SENDETERMIN So., 16.10.11 | 17:03 Uhr | Das Erste

Nützlicher Neid

Ein Sänger auf der Bühne wird von einem anderen beobachtet
Der Erfolg eines anderen kann neidisch machen | Bild: NDR

"Neid ist die einzige Todsünde, die keinen Spaß macht", sagt der amerikanische Autor Joseph Epstein. Und wirklich: Neid tut weh, macht einsam, im Extremfall sogar krank. Zeigen darf ein Neider diese Schmerzen jedoch nicht: Neid ist ein "verbotenes" Gefühl, gilt als Charakterschwäche. Zu Unrecht, sagt Niels van de Ven. Der holländische Sozialpsychologe glaubt: Neid spornt uns zu Höchstleistungen an und hilft dabei, die Gesellschaft zusammenzuhalten.

Zielscheiben des Neides

Niels van de Ven
Niels van de Ven untersucht das Phänomen Neid | Bild: NDR

Wen beneiden Sie eher, ihren brillanten jungen Kollegen, der gerade befördert wurde? Oder Ihren obersten Chef? Das Einkommen des Chefs ist wesentlich größer und in der Hierarchie steht er ganz oben - aber wahrscheinlich beneiden Sie trotzdem eher Ihren Kollegen. "Wir wollen immer genauso gut - oder sogar besser - sein, als die Menschen, die uns ähnlich sind", sagt der Sozialpsychologe Niels van de Ven von der Uni Tilburg. "Der Neider denkt: 'Das hätte ich sein können!'" Also wird nicht der Chef, sondern der Kollege beneidet. Oder der Nachbar, weil er ein neues Auto hat und nicht die Superreichen, die sich mehrere Autos leisten. Wir beneiden auch Menschen, denen wir eigentlich nur Gutes wünschen sollten: Enge Freunde, Geschwister. Das hat oft bittere Folgen.

Ein zwiespältiges Gefühl

Ein junger Mann schaut neidisch
Neider sollen gar den bösen Blick haben | Bild: NDR

Nicht nur bei den Christen gehört der Neid zu den klassischen sieben Todsünden. In vielen Kulturen heißt es, Neider hätten den bösen Blick. Und auch Wissenschaftler behaupten, dass neidische Menschen gefährlich werden können. Britische Sozialforscher haben die zerstörerische Kraft des Neides in einem Experiment gezeigt: Eine Gruppe Studenten spielt ein Glücksspiel am Computer. Es geht um Geld. Die Gewinne sind sehr ungleich, dafür haben die Wissenschaftler bewusst gesorgt. Dann stellen sie die Verlierer vor die Wahl: Wollen sie ihren mageren Gewinn behalten? Oder sind sie bereit, auf einen weiteren Teil ihres Geldes zu verzichten, wenn sie damit bewirken, dass die großen Gewinner ebenfalls nur einen kleinen Teil ihres ursprünglichen Gewinnes bekommen?

Die dunkle Seite des Neides

Bildschirm mit der Versuchsaufgabe
Da Geld behalten oder einsetzen? - Vor dieser Frage standen die Versuchsteilnehmer | Bild: NDR

Das Ergebnis der Studie: Die Neider attackieren die Gewinner. Dass sie eigenes Geld abgeben müssen, um den großen Gewinnern zu schaden, scheint sie nicht zu stören. Am Ende vernichten die Neider fast die Hälfte des gesamten Gewinns. "Das zeigt, wie zerstörerisch Neid sein kann", sagt Niels van de Ven. Aber er erkennt hinter der Zerstörungswut der Neider einen tieferen Sinn: "Andere runterzuziehen, die erfolgreicher sind, hilft Menschen dabei, das Gleichgewicht in der Gruppe wieder herzustellen." Diese Form des Ausgleichs geht allerdings zu Lasten der Erfolgreichen, vernichtet Kapital und zerstört Vertrauen. Der Neid führt dazu, dass Menschen in der Präsentation eines Kollegen Zahlen vertauschen und Nachbarn den Autolack verkratzen. Aber Niels van de Ven ist überzeugt, dass der Neid auch eine konstruktive Seite hat.

Die positive Seite des Neides

Ein junger Mann sieht erleichtert aus
Was bedeutet einem wirklich etwas im Leben? | Bild: NDR

"Ich bin oft neidisch auf tolle Kollegen, die großartige Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichen", erklärt der Sozialpsychologe Niels van de Ven. "Wenn diese Kollegen wieder mal einen ausgezeichneten Aufsatz geschrieben haben, dann fühle ich Neid. Das ist frustrierend für mich - aber es motiviert mich auch." Auch diese Sorte Neid sorgt für Ausgleich, sagt Niels van de Ven, aber nicht, weil Erfolgreiche runtergezogen werden, sondern weil ihr Erfolg andere anstachelt.

Und das ist nicht der einzige positive Effekt des Neides. Niels van de Ven hat in mehreren Experimenten gezeigt, dass Menschen, die fürchten, beneidet zu werden, sich hilfsbereiter verhalten. Der Neidforscher hat dafür eine einfache Erklärung: Beneidete Menschen verhalten sich entgegenkommender, um den zerstörerischen Folgen von Neid zu entgehen. Es ist die Angst vor dem Neid der anderen, die dazu führt, dass Erfolgreiche sich um Schwächere bemühen. So dient die Todsünde in Wahrheit als sozialer Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.

Niels van de Ven plädiert dafür, Neid nicht zu unterdrücken, sondern zu nutzen - als Mittel zur Selbsterkenntnis. "Neid ist ein deutliches Signal, das zeigt, was einem wichtig ist", sagt er. "Wenn du dir klar machst, worauf du neidisch bist, kannst du daraus lernen, was Dir im Leben wirklich viel bedeutet."

Autorin: Christine Buth (NDR)

Stand: 13.11.2015 13:37 Uhr

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