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Putzkommando gegen Strahlung

Verstrahltes Terrain

Zerstörte Häuser
Zerstörte Häuser zeugen noch immer von der Katastrophe. | Bild: HR

Jeder Handgriff sitzt, wenn der buddhistische Mönch Bansho Miura Morgen für Morgen in eine Kutte der besonderen Art schlüpft: In einen Strahlenanzug. Die Katastrophe von Fukushima - das gewaltige Seebeben, das gleich mehrere Atommeiler havarieren ließ und den Glauben an die Kernenergie weltweit erschütterte - hat auch seinen Alltag dramatisch verändert. Bansho Miuras Weg zur Arbeit führt durch verwaistes Terrain. Hier, wenige Kilometer vom Meer entfernt, stand einst die Kleinstadt Minamisoma. Am Tag, als der Tsunami kam, ertranken mehr als 1.000 Menschen. Doch das war nur der Anfang. Denn dann kam die radioaktive Wolke. Vor ihr sind mehr als 20.000 Menschen, rund ein Drittel der Bewohner, geflohen. Zurück blieben Trümmer.

Ein Mönch will Zeichen setzen

Der Mönch Bansho Miura
Mit der Organisation "Rettung der Herzen" versucht Bansho Miura Häuser zu dekontaminieren. | Bild: HR

Selbst der Friedhof von Minamisoma ist ein verstrahlter Flecken Erde. Der Mönch besucht ihn regelmäßig. Er hat auch die Umsetzung des Totenackers in die Wege geleitet, damit die in der Region verbliebenen Angehörigen die Gräber wenigstens ohne Gefahr für Leib und Leben besuchen können. In den bewohnten Teilen der weithin kontaminiertem Stadt Minamisoma hat der Mönch mit seinen Mitstreitern einer Organisation, die sich "Rettung der Herzen" nennt, Hunderte Häuser von nuklearen Rückständen zu säubern versucht. Die Mission ist gefährlich, doch Bansho Miura sagt: "Die Menschen aus Minamisoma sind den Strahlen weit mehr ausgesetzt als wir Helfer. Unsere Arbeit vor Ort ist gleichzeitig eine Protestaktion gegen eine Gesellschaft, die das Ganze weitgehend ignoriert."

Dekontaminierung als aussichtsloser Kampf

Ein Helfer im Schutzanszug spritzt ein Dach ab
Was kann ein Hochdruckreiniger gegen Verstrahlung ausrichten? | Bild: HR

Den Menschen, die in ihrer Heimat blieben, gibt Miura das Gefühl, dass zumindest einer für sie da ist. Das ist mutig und verdient Respekt. Nur, ob sich die atomare Gefahr tatsächlich mit Hochdruckreinigern wegspülen lässt? Was, wenn die radioaktive Brühe ins Grundwasser gelangt? Auch die Stadtreinigung müht sich, die Schule des Orts von verseuchtem Boden zu befreien. Aber wohin mit der kontaminierten Erde?

Das Ausmaß der Katastrophe lässt selbst Professor Tatsuhiko Kodama, Chef des Radio-Isotopenzentrums der Universität Tokio verzweifeln: "Wir kämpfen einen aussichtslosen Kampf. Da ist so viel verstrahlt, dass wir das Pensum der Dekontaminierung nicht schaffen. Das ist einfach unmöglich. In Minamisoma ist es immerhin gelungen, die radioaktive Belastung zum Beispiel im Kindergarten durch das Abtragen von Erdreich messbar zu reduzieren. Aber ob das ausreicht, bleibt abzuwarten. Die Menschen dort werden immer in der Angst leben, dass der Krebs sie oder ihre Kinder irgendwann trifft… und das nicht ohne Grund."

Andernorts haben die Bewohner am Rand der Sperrzone Sonnenblumen gepflanzt, von denen es heißt, sie könnten das gefährliche Caesium aus dem Boden saugen. Doch selbst wenn das gelänge, wären statt des Bodens die Sonnenblumen verseuchter Sondermüll. Professor Kodama sieht große Gefahren aber nicht nur für die Menschen in der Umgebung Fukushimas: "Für das restliche Japan besteht die größte Gefahr in der Kontaminierung unserer Nahrungsmittel." Fisch aus verseuchtem Gewässer, Milch von Kühen, die auf verstrahlten Wiesen weideten - alle Nahrungsmittel müssen nun streng kontrolliert werden. Routinemäßig wird auch die radioaktive Belastung von Kindern überwacht. Ob das als Vorsorge ausreicht, wird erst die Zukunft zeigen.

Tausende wurden "entwurzelt"

Containersiedlung nahe Fukushima
Viele der Evakuierten leben in Container-Siedlungen. | Bild: HR

Und das Elend liegt nicht allein in der Gefahr einer Verstrahlung. Wer seine Heimat verlassen musste, findet sich nicht selten in einer Ansammlung von Containern wieder, so wie auf einem einstigen Sportfeld am Rande von Fukushima-City. Dort leben rund 1.000, vorwiegend alte Menschen.

Die 84-jährige Kimiko Abe zum Beispiel hatte einst ein stattliches Gehöft, auf dem sie noch vor einem Jahr Gemüse und Tabak erntete. Geblieben ist ihr nun nur noch ein kleines Kabuff, das sie auch noch mit ihrem Sohn teilen muss. Von ein paar Möbeln abgesehen, hat die Familie alles verloren. Sie wird, wie so viele, wohl nie wieder in ihre vertraute Umgebung zurückkehren. Der GAU von Fukushima hat nicht nur Frau Abe für immer entwurzelt und heimatlos gemacht.

Autor: Tilman Jens (HR)

Stand: 13.11.2015 13:33 Uhr

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