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Der Geheimcode der Gewitter-Vorhersage

Die Flut von Dingsleben
Die Flut von Dingsleben | Bild: privat

21. Juli 2007. Eine Gewitterfront nähert sich Deutschland. Für den Schwarzwald werden Gewitter und Niederschläge erwartet. Doch auf der Westseite passiert nichts! Ganz anders dagegen auf der Ostseite. Und noch etwas Unerwartetes passiert: 350 Kilometer entfernt, in Franken und Thüringen, kommt es zu sintflutartigen Regenfällen. Vor allem in der thüringischen Gemeinde Dingsleben trifft die Wucht des Unwetters die Einwohner völlig unvorbereitet. Innerhalb von zwei Stunden ergießen sich 87 Liter auf jeden Quadratmeter der 250-Seelen-Gemeinde. So viel wie sonst in einem ganzen Monat. Doch warum konnte man das nicht vorhersagen und die Einwohner warnen?

Wettermodelle lokal zu ungenau

Ein Rätsel, das Meteorologen der Universitäten Hohenheim und Karlsruhe unbedingt lösen wollten. Denn keines der Computermodelle hatte die Entstehung dieser extremen Gewitterzellen mit Starkregen rechtzeitig erkannt. Prof. Volker Wulfmeyer, Meteorologe an der Universität Hohenheim, räumt ein, dass auch die Fachleute von diesem Ereignis total überrascht waren: "Wir hatten nicht erwartet, dass es in Thüringen zu solch starken Niederschlägen kommen würde. Erst heute wissen wir, dass der Schwarzwald hier eine große Rolle gespielt hat. Er hat die Niederschläge verstärkt, so dass sie sich über einen großen Bereich im Osten intensiv fortsetzen konnten, bis nach Thüringen."

Problemfall Mittelgebirge

Das Problem: An Mittelgebirgen wie dem Schwarzwald bilden sich Wolken. Doch die Luftströmungen sind hier so komplex, dass sich kaum vorhersagen lässt, wie sich das weitere Wettergeschehen entwickelt: Ob in ein paar Stunden ein harmloses Wölkchen oder ein heftiges Gewitter entstehen wird. Und das führt leicht zu Fehlern in der Vorhersage, weil der Einfluss von Mittelgebirgen wie dem Schwarzwald von den Wettermodellen nur vereinfacht abgebildet wird. Das Ergebnis sind Prognosen, die lokal um bis zu 100 Prozent daneben liegen können. Mit Analysen am Computer kommt man da nicht weiter. Deshalb hat Volker Wulfmeyer zusammen mit einem internationalen Team von Meteorologen die größte und dichteste Niederschlagsmessung durchgeführt, die Europa je gesehen hat, die sogenannte COPS-Kampagne. Mit den modernsten Erkundungssystemen haben die Forscher zwischen Vogesen, Schwarzwald und Schwäbischer Alb, Windverhältnisse, Luftfeuchtigkeit und Wolkenbildung drei Monate lang untersucht.

Schwarzwald als weltweit größtes Labor der Wettervorhersage

Dabei kam auch ein bislang einmaliges Lasergerät zum Einsatz. Damit können die Forscher die Wolkenentstehung von der Erde aus beobachten. Das hat gegenüber der Satellitenbeobachtung den Vorteil, dass nicht nur die obersten Wolkenschichten, sondern die gesamte Atmosphäre dreidimensional gescannt wird. So wird die Luftfeuchtigkeit präziser gemessen und das ist entscheidend für die Berechnung der Niederschlagswahrscheinlichkeit. Drei Jahre nach der Messkampagne und nach der Auswertung einer gewaltigen Datenmenge sind die Meteorologen ihrem Ziel einen großen Schritt näher: der Entwicklung einer verlässlichen Extremwetter-Vorhersage auf der Ebene einzelner Landkreise. Heute wissen die Experten, warum zum Beispiel im Westteil des Schwarzwalds nur halb so viel Regen fällt, wie die bisherigen Wettermodelle vorhersagen. Im Ostteil dagegen ist es doppelt so viel. Genau so war es auch am 21.Juli 2007. Der Grund: Im groben Maßstab sind die Modelle zwar richtig, aber im Detail enthalten sie systematische Fehler, die nun aber durch die Ergebnisse COPS-Kampagne behoben werden können.

Geheimcode der Gewitter-Vorhersage entschlüsselt

Der Geheimcode der Gewitter-Vorhersage steckt in einer komplexen mathematischen Gleichung. Die Meteorologen haben sie in 20 verschiedene Wettermodelle eingespeist. Deren Ergebnisse werden gemittelt und zu einer sogenannten Ensemble-Simulation zu einer Vorhersage höherer Genauigkeit gebündelt. In ihr zeigt sich, wie am 21. Juli 2007 auf der Schwarzwald-Ostseite wie aus dem Nichts Gewitterzellen entstehen. Aus ihnen bildet sich eine neue Unwetterfront heraus, sie zieht nach Osten weiter, lädt sich mit Feuchtigkeit auf und geht über Franken und Thüringen als Starkregen nieder. Die Vielzahl der Beobachtungen, die den Meteorologen zur Verfügung stehen, in die Modelle der Wetterdienste einzuspeisen, ist allerdings noch ein zeitaufwändiges Unterfangen. Doch wenn es geschafft sein wird, werden sie extreme Wetterereignisse mit wesentlich größerer Vorlaufzeit und Genauigkeit vorhersagen können. Einen Starkregen wie in Dingsleben kann eine solche Vorhersage zwar auch nicht verhindern, aber die Einwohner vor der Flut immerhin rechtzeitig warnen.

Adressen & Links

Prof. Volker Wulfmeyer
Universität Hohenheim
Institut für Physik und Meteorologie
Tel.: (0711) 459-22150
Fax: (0711) 459-22461

Autor: Markus Hubenschmid (SWR)

Stand: 29.10.2015 14:35 Uhr

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