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Die Regenmacher

Gerhard Markart
Gerhard Markart untersucht mit seinem Team die Auswirkung von Regen auf Bergwiesen | Bild: BR

Gerhard Markart und sein Team vom Institut für Naturgefahren wollen es wieder einmal heftig regnen lassen. Regelmäßig sind die Wissenschaftler in den Tiroler Bergen, um Stark- und Dauerregen zu simulieren. Heute brechen sie ins Brixenbachtal auf, in der Nähe von Kitzbühel.

Die "Regenmacher" sind dem Phänomen auf der Spur, warum ein Gebirgsbach sich plötzlich in einen reißenden Fluss verwandeln kann. Und sie gehen der Frage nach, warum manchmal nur ein kräftiges Gewitter in den Bergen unten im Tal zu Hochwasser, Überschwemmungen und Erdrutschen führen kann.

Hochwasser-Vorhersage in den Alpen

Erdrutsch im August 2005 im Paznauntal
Erdrutsche wie im Paznautal 2005 nehmen zu | Bild: BR

Bis vor kurzem war nur wenig über die Gesetze solcher Ereignisse bekannt. Aber mit jedem ihrer Versuche machen die Innsbrucker Forscher Hochwasser in den Alpen und seine Folgen besser vorhersagbar. "Überflutungsereignisse in den Talschaften, gerade in Folge von Gewittern, haben häufig ihre Ursachen in den hintersten Wildbacheinzugsgebieten", sagt Gerhard Markart. Genau deshalb ist es für die Forscher wichtig zu wissen, wie viel Wasser im Boden der Berge versickern kann, beziehungsweise wie viel nicht versickert und stattdessen einfach in den nächsten Wildbach abfließt.

Almwiesen fördern Hochwasser

Versuchsaufbau der Forscher
Diesmal soll der Versuch an einer steilen Weidefläche stattfinden | Bild: BR

Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, betreiben die Forscher großen Aufwand. Auf über 300 Versuchsflächen in Tirol haben sie bislang Stark- oder Dauerregen simuliert. Wasser, Rohre, Messgeräte bringen sie teilweise auf 2.500 Meter Höhe. Und auch in schwierigem Gelände muss der Aufbau wissenschaftlich exakt sein. Aber die Mühe lohnt sich, denn mittlerweile wissen die Regenmacher: Es sind die Eigenschaften der Böden und ihr Bewuchs, die darüber entscheiden, ob es zu bedrohlichem Hochwasser kommt oder nicht.

Diesmal haben sich die Forscher eine steile Weidefläche auf 1.500 Meter Höhe ausgesucht. Hier wachsen verschiedene Gräser, Blumen, Weißklee und Kräuter – Weiderasen, die typische Almlandschaft in den Tiroler Bergen. Kann sie vor Hochwasser schützen?

Das Experiment beginnt. Schon nach kurzer Zeit beobachten die Regenmacher: Das Wasser sickert kaum in den Boden ein. Offenbar wird es nicht in tiefere Erdschichten abgeleitet und damit "unschädlich" gemacht. Stattdessen fließt es oberflächlich ab. Und das mit ziemlicher Geschwindigkeit.

Das Vieh trampelt den Boden platt

Markart zeigt auf die verdichtete Erde
Die Erdschicht ist verdichtet und nimmt deswegen kaum Wasser auf | Bild: BR

Ein einfaches Bodenprofil genügt den Regenmachern, um zu erkennen, warum das hier so ist. Der Boden hat durch intensive Beweidung keine geeigneten Hohlräume, keine groben Poren mehr. Er wurde durch das Vieh über Jahrzehnte verdichtet - man könnte auch sagen plattgetrampelt. Aber genau solche Grobporen braucht der Boden, um bei einem Gewitterregen das Wasser aufzunehmen und in tiefere Schichten abzuleiten. Fehlen diese Grobporen, fließt ein großer Teil des Niederschlags an der Oberfläche ab.

Die Menge des abfließenden Regenwassers offenbart die Gefährlichkeit des Weidebodens. Bei dem Versuch kommen von 100 Litern Regen pro Quadratmeter 60 Liter im Sammelbecken an. Eine erschreckende Menge! Auf einer Gefahrenskala von eins bis fünf erreicht der Weideboden eine vier - er ist ziemlich gefährlich!

Gefahr durch den Bürstling

Gerhard Markart hat ein Büschel Bürstling in der Hand
Pflanzen wie der Bürstling fördern den oberflächlichen Abfluss des Wassers | Bild: BR

Aber die Böden sind nicht alleine entscheidend. Auch die Pflanzen haben Einfluss. Manchmal können sie die guten Eigenschaften eines Bodens sogar vollkommen zunichtemachen. Zum Beispiel, wenn sie den Regen gar nicht bis zur Erde durchlassen.

Der Bürstling ist so eine Pflanze. Sein Graspolster wächst langsam in die Höhe. Unten sterben die Blätter ab und vertrocknen. Sie legen sich um und bedecken den Boden. Wenn das auf großer Fläche passiert, bildet sich ein regelrechtes Strohdach über der Erde. "Und auf diesem Strohdach fließt das Wasser dann einfach ab", erklärt Gerhard Markart. "Es kommt mit dem Boden überhaupt nicht mehr in Berührung."

Böden haben ein langes Gedächtnis

Eine thematische Karte mit gefärdeten Gebieten
Durch die Arbeit der Forscher kann die Gefahr regional abgeschätzt werden | Bild: BR

Über 12.000 Wildbäche gibt es in Österreich. Im Schnitt hat jeder ein fünf Quadratkilometer großes Einzugsgebiet - mit unterschiedlichsten Böden und Bewuchs. Dank der Ergebnisse der Regenmacher und einem daraus erstellten Handbuch können die Gemeinden in den Bergen nun selbst abschätzen, wo Gefahr droht. Durch neue Skipisten und falsche Flächennutzung haben manche das Risiko in den letzten Jahren erhöht. Sie müssten aufforsten, mehr Verbuschung zulassen und weniger intensiv bewirtschaften. Dann würden im Boden neben Grobporen auch viele Hohlräume von Wurzeln oder tierischen Bodenbewohnern entstehen. Die helfen, das Wasser bei einem Starkregen schnell in die Tiefe zu transportieren.

"Im Tal kann man sicher auch Maßnahmen ergreifen, um die Folgen von Hochwasser zu vermeiden", meint Gerhard Markart. "Aber hier oben in den Wildbacheinzugsgebieten, kann man Hochwasserschutz an erster Stelle betreiben! Das Problem ist nur, dass die Böden ein sehr, sehr langes Gedächtnis haben und das es sehr lange dauert, bis diese Maßnahmen greifen."

Jetzt handeln!

Gewitter und Starkregen haben schon zugenommen: In den letzten Jahren gab es in den Alpen immer häufiger Starkregen und Gewitter. Oft fiel dabei doppelt so viel Niederschlag wie bei den Versuchen der Regenmacher! Jedes Mal hat das zu dramatischen Überschwemmungen und Erdrutschen geführt, wie zum Beispiel im August 2005 im Paznauntal.

Laut Experten drohen in Zukunft sogar fünfmal mehr Überschwemmungen als bisher auftreten. Die Gemeinden in den Alpen müssen handeln und zwar möglichst schnell.

Autor: Herbert Hackl (BR)

Stand: 03.11.2015 10:18 Uhr

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