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Die Schweinemumie

Eine ägyptische Mumie
Die alten Ägypter wollten, dass der Leichnam möglichst unversehrt blieb. | Bild: BR

Für die alten Ägypter war der Erhalt der Körper nach dem Tod ein wichtiger Bestandteil ihrer Religion. Sie glaubten, jeder Mensch habe drei Seelen, die nach dem Tod einen erhaltenen Körper benötigten, um in ihn zurückkehren zu können. Der Körper war sozusagen die Heimat der Seelen. Daher war die Mumifizierung des Leichnams keine gruselige Show-Veranstaltung, sondern Teil des Lebens. Und es war wichtig, den Leichnam möglichst lebendig aussehen zu lassen.

Der Münchner Pathologe Andreas Nerlich beschäftigt sich täglich mit Toten. Die Kunst der Ägypter, deren Körper zu erhalten, fasziniert ihn: "Was wir von den alten Ägyptern an Mumifikationstechnik wissen, würden wir gerne überprüfen. Wir möchten schauen, wie es funktioniert, ob es gut funktioniert, wie einfach oder schwierig es zu machen ist." Deshalb macht der Pathologe ein Experiment - allerdings nicht mit einem menschlichen Leichnam, sondern mit einem Schwein, das als Versuchstier der Münchner Universität ohnehin hätte eingeschläfert werden müssen.

Wasserentzug - das Prinzip "Dörrfleisch"

Ein mumifizierter Kopf
Damit einer Körper mumifiziert, muss ihm Wasser entzogen werden. | Bild: BR

Die Kunst der Mumifikation entwickelte sich erst allmählich. In der Frühzeit begruben die Ägypter ihre Toten in der Wüste. Wurden die Leichen freigelegt - etwa durch Wind - zeigte sich, dass der Leichnam durch die Trockenheit zwar ausgedörrt, aber nicht verwest war. Der Entzug des Wassers ist also der Schlüssel für den Erhalt des Körpers, da zersetzende Bakterien und Pilze dann nicht mehr aktiv sein können.

Die ersten künstlichen Mumien schufen die alten Ägypter vor etwa 5.000 Jahren. Vermutlich wurden die ersten Leichname bei diesem Vorgang noch auf natürliche Weise in der Sonne getrocknet und dann balsamiert - also mit Öl, Salben und Kräutern eingerieben.

Verwesung von innen

Erst ein paar Jahrhunderte später erkannten die Ägypter, dass der Körper noch besser erhalten wird, wenn man die Gedärme entfernt. Tatsächlich verwesen Leichname von innen - zunächst durch körpereigene Darmbakterien. Mit einem kleinen Schnitt, um den Körper möglichst unversehrt zu lassen, wurden daher Darm, Magen, Milz und Nieren entfernt. In späteren Epochen wurden auch die Eingeweide mumifiziert und in Gefäßen, den sogenannten Kanopen, mit beigesetzt. Das Herz ließ man im Körper - für die alten Ägypter war es der Sitz von Geist und Gedächtnis sowie der Gefühle des Menschen.

Vom Schwein zur Mumie - die ersten Schritte

Der Bauch des toten Schweins wird aufgeschnitten
Für die Mumifizierung ist es notwendig, die Eingeweide zu entfernen. | Bild: BR

Die Techniken der Ägypter wenden der Pathologe Andreas Nerlich und sein Kollege Alfred Riepertinger auch bei dem Schwein an, das sie für das Experiment mumifizieren wollen: Sie entnehmen dem Tier zunächst die Eingeweide und füllen die leere Bauchhöhle dann mit Thymian, Rosmarin und Nelken - des Geruchs wegen. Anschließend treibt Assistent Alfred Riepertinger einen Metallhaken durch die Nase in den Schädel.

Das machten die Ägypter mit ihren Toten auch - um das Gehirn zu entnehmen. Allerdings kam dieser Schritt in der Geschichte der Mumifizierung erst rund tausend Jahre später dazu, nachdem die Entfernung der Eingeweide schon Usus war. Hierfür wurde ein kleiner Meißel über die Nase zum Siebbein geführt und dieses durchschlagen. "Das Gehirn hatte in Ägypten nicht die Bedeutung, die wir ihm heute zumessen", erklärt Andreas Nerlich. "Deshalb wurde es entfernt. Ab etwa 1.600 vor Christus wurde hierzu auf beiden Seiten der Siebbeinplatte mit einem festen Gegenstand, wahrscheinlich einem Metallhaken, eine Öffnung in das Gehirn gestoßen - also regelrecht mit Gewalt. Der Haken wurde gedreht. Nach der Verflüssigung hat man das Gehirn nach vorne hin einfach auslaufen lassen."

Das Salz von "El-Natrun"

Nach 40 Tagen in Natron ist der Schweinkörper ausgetrocknet
Nach 40 Tagen in Natron ist der Schweinkörper ausgetrocknet | Bild: BR

Die Ägypter erkannten außerdem, dass Salz dem toten Körper das Wasser sehr gut entzieht. Besonders das Salz aus dem Wadi "El-Natrun" war dafür geeignet, noch besser als gewöhnliches Kochsalz, mit dem man auch Fleisch durch Pökeln haltbar macht. Von "El-Natrun" leitet sich daher auch der Name des Salzes ab: Natron-Salz, die chemische Bezeichnung lautet Natriumhydrogencarbonat.

In Leinensäckchen eingewickelt stecken die Pathologen das Salz in die Bauchhöhle des Schweins. "Stilecht" - also wie bei den Ägyptern auch - wird der Körper in einen Sarg gelegt, der ebenfalls mit Natron-Salz ausgelegt ist. Über 200 Kilogramm verteilt Alfred Riepertinger nun auf dem Körper des Schweins. Der muss ganz damit bedeckt sein.

Die Ägypter ließen das Salz 40 Tage lang auf die Körper ihrer Toten wirken - dann war er schon ziemlich ausgetrocknet. Anschließend wurde der nun schon sehr steife Leichnam nochmals in die Sonne gestellt oder über einem Feuer endgültig getrocknet.

Auch beim Schwein warten die Pathologen nach der "Salzbehandlung" 40 Tage ab. Hat das Natron seine Aufgabe erfüllt? Als sie das Schwein aus dem Sarg nehmen, wird klar: Es hat funktioniert - auch hier! Der Schweine-Körper ist härter geworden und hat durch das Salz viel Wasser verloren. Er ist nun haltbar. Die Pathologen sind beeindruckt von den Kenntnissen der alten Ägypter.

Asphalt für die Ewigkeit

Auf dem Schweinekörper werden Bitumen und Honig verteilt
Der Pathologe Andreas Nerlich verteilt Honig auf dem Schweinekörper. | Bild: BR

In der Hochphase der Mumifizierung wurde nach dieser Trocknung die Mumie so ausgestopft, dass der durch den Wasserverlust geschrumpfte Körper wieder möglichst lebensecht aussah. Dann wurde der Leichnam kunstvoll mit Leinenbandagen umwickelt. Insgesamt fast 400 Quadratmeter Leinen wurden verwendet. Das sollte verhindern, dass einzelne Gliedmaßen sich lösen und der Körper verfällt. Die Mumie wurde noch mit heilbringenden Amuletten geschmückt und abschließend die Bandagen mit Bitumen, der auch heute noch in Straßenasphalt verwendet wird, bestrichen. Im Persischen wurde dieses "Erdpech" auch Mumia genannt - daher der Name Mumie.

Auch beim Schwein in der Münchner Pathologie kommt Bitumen zum Einsatz. Mit Honig dichtet es den Körper des Schweins ab, damit keine Bakterien eindringen können. Außerdem wickelt Andreas Nerlich den Körper des Tiers in ebenso viel Gaze-Leinen ein, wie es bei den Ägyptern üblich war. Die Ähnlichkeit zu den berühmten ägyptischen Mumien wird erkennbar. Sein Fazit: "Ein gelungenes Experiment, würde ich sagen." Der Münchner "Tutanchamun" ist zwar nicht so prächtig wie das Original - aber wohl genauso haltbar. Der Beweis erfolgt allerdings erst in ferner Zukunft - in 3.000 Jahren gibt es dann bei uns den nächsten Beitrag über die Schweinemumie.

Literatur

Was ist was - Mumien (Band 84)

Renate Germer, Pulsar Estudio, Buenos Aires
Tessloff Verlag, 2010
48 Seiten, circa 10,00 Euro

"Mumien"

Renate Germer
Bibliographisches Institut, 2005
197 Seiten, circa 4,00 Euro

Autor: Jan Kerckhoff (BR)

Stand: 13.11.2015 14:19 Uhr

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