnte Claudio Corallo bisher auf Pestizide und Düngemittel chemischer Art vollkommen verzichten.

Doch diese Art von Plantage ist auch sehr arbeitsintensiv! Der Dschungel wächst schnell, und damit nicht alles mit Schlingpflanzen zuwächst und die Luft weiterhin zirkulieren kann, müssen 250 Hektar Wald alle ein bis zwei Wochen durchkämmt werden. Jeder einzelne Kakaobaum wird dann per Hand und mit der Machete von Überwucherung befreit.

Verarbeitung vor Ort

Noch auf Principe werden die geernteten Früchte geöffnet und die Bohnen herausgeholt und nach Qualität sortiert. Danach fermentieren oder gären sie etwa zwei Wochen, je nach Luftfeuchtigkeit und Außentemperatur. Ein Vorgang, der von den meisten kommerziellen Plantagen kaum noch durchgeführt wird und wenn, dann nur verkürzt. Aus dem dadurch entstandenen Alkohol destillieren die Corallos einen Kakaoschnaps, den sie in einer ihrer Schokoladenarten verwenden. Nach dem Gären werden die Bohnen bei maximal 40 Grad Celsius über einem Feuer mindestens eine Woche auf Kacheln getrocknet. Danach werden sie in Säcke geladen und per Schiff auf die Seereise nach Sao Tomé geschickt.

Knapp 200 Kilometer entfernt, werden sie dann auf Sao Tomé geröstet und geschält. Erst durch das Rösten entsteht der typische Kakao-Geschmack. Vorher schmecken die Bohnen eher wie schwarze Oliven.

Von der Bohne zur Schokolade

Geröstete Bohnen
Geröstete Bohnen | Bild: NDR

Es gibt bei den Corallos auch ein paar kleine Geheimnisse. Dazu gehört vor allem, wie die geschälte Bohne zur Schokoladenpaste gepresst wird. Man will dazu weder etwas sagen, noch will man es filmen lassen. Wie in jeder anderen Produktion gibt es auch hier Betriebsgeheimnisse. Nur soviel verrät der Italiener: Es wird nichts hinzugemischt, der flüssige Zustand entsteht ausschließlich durch das Fett in der Kakaobohne und nicht durch Zutaten.

Schokoreligion

Es gibt viele Glaubensrichtungen unter Schokoladenanhängern. Claudio Corallo gehört zu den Puristen. Er vertritt die Meinung, dass Schokolade nach Kakaobohne schmecken muss und nicht nach Milch oder Vanille, die in den meisten Schokoladensorten verwendet wird. Etwas Rohrzucker ist unerlässlich, da der Kakao nach der Röstung zwar seinen eigenen Geschmack entwickelt, aber immer noch sehr herb schmeckt. Bestimmte Geschmacksrichtungen, wie beigemischte Orange, Ingwer oder der selbstgemachte Kakaoschnaps sind bei den Corallos auch vollkommen legitim, solange der Grundgeschmack der Kakaobohne erhalten bleibt.

Gute Schokolade, sagt der Mann aus Florenz, kann man übrigens auch mit Hybridpflanzen machen! Er ist froh, dass er mit den ursprünglichen Pflanzen aus Südamerika arbeiten kann, weil sie ihm persönlich einfach besser schmecken, aber grundsätzlich muss Schokolade aus Hybriden nicht schlecht sein. Darauf besteht der Mann, der vier Sprachen fließend spricht, keinen Fernseher hat, dafür aber ein endloses Bücherregal. "Es geht darum, wie man mit dem Rohstoff umgeht. Die meisten Plantagenbesitzer haben in ihrem Leben vielleicht zwei- bis dreimal eine Plantage gesehen", behauptet er, in seinen emotionalen Momenten. "Die sitzen komfortabel in Europa und haben keine Ahnung, welchen Reifegrad ihre Früchte gerade in der Elfenbeinküste oder Ghana haben. Es geht denen nur um den momentanen Wert an der Rohstoffbörse. Das ist das Grundproblem bei mangelnder Schokoladenqualität", so Corallo, "nicht die Hybridpflanzen als solche".

Die Inseln

Sao Tomè
Sao Tomè | Bild: NDR

Claudio Corallo hätte sich ein leichteres Land aussuchen können, um Kakao anzubauen und Schokolade zu produzieren. Für Besucher, Touristen und Liebhaber von Exotischem kann es kaum etwas Idyllischeres geben als die kleine westafrikanische Inselrepublik. Doch Plantagen zu betreiben und eine Schokoladenproduktion, das ist alles andere als einfach.

Die Inseln entstanden durch Lava und sind Teil einer Vulkankette vom Mount Kamerun bis südlich von Sao Tomé. Das Klima ist sehr feucht, ganz besonders auf der Insel Principe, die, wenn sie sich nicht gerade wieder in einer Wolke versteckt, sofort an die Insel Peter Pans erinnert. Flora und Fauna sind nur wenig erforscht und die Bevölkerung setzt sich aus den Nachkommen afrikanischer Sklaven vieler Ethnien zusammen sowie portugiesischen Einwanderern, Piraten und Sträflingen. Die einzige Verbindung zwischen den beiden Inseln ist ein kleines Flugzeug, das zwei bis dreimal die Woche fliegt (wenn es fliegt), ein paar rostige alte Fischerboote und eine nagelneue Fähre aus Spanien, die, nach Aussage aller Experten, für den Atlantik völlig ungeeignet ist und bald sinken wird.
Es gehört also schon eine Menge Idealismus dazu, unter diesen Umständen zu arbeiten.

Adressen & Links

Die Seite der Familie Corallo, auf der sie ihr Leben und Arbeiten auf Sao Tomè beschreibt (Englisch):
www.claudiocorallo.com

Autor: Dominik von Eisenhart-Rothe (NDR)

Stand: 11.05.2012 13:02 Uhr

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