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Abgetaucht - Roboter in der Tiefsee

Gerätschaften stehen auf dem Meeresgrund (MARUM, Universität Bremen)
Tiefseeforschung erfordert einen großen technischen Auwand.

Eine Welt ohne Licht, extreme Temperaturschwankungen und ein hoher Wasserdruck: Damit Unterwasserroboter unter solchen Bedingungen trotzdem arbeiten können, steckt in den Geräten unvorstellbar viel technisches Know-how. Einer der wenigen Menschen, die die Technik beherrschen, um in die Tiefsee vorzustoßen, ist Volker Ratmeyer vom Institut für Marine Umweltwissenschaften in Bremen (MARUM). Er lenkt, oder besser gesagt "fliegt", die zwei Unterwasserroboter des Instituts.

Die Unterwasserroboter "Cherokee" und "Quest"

Der Tauchroboter wird ins Wasser gebracht
Die "Quest" ist bereit für einen Tauchgang. | Bild: BR

Das "Cherokee" ist ein mittelgroßes, elektrisch angetriebenes Inspektions-ROV (ROV steht für: remotely operated vehicle, also ein aus der Ferne bedienbares Gefährt) mit einer maximalen Einsatztiefe von 1.000 Metern. Das Fahrzeug ist besonders für den Einsatz auf kleineren Forschungsschiffen interessant: Es benötigt wenig Stellfläche, passt in einen Container und kann von einer kleinen Zwei-Personen-Crew bedient werden. Das Fahrzeug ist mit drei Kameras ausgestattet und ist mit Sonar und Laser zur Vermessung von Objekten am Boden ausgestattet. Mit einem Greifarm kann das "Cherokee" Proben entnehmen.

Das "Quest" ist der große Bruder des "Cherokee" und ein sogenanntes workclass ROV für schwere Handhabung. Es ist für industrielle Konstruktionsaufgaben in der Tiefsee konzipiert und fast drei Tonnen schwerer. Volker Ratmeyer hat dieses Industrie-ROV für wissenschaftliche Aufgaben angepasst. Und jetzt steht ein einzigartiges Unterwassergefährt mit leistungsfähiger Antriebstechnik, der Möglichkeit zur schnellen Datenübertragung und einer erstklassigen wissenschaftliche Ausrüstung für die moderne Tiefseeforschung zur Verfügung - bis zu 4.000 Meter tief kann die "Quest" tauchen.

Der "Seehund" braucht einen Nachfolger

Volker Ratmeyer
Der Forscher Volker Ratmeyer entwickelt einen Nachfolger für den Tauchroboter "Seehund". | Bild: BR

Auch der Hightech-Tauchroboter "Seehund" hat Volker Ratmeyer bei seiner Forschung bisher gute Dienste geleistet. Er kann in Tausenden Metern Tiefe selbstständig den Meeresboden erkunden. Für längere Tauchfahrten unter dem ewigen Eis ist er allerdings nicht geeignet. Der "Seehund" braucht einen Nachfolger, der nicht nur Fotos machen, sondern auch Proben nehmen kann und eine größere Reichweite hat. "Dadurch würden ganz andere Arbeiten ermöglicht", erklärt Volker Ratmeyer. "Zum Beispiel kann man weit unter das Eis fahren und trotzdem mit einer sehr dünnen Glasfaserverbindung Kamerabilder und Messdaten zum Schiff übertragen. Das heißt aber auch: Man hat bei diesen Einsätzen das Risiko, dass man die Geräte verlieren kann."

Die Entwicklung eines solchen Geräts ist wieder mal eine neue Herausforderung für das Bremer Team. Ein Planungsfehler, und Hunderttausende Euro sind verloren. Die Anforderungen an die Unterwasserfahrzeuge sind enorm. Auf Elektronik, Messgeräte und Kameras wirkt in 2.000 Metern Tiefe ein 200 Mal höherer Druck als an der Oberfläche. Jahre können vergehen, ehe ein neuer Roboter auf seine erste Tiefseeexpedition geht.

Doppelt hält besser

Die "Quest" hängt an einem Ladekran
Bis zu drei Tage kann das Beladen eines Forschungschiffes dauern. | Bild: BR

Mit jedem Tauchgang gibt es Einblicke in unbekannte Welten, denn nur ein Prozent der Tiefsee gilt bisher als erforscht. Kein Wunder - Unterwasserforschung birgt enorme Schwierigkeiten. Wenn Volker Ratmeyer in See sticht, kommen schnell 50 Tonnen Gepäck zusammen. Bis zu drei Tage dauert allein das Verladen. Fast jedes Teil ist für den Notfall doppelt dabei, denn die Expeditionen dauern bis zu drei Monate. Mal eben schnell zurück fahren, weil etwas fehlt, geht da natürlich nicht.

Heute geht es mit dem Forschungs-Tauchroboter "Quest" hinab bis auf 4.000 Meter Tiefe. Solche dreieinhalb Tonnenriesen gibt es weltweit nur wenige. Volker Ratmeyer ist zwar eigentlich Geologe und kein Ingenieur. Trotzdem ist er bei seinen Robotern darauf angewiesen, jeden der über 100 Schaltkreise, jede Hydraulikleitung, jedes Ventil zu kennen - um zur Not alle Ausfälle selbst beheben zu können.

Ein Roboter fliegt durchs Wasser

Kisten liegen auf dem Meeresgrund (MARUM, Universität Bremen)
Der Roboter bringt Kisten auf den Meeresgrund.

Heute soll der Roboter Kisten mit Holz und anderen organischen Materialien als Köder für Tiefseebewohner absetzen. Denn viele Organismen ernähren sich von derartigen Stoffen, die von der Oberfläche herabsinken. Doch ferngesteuertes "Kistenentladen" ist ein Kunststück: "Es ist eher fliegen als fahren. Man fährt ja nicht nur auf dem Untergrund herum, sondern muss sich in allen drei Raumdimensionen bewegen. Man hat die Strömung, man hat den Auftrieb und den Abtrieb, und man muss - ähnlich wie beim Hubschrauber im dreidimensionalen Raum - alle Bewegungsrichtungen kontrollieren", erklärt Volker Ratmeyer.

Und als es dann zur Sache geht, dauert es ewig, bis das Manöver klappt. Volker Ratmeyer bleibt trotz Komplikationen ruhig, als er seine Kollegen dirigiert: "Jetzt mal näher ran. Jetzt dreht er sich wieder weg. Wir können nicht aufsetzen! Wir müssen an der Kante andocken. Hoffentlich vertüdelt sich das nicht mit den langen Strippen. Jetzt kommt die eine Strippe dem Arm zu nahe. Jetzt sind wir zu hoch."

Forschung am Limit

Chimäre (MARUM, Universität Bremen)
Ein seltener Anblick: eine Chimäre

Dann endlich nach einer Stunde ist der Greifarm in der richtigen Position - und es ist erst die erste Kiste. Es wird ein langer komplizierter Tag an Bord der Meteor, der erst nach Dunkelheit endet. Die Bilanz: abgetaucht, zehn Kisten ausgeladen, Proben genommen, aufgetaucht - das kann in der Tiefsee schon mal zwölf Stunden dauern. Tiefseeforschung ist Forschung am Limit. Aber durch ständige Kontrollen wird das Team in den nächsten Wochen erfahren, welche Tiere von ihren Ködern gefressen haben.

Später erlebt Volker Ratmeyer bei einem der Besuche unter Wasser tatsächlich einen dieser magischen Momente. Eine Chimäre taucht auf: ein seltener Tiefsee-Knorpelfisch, verwand mit den Haien und Rochen. Nur wenige Menschen durften je eine Chimäre in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten - für Volker Ratmeyer sind solche Momente der Lohn für die enormen Mühen jeder Expedition.

Adressen

MARUM
Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen
Leobener Straße
28359 Bremen

Autor: Florian Guthknecht (BR)

Stand: 26.06.2015 08:53 Uhr

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