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Geheimnisvolles Netzwerk: Wie Bäume im Wald miteinander verbunden sind

Sonne scheint durch dunkles Kronendach
Große Wälder waren lange Zeit Quelle für allerlei Mythen – auf die trifft man zuweilen auch noch heute. | Bild: BR

Früher waren große, dunkle und scheinbar undurchdringliche Wälder Quelle für allerlei mythische Fantasien. Das Unbekannte und Unerforschte machte unseren Vorfahren Angst. Heute sind die Wälder vielfach keine Urwälder mehr. Sie sind kleiner oder in unnatürliche Wirtschaftswälder verwandelt. Die Angst vor dem Wald haben wir dadurch verloren. Aber noch immer verstehen wir nur einen Bruchteil von dem, was in einem Wald geschieht.

Als sicher gilt, dass dort zahllose unsichtbare Helfer am Werk sind. Ohne sie könnten Bäume gar nicht überleben. Ohne sie gäbe es gar keinen Wald in unserer Welt. Diese Helfer leben unter der Erde. Es sind Pilze. Schweizer Forscherinnen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft sind diesen Helfern unter anderem im Phynwald im Wallis auf der Spur.

Gewaltiges Pilznetzwerk: Fäden durchziehen den gesamten Waldboden

Pilzfäden im Waldboden
Ein Waldboden ist voller Pilzfäden, sogenannter Hyphen. Sie bilden ein flächendeckendes Gespinst. | Bild: BR

Tatsächlich sind sie nicht schwer zu entdecken. Wenn man nur ein wenig unter die Oberfläche gräbt, tauchen sie schon auf: zarte weißliche Fäden, die ab und zu Knötchen bilden oder sich zu Strängen verbinden. Sie ziehen sich wie ein Gespinst durch den gesamten Waldboden. Die einzelnen Fäden sind so fein, dass sie mit bloßem Auge gar nicht zu entdecken sind. Nur wenn diese Fäden, die sogenannten Hyphen, sich zu Bündeln zusammentun, kann man sie sehen.

Die Dimensionen dieses Pilznetzwerks im Waldboden sind gewaltig: Ein einzelner Pilz kann seine Fäden über mehr als hundert Quadratmeter ausbreiten. Es leben viele Individuen einer Art im Waldboden, und es gibt etwa 1.000 verschiedene Arten. Das Pilzgeflecht unter einem Hektar Waldboden bringt es so auf etwa sechs Tonnen Gewicht und eine Gesamtlänge von 100 Millionen Kilometern. Schon unter einem Quadratzentimeter Waldboden erstrecken sich mehr als 1.000 Meter Pilzhyphen.

Symbiose zwischen Pilz und Baum: Ohne einander können sie nicht leben

Pilz an Wurzelspitze unter der Stereolupe
Mykorrhiza: Pilze umhüllen die feinen Wurzelspitzen der Bäume und gehen so mit ihnen eine enge Verbindung ein. | Bild: BR

Die Pilze sind deshalb so weit und fein verzweigt, weil sie immer auf der Suche nach den feinsten Wurzeln der Pflanzen sind. Und dort, wo sie auf die Wurzeln treffen, verbinden sie sich mit ihnen. Der Pilz umhüllt zum Beispiel die feinen Wurzelspitzen eines Baumes und dringt mit seinen Fäden sogar in die Wurzel ein. Beide Organismen gehen eine Symbiose ein. Der Pilz holt Mineralstoffe, Stickstoff und Phosphor aus dem Boden und gibt sie an den Baum weiter. Umgekehrt gibt der Baum dem Pilz Zucker, den er mit Hilfe der Photosynthese herstellt. Beide profitieren also voneinander und könnten ohne einander nicht leben. Diese spezielle Symbiose heißt Mykorrhiza.

Zusammen bilden Pilze und Baumwurzeln auf diese Weise ein riesiges Netzwerk im Wald. Manche vergleichen das Netzwerk mit dem Internet und bezeichnen es deshalb als "Wood Wide Web". Und tatsächlich gibt es schon seit längerer Zeit Hinweise darauf, dass über dieses Netzwerk nicht nur Pilz und Baum Nährstoffe tauschen, sondern auch Bäume untereinander. Ein Baum, der weniger gut wächst, weil er im Schatten steht, könnte so vom Zucker eines gut wachsenden Baumes profitieren. Auch der Nachwuchs könnte auf diese Weise von älteren Bäumen unterstützt werden.

Das nährte romantische Vorstellungen vom "Wood Wide Web" als Netzwerk, das für ein harmonisches Miteinander im Wald sorgt: Jeder hilft jedem im Superorganismus Wald – vor allem durch den Transport von Zucker. Die Schweizer ForscherInnen von der WSL machten dazu ein Experiment im Phynwald. Sie pflanzten Sämlinge in den Waldboden und begasten einen erwachsenen Baum in der Nähe mit markiertem Kohlendioxid. Aus diesem Kohlendioxid machte der Baum dann Zucker, der ebenfalls markiert ist. Und den konnten die ForscherInnen verfolgen.

Pilznetzwerk transportiert Zucker von Baum zu Baum

Und tatsächlich fanden sie in späteren Laboranalysen heraus, dass Zucker vom erwachsenen Baum zu den Sämlingen transportiert wurde. Allerdings nahmen die jungen Bäume den Zucker gar nicht auf. Er blieb in den Pilzen an der Wurzelspitze. Nur in ganz seltenen Fällen drang er in die Wurzelspitze ein. Im Sämling selbst fanden die Forscherinnen gar keinen markierten Zucker. Bei den benachbarten erwachsenen Bäumen rund um den begasten Baum war es genauso. Der Zucker kam an den Wurzeln an, wurde aber nicht aufgenommen und verwertet.

Die Schlussfolgerung der ForscherInnen: Sehr wahrscheinlich spielt der Zuckertransport über die Pilze von Baum zu Baum ökologisch keine Rolle. Dass er zum Überleben der Bäume im Wald beiträgt, ist wohl ein Mythos. Trotzdem: Tatsache ist, dass ein Baum etwa Tausend verschiedene Substanzen über die Pilze in den Boden entlässt. Vielleicht sind sie alle irgendwie wichtig für das Zusammenleben im Wald: für Mikroorganismen, Pilze und Pflanzen.

Mit manchen dieser Stoffe kommunizieren die Bäume wahrscheinlich auch untereinander. Wie und in welcher Situation all diese Substanzen wirken und wie wichtig sie für das Ökosystem Wald sind, ist jedoch kaum erforscht. Und welche Rolle das "Wood Wide Web" dabei spielt, ist ebenfalls noch weitgehend rätselhaft.

Autor: Herbert Hackl (BR)

Stand: 28.09.2020 10:00 Uhr

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