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Miniwald für Klima und Natur: Deshalb sind auch kleine Wälder wichtig!

Lukas Steingässer und Lars Röhling
Wollen mehr Biodiversität schaffen: Lukas Steingässer und Lars Röhling in ihrem "Tiny Forest". | Bild: BR / Susanne Delonge

Lukas Steingässer und Lars Röhling gehen durch ihren "Wald" – er besteht aus gerade einmal kniehohen Baumstecklingen, die sie an einem Wochenende im März 2020 zusammen mit Stefan Scharfe und vielen Freunden auf einem brach liegenden Grundstück in der Uckermark in Brandenburg gepflanzt haben. Die Studenten der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) wollen mit ihrem Projekt "Wald der Vielfalt" ausprobieren, wie sich mit wenig Aufwand mehr Biodiversität erzielen lässt. In Zukunft wollen sie Städte und Ballungsräume mit solchen Miniwäldern bepflanzen. Das Wäldchen auf dem Land ist der erste Test. Das Grundstück wurde ihnen für das Projekt gespendet. Es ist nur 700 Quadratmeter groß – eigentlich sollten Miniwälder mindestens 800 Quadratmeter groß sein, aber die Studenten sind froh, dass sie es haben: "Es ist ein kleiner Baustein, um den Menschen halt darzustellen: 'Okay Leute, hier kann etwas passieren, jeder kann etwas schaffen, es muss nicht super viel Geld ausgegeben werden, und es macht sogar Spaß'“, sagt Lars Röhling.

Heimische Baumarten für den Wald der Zukunft

Eine Händepaar und ein Kabel
Eine Messanlage soll Umweltdaten liefern. | Bild: BR

Spaß hatten und haben sie beim Bearbeiten und Bepflanzen des Grundstücks, obwohl es anfangs viel Arbeit war. Um den ehemaligen Ackerboden für die Bäumchen optimal zu präparieren, haben sie mit einem Bagger Erde ausgehoben, die Erde mit Stroh und Nährstoffen angereichert und wieder aufgeschüttet. Per Crowdfunding haben sie das Geld für die Baumstecklinge eingesammelt und diese an einem Wochenende zusammen mit Freunden eingepflanzt: 2.300 Stück, etwa 4 pro Quadratmeter, 31 verschiedene heimische Baumarten, vor allem Ahorn, Buche, Eiche, Esche und Linde: "Wir haben hier bis zu vier Pflanzen pro Quadratmeter gepflanzt und in der konventionellen Forstwirtschaft würdest du maximal eine Pflanze pro Quadratmeter pflanzen. Das hat bei uns den Effekt, dass wir sehr viele Pflanzen haben und sehr viele verschiedene, also eine größtmögliche Diversität, und dass diese Pflanzen irgendwann auch alle in Konkurrenz miteinander stehen und dadurch einfach gezwungen sind, schneller zu wachsen. Und es wird sich herauskristallisieren, welche Pflanzengemeinschaft da am besten funktioniert", erklärt Lukas Steingässer.

Dank des verbesserten Bodens und – aufgrund der dichten Bepflanzung – der Konkurrenz der Bäume untereinander erwarten die Studenten, dass ihre Bäume bis zu zehnmal schneller wachsen als in einem konventionellen Wald. So soll in kürzester Zeit ein Lebensraum für Insekten, Vögel und andere Tiere entstehen: Artenvielfalt von Anfang an. Da viele verschiedene heimische Baumarten gleichzeitig an den Start gehen, hoffen die Studenten, dass sich vor allem die Baumarten behaupten, die mit dem Klima, dem Boden und den übrigen Bedingungen am besten zurechtkommen – dass der "Wald der Zukunft" also quasi von allein wächst.
Drei Monate nach der Pflanzaktion scheinen zum Beispiel die Eschen und Ahornbäume besonders gut zu wachsen. Die Kiefern dagegen, die sonst in Brandenburg dominieren, sehen eher kümmerlich aus. Das könnte aber auch daran liegen, dass der Boden vor dem Pflanzen mit Nährstoffen angereichert wurde, die sonst in der Region nicht vorhanden sind.

Umweltdaten sollen künftig automatisch erfasst werden

Waldfläche aus der Vogelperspektive
Miniwald: kleiner Wald mit großer Wirkung. | Bild: BR

Wissenschaftler der Hochschule Eberswalde installieren Messgeräte, die Daten über die Temperatur und Feuchtigkeit im Boden sowie die Lufttemperatur liefern sollen. Auch die Messanlage ist ein Pilotprojekt: Der Student Tobias von Kuyck-Studzinski von der Hochschule Eberswalde arbeitet an der Digitalisierung von Umweltsensortechnik im "Internet der Dinge" (IOT). In Zukunft sollen die Umweltdaten automatisch gemessen und zur Auswertung an die Hochschule gesendet werden. Änderungen bei der Datenerfassung sollen dann ebenfalls ferngesteuert möglich sein. So könnten in Zukunft viele Umweltmessstationen von einer zentralen Stelle aus betreut werden und damit viel mehr Daten als bisher erfasst werden. Möglich wird das durch die Stromversorgung über Solarzellen.

Die Daten sollen Aussagen darüber ermöglichen, ob sich die Umweltbedingungen im Wäldchen im Vergleich zur umliegenden Region verändern. Für Professor Thoralf Buller von der Hochschule Eberswalde gehört das ganze Projekt zur Grundlagenforschung. Er möchte herausfinden, ob Miniwälder in der Umgebung mikroklimatisch etwas verändern – ob sie die Luftqualität verbessern können, indem sie Emissionen wie Feinstaub verringern, und auch wie sie den Boden bezüglich Versauerung oder Wasserhaushalt verändern. Das Wäldchen in der Uckermark ist für ihn das Pilotprojekt: "Die große Idee dahinter ist natürlich, in Städte zu gehen und dort brachliegende Flächen zu ertüchtigen und dort mikroklimatische Veränderungen herbeizuführen, Lebensqualität zu verändern, Feinstäube zu absorbieren.“

Mehr Wertschätzumg für Bäume

Lukas Steingässer und Lars Röhling halten ihr Projekt aber auch in anderer Hinsicht für wertvoll und wichtig: Sie möchten mit ihren Miniwäldern vor allem bei StadtbewohnerInnen mehr Verständnis für den Wert von Wäldern und Bäumen erzielen. Zusammen mit Stadtkindern, die sonst kaum Zugang zur Natur haben, würden sie gerne neue Wäldchen auf brachliegenden Flächen in Städten anlegen. Bei dem Pflanzen und der Pflege von Miniwäldern könnten die Kinder erfahren, wie wichtig Bäume für Klimaschutz und Artenvielfalt sind.

Für mehr Beachtung und Wertschätzung von Bäumen und kleinen Wäldern setzt sich auch Professorin Monika Wulf vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) ein. Die Biologin hat für eine europäische Studie 30 Wäldchen in Brandenburg untersucht. Insgesamt wurden in der Studie 224 Wäldchen in Deutschland, Frankreich, Belgien und Schweden untersucht.  Als klein gelten Wälder mit höchstens zehn Hektar Fläche. Wie groß eine Fläche mit Bäumen mindestens sein muss, um als Wald zu gelten, ist dagegen nicht eindeutig definiert. Auch weiß niemand genau, wie viele solcher kleinen Wälder es gibt. Häufig handelt es sich um die Überbleibsel von einst großen zusammenhängenden Waldgebieten, die nach und nach gerodet und zu Ackerflächen umgewandelt wurden. Oft gibt es mehrere Eigentümer, von denen sich keiner richtig zuständig fühlt, oder die Eigentumsverhältnisse sind unklar. Die Folge: Die kleinen Wälder werden häufig nicht bewirtschaftet und oft auch nicht geschützt.

Kleiner Wald mit großer Wirkung

Dabei wären sie es wert, wie Monika Wulf und ihre europäischen KollegInnen in ihrer Studie festgestellt haben. Die WissenschaftlerInnen haben für die Studie sechs verschiedene Organismengruppen bestimmt: krautige Pflanzen, Pilze, Laufkäfer, Spinnen, Asseln und Tausendfüßler. Und sie haben das Potenzial jedes Waldes bestimmt, sogenannte Ökosystemdienstleistungen zu erbringen.  Sie messen also, wie groß das Angebot an nutzbaren Pflanzen, Stammholz- und Kohlenstoffspeichervolumen, Schädlingsbekämpfungs- und Wildproduktionspotenzial ist, und wie hoch das Risiko für Zeckenbisse. Das Ergebnis: Die kleinen Wälder bieten mehr positive Leistungen als vermutet. So gibt es in kleinen Wäldern zum Beispiel viel weniger Zecken als in großen. "Ein größerer Wald hat natürlich tatsächlich mehr Arten, eine höhere Artenvielfalt allein aufgrund der Fläche. Aber wenn wir die gleiche Grundfläche zugrunde legen, also einen Hektar von einem kleinen Wald und einen Hektar von einem großen Wald vergleichen würden, leisten kleine Wälder einen höheren Beitrag bei den Ökosystemleistungen", sagt Monika Wulf. Die Professorin und ihre Kolleginnen und Kollegen fordern, die Bedeutung der kleinen Wälder für die Menschen und die Umwelt anzuerkennen und mehr dafür zu tun, um diese kleinen Wälder zu schützen.
Der Mini-Wald der Studenten aus Eberswalde muss zwar noch viele Jahrzehnte lang wachsen, um möglicherweise diese positiven Umwelt- und Ökosystemleistungen zu liefern. Dennoch:  Das "Tiny Forest"-Projekt sei gut und wichtig, so Wulf.

Autorin: Susanne Delonge (BR)

Lesetipp:
Technology Review, Ausgabe 07/2020
Artikel: "Die neuen Grünflächen: Gezieltes Aufforsten gilt als effektive Klimaschutzmaßnahme" (S. 85-87)

Stand: 28.09.2020 10:00 Uhr

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Sa., 26.09.20 | 16:00 Uhr
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