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Wie Tiere fühlen

Ein Gorillaweibchen mit seinem toten Kind
Gorillaweibchen Gana hält ihr totes Baby fest im Arm | Bild: SWR

Das Gorillaweibchen Gana lässt ihr totes Baby nicht mehr los. Im Jahr 2008 verstirbt im Zoo Münster das drei Monate alte Jungtier ganz plötzlich. Fast eine Woche trägt die Mutter das tote Kind mit sich herum. Eine richtige Trauerphase, sagen die Pfleger. "Die Zeit mit dem Kind hat sie gebraucht, um sich zu verabschieden. Ich will das nicht vermenschlichen", erklärt Bärbel Uphoff, die Revierleiterin der Menschaffen. "Aber sie musste den Tod des Kindes erst einmal verarbeiten. Wir geben den Menschenaffen immer die Zeit zum Trauern."

Gefühle lassen sich nur schwer messen

Ein Gorilla guckt in die Kamera
Ein trauriger Blick? Gefühle lassen sich nicht in Tiere hineininterpretieren | Bild: SWR

Ob und wie Tiere fühlen, steht immer wieder zur Diskussion - zum Beispiel, wenn es um die artgerechte Haltung von Tieren geht. Deshalb ist die Erforschung dieses Themas umso wichtiger - doch Biologen haben um die Gefühle von Tieren jahrzehntelang einen Bogen gemacht. Der Grund: Man wollte sich absetzen von einer Zeit, in der selbsternannte Verhaltensforscher Gefühle in Tiere nur hineingedeutet haben. Schnell interpretiert man zum Beispiel den Gesichtsausdruck des Schimpansen falsch, wenn der seine Mundwinkel nach hinten zieht. Von wegen Heiterkeit, denn das bedeutet bei den Schimpansen Angst.

Professor Norbert Sachser ist Verhaltensbiologe an der Universität Münster und weiß, dass dieses Forschungsgebiet nicht einfach ist. "In der Wissenschaft brauchen wir natürlich etwas, das wir messen können. Und wir müssen angeben, warum wir sagen: Das ist Trauer bei diesem Tier, oder das ist Glück bei diesem Tier." Doch so einfach wie Fieber lassen sich Gefühle nicht messen.

Meerschweinchen vermissen ihren Partner

Ein Meerschweinchen hat ein Wattestäbchen im Mund
Eine Speichelprobe bitte! So lässt sich das Stresshormon Cortisol messen | Bild: SWR

Wissenschaftler der Uni Münster haben Experimente mit Meerschweinchen gemacht. Die leben dort in großen Gruppen zusammen, jedes Tier hat aber einen Lieblingspartner. Für den Versuch trennen die Biologen solche Lieblingspartner und setzen das Männchen in Einzelhaltung: Das ist Stress für das Tier, verrät eine Speichelprobe. Denn sie enthält viel Cortisol - ein untrügliches Zeichen für Stress. Kommt ein x-beliebiges Weibchen in den Käfig dazu, macht das die Situation nicht besser. Erst, wenn das Lieblingsweibchen dem Männchen Gesellschaft leistet, nimmt die Cortisol-Konzentration wieder ab, erklärt der Biologe Norbert Sachser. "Auch beim Meerschweinchen kann man also zurückschließen, dass es offensichtlich ein Gefühl von Verlassenheit gibt. Das wird aber wieder aufgehoben, wenn der Bindungspartner anwesend ist. Im Grunde ist das ein allgemeines Prinzip für alle Säugetiere - ganz unabhängig davon, ob wir über Tiere oder über den Menschen sprechen."

Die Anatomie der Gefühle ist bei Säugetieren gleich

Ein Meerschweinchen springt von einem Podest
Dieses Meerschweinchen ist vom Typ her eher mutig - es springt vom Podest | Bild: SWR

Andere Versuche haben sogar gezeigt, dass selbst Meerschweinchen Persönlichkeiten haben und jedes Tier ein anderer Gefühlstyp ist:
Die Wissenschaftler setzen für das Experiment ein Meerschweinchen auf ein erhöhtes Podest: Doch bis es runterspringt, braucht es sehr lange. Auch, wenn es erneut in die Situation gebracht wird und eigentlich wissen müsste: Es passiert dabei nichts. Typ Feigling. Ein anderes Meerschweinchen dagegen zögert nicht lang und stürzt sich sofort runter - und das bei x-facher Wiederholung. Typ Draufgänger.

Verwunderlich ist diese Ähnlichkeit zum Menschen eigentlich nicht. Denn anatomisch gesehen ist unser "Gefühlszentrum" im Gehirn - das limbische System - bei allen Säugetieren gleich aufgebaut. Dass die Verarbeitung von Gefühlen also ähnlich funktioniert, liegt deswegen nahe. Nicht umsonst werden zum Beispiel Medikamente gegen Depressionen an Mäusen getestet. Denn die Reaktion auf die Arzneimittel ist vergleichbar mit der des Menschen.

Paradigmenwechsel in der Wissenschaft

Die Wissenschaft hat inzwischen gemerkt: Ein komplettes Kapitel in der Verhaltensbiologie - nämlich das zum Thema Emotionen von Tieren - fehlt. Und nur, weil die Gefühle der Tiere schwer zu beweisen sind, heißt es noch lange nicht, dass sie nicht existieren. Deshalb läuft inzwischen die Forschung in Sachen "tierische Gefühle" auf Hochtouren. Der Verhaltensbiologe Norbert Sachser erwartet in den nächsten Jahren neue, fundierte Ergebnisse auf diesem Gebiet. Er ist überzeugt: Die Ergebnisse werden den Umgang der Gesellschaft mit Tieren verändern.

Lesetipp

Das Gefühlsleben der Tiere

Autor: Marc Bekoff
Animal Learn Verlag, Mai 2008, 1. Auflage
231 Seiten, 20 Euro

Marc Bekoff ist ein ehemaliger Professor für Ökologie an der University of Colorado. Sein Einsatz für die Rechte von Tieren und die ethische Verantwortung der Wissenschaft haben ihn über die USA hinaus bekannt gemacht. In seinem Buch "Das Gefühlsleben der Tiere" versucht er, beim schwierigen Thema "Emotionen von Tiere" trotzdem wissenschaftlich korrekt zu bleiben.

Autor: Sarah Weiss (SWR)

Stand: 13.11.2015 14:05 Uhr

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So., 16.10.11 | 17:03 Uhr
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