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Tolle Knollen in der Tiefsee

Forschungsschiff auf hoher See
Das deutsche Forschungsschiff "Sonne" auf Rohstoffsuche im Pazifik | Bild: WDR

Viele Industrie-Rohstoffe sind seit einigen Jahren knapper und teurer geworden - oder sie sind immer schwieriger zu bekommen. Regierungen unternehmen deshalb teure Expeditionen in ein Gebiet, das bislang kaum erschlossen und erst zu fünf Prozent erkundet ist: die Tiefsee. Meeresforscher haben reichhaltige Bodenschätze am Grund der Ozeane entdeckt, in großen Mengen. Liegt hier die Schatzkammer der Zukunft? Auch Deutschland bereitet sich bereits darauf vor, die Rohstoffe der Tiefsee zu heben.

Auf Schatzsuche im Pazifik

Dunkle Knollen inmitten von Schlamm, davor Forscher
Forscher der BGR finden Manganknollen aus der Tiefsee. | Bild: WDR / Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe

Im Frühjahr 2010 stechen deutsche Geologen von Mexiko aus in See. Ihr Ziel liegt 4.000 Kilometer südöstlich von Hawaii, im offenen Pazifik. Dort lassen sie einen Kastengreifer und andere Geräte hinab in die Wogen des Ozeans, immer wieder, wochenlang. Vom Meeresboden in mal 4.000, mal 5.000 Meter Tiefe bringt der Greifer jede Menge Tiefseeschlamm mit hinauf - und darin: dunkle, schwarze Knollen. Auf diese sogenannten Manganknollen haben die Geologen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) es abgesehen. Die Knollen sehen auf den ersten Blick zwar unspektakulär aus. Doch für die Geologen zählt, was in ihnen steckt. Mitten im Pazifik liegen ganze Felder voller solcher Manganknollen, auf einer Fläche zwischen Hawaii und Mexiko, die insgesamt so groß ist wie die USA. Und auf die Rohstoffe in den Knollen haben es Regierungen aus aller Welt abgesehen.

Wertvolle Tiefsee-Rohstoffe locken die Regierung

Mikroskop-Bild von Querschnitt einer Manganknolle
Querschnitt einer Manganknolle: Die Schichten enthalten viele wertvolle Metalle und Spurenelemente. | Bild: WDR

Zurück in Hannover, dem Sitz der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, untersuchen die Geologen ihre Ausbeute. Sie arbeiten im Auftrag des deutschen Wirtschaftsministeriums - denn das will wissen, ob sich der Abbau der Tiefsee-Knollen in Zukunft lohnen könnte. Die Forscher sehen ihre Arbeit als Beitrag zur "langfristigen Rohstoffsicherung Deutschlands". Denn die Knollen sind reich an Bodenschätzen, die an Land immer schwieriger zu bekommen sind und die Deutschland fast vollständig importieren muss: Metalle für die Stahl- und Elektroindustrie, sogenannte Seltene Erden und andere wertvolle Spurenelementen für Handys und Solarzellen. Im Elektronenmikroskop erkennen die Forscher: Die Knollen bestehen aus feinen Schichten, die sich über Millionen von Jahren am Meeresboden gebildet haben. Ihr Wert ist enorm, denn jede Schicht enthält nicht nur große Mengen Mangan - ein eisenähnliches Metall für Spezialstahl, nach dem die Knollen benannt sind. Sondern auch die begehrten "Seltenen Erden" und - am wichtigsten für die Industrie: Nickel, Kupfer und Kobalt in hohen Konzentrationen.

Deutschlands "17. Bundesland" im Pazifik

Forscher an Karte des Pazifiks, auf der Lizenzgebiete eingezeichnet sind
Deutschland hat zwei Lizenzgebiete im Pazifik gepachtet. | Bild: WDR

Eine Milliarde Tonnen Knollen liegen in dem Gebiet, das die BGR seit inzwischen fünf Jahren erforscht. Die Menge reicht, um Deutschland jahrzehntelang mit diesen Metallen zu versorgen, glauben die Geologen. Für die Industrie winkt ein Milliardengeschäft, denn sobald die teure Tiefseetechnik für den Abbau ausgereift ist, lassen sich mit dem Verkauf der Rohstoffe hohe Gewinne machen. Was kaum jemand weiß: Die BGR hat im Pazifik deshalb eine Art 17. Bundesland gepachtet, im Auftrag der Bundesregierung. In einem Vertrag mit der Internationalen Meeresbodenbehörde der UNO ist geregelt, wo der Manganknollenabbau für die Industrie vorbereitet werden darf: auf zwei Flächen, zusammen größer als Bayern - und über 15.000 Kilometer von Berlin entfernt.

Nicht nur Deutschland hat es auf die Manganknollen abgesehen: Zwischen Hawaii und Mexiko haben auch Frankreich, Korea, China und neun weitere Staaten ihre Claims abgesteckt. Der Pazifik wird unter den Staaten der Welt aufgeteilt, alle wollen ran an seine Schätze. Aufsicht führt mit gerade einmal 30 Mitarbeitern die Internationale Meeresbodenbehörde mit Sitz in Jamaika. Bisher haben alle Staaten nur Erkundungs-Claims gepachtet, auf einer Fläche, die insgesamt viermal so groß ist wie Deutschland. In fünf bis zehn Jahren könnte der Tiefsee-Bergbau losgehen.

Wird die Tiefsee zerstört?

Dunkle Knollen am Meeresboden
Am Meeresboden leben zahllose noch unerforschte Tierarten. | Bild: WDR / Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe

Nur mit einem hatte niemand gerechnet: Die Tiefsee ist alles andere als tot! Bei ihren Erkundungsfahrten stoßen die Forscher auf Anemonen, Seegurken und zahllose unbekannte Tierarten. Wie sie leben, was sie fressen - sie wissen es nicht. Das Ökosystem Tiefsee ist bis heute noch kaum erforscht. Die Forscher stoßen aber auch auf eine kilometerlange Spur im Meeresboden. Es sind die mahnenden Folgen eines Abbautests von vor über 30 Jahren. Damals wurde schon einmal versucht, die Manganknollen zu heben. Auch die deutsche Preussag war beteiligt. Doch der Test scheiterte, die Technik war nicht ausgereift und die Rohstoffpreise brachen wieder ein.

Die Lehre daraus: Heute erkundet die BGR das Gebiet gemeinsam mit Biologen. Sie nehmen Proben aus dem Meeresboden und finden darin winzig kleine Flöhe, Krebse und Larven. Ihr Ziel ist eine Bestandsaufnahme des Lebensraums im Manganknollengebiet. Zudem wollen sie wissen, ob die Tiere sich von einem Eingriff, wie die BGR ihn plant, erholen können.

Schwere Technik für den Meeresboden

Gelbes Arbeitsgerät für den Meeresboden in Werkshalle
Solche Raupenfahrzeuge könnten in Zukunft über den Meeresboden fahren und Rohstoffe abbauen. | Bild: WDR

Die BGR lässt schon jetzt schwere Technik entwickeln: Raupenfahrzeuge, die auch unter dem extremen Wasserdruck in 5.000 Metern Meerestiefe arbeiten sollen. Ingenieure einer Firma bei Aachen, die jetzt die Öl- und Bergbauindustrie beliefert, haben für die BGR einen Kollektor entworfen, der Manganknollen mit Schaufelrädern heben soll. Ohne dabei zu große Schäden zu hinterlassen, betont Carsten Rühlemann von der BGR: "Man wird nie das gesamte Gebiet abbauen, weil auch Regionen dabei sind, die von Kollektoren nicht befahren werden können." Der größere Teil der Fläche werde frei bleiben und von dort könnten Organismen wieder einwandern, hoffen die Geologen - aber das dauert in der Tiefsee sehr lang.

Die BGR-Forscher haben vom Schiff aus den Meeresboden im deutschen Lizenzgebiet vermessen. Auf dreidimensionalen Karten suchen die Wissenschaftler nun nach zukünftigen Flächen für den Abbau und solchen, die in Ruhe gelassen werden sollen. Zudem helfen sie der Internationalen Meeresbodenbehörde, Schutzgebiete im Pazifik zu schaffen. Auf neuen riesigen Flächen, gleich angrenzend an viele Erkundungs-Claims, soll künftig der Abbau für alle Staaten verboten sein. Es sind hehre Ziele. Doch nur so könnten die Tiefsee-Schätze gehoben werden, ohne eine gerade erst entdeckte Zauberwelt zu verwüsten.

Literatur

Der Kampf um die Tiefsee

Sarah Zierul
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010
352 Seiten, gebunden, 22 Euro

Autorin: Sarah Zierul (WDR)

Stand: 11.05.2012 13:09 Uhr

Sendetermin

So., 13.11.11 | 17:03 Uhr
Das Erste

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