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Dürre, Stürme und Borkenkäfer: Klimawandel bedroht Wald

Kahle Waldstelle
Sturmwurffläche bei Melsungen | Bild: hr

War es in den 1980er-Jahren der saure Regen, der den deutschen Wäldern zusetzte, so ist es heute der Klimawandel. Die Fläche, die vom Baumsterben betroffen ist, hat sich in den vergangenen 30 Jahren in Mitteleuropa nahezu verdoppelt, auf 3.000 Quadratkilometer jährlich. Dies entspricht der Fläche des Saarlandes, hat eine Studie der Humboldt Universität Berlin enthüllt. Wer derzeit in den Wald geht, merkt vielerorts in Deutschland: Unser Wald ist nicht mehr, wie er mal war. 

Dürre, Stürme, Borkenkäfer

Baumstämme liegen aufgetürmt am Wegesrand.
Noch ist ungewiss, wie der Wald der Zukunft aussehen wird. | Bild: hr

Stürme haben in den vergangenen Jahren einigen deutschen Wäldern zugesetzt – besonders aber der extrem trockene Sommer 2018. Die Folge: Vielerorts sind Bäume vom Borkenkäfer und von Pilzerkrankungen befallen. Es ist ein trauriges Bild, das sich Forstamtsleiterin Petra Westphal in ihrem Forstbezirk bei Melsungen in Nordhessen täglich bietet. Bis vor einigen Monaten stand hier ein Fichtenwald. Heute ist der Waldabschnitt völlig verwüstet. Die Stürme Friederike (2018), Bennet und Eberhardt (2019) haben zahlreiche Bäume entwurzelt. Viele weitere fielen dem Borkenkäfer zum Opfer. Gut 300.000 Bäume – darunter viele alte, große – hat die Forstwirtin in ihrem Bezirk bereits verloren.

Ähnliche Schäden gibt es in vielen Regionen Deutschlands. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat Ende April 2019 neue Zahlen veröffentlicht. 2018 sind durch Stürme und Schädlinge rund 32,4 Millionen Kubikmeter Holz angefallen. Geht man davon aus, dass ein Baum durchschnittlich 0,54 Kubikmeter Holz hat, bedeutet das einen Verlust von rund 60 Millionen Bäumen. Damit war 2018 das Jahr mit den viertschwersten Waldschäden der vergangenen drei Jahrzehnte. Und 2019 könnte es – je nach Witterung – noch einmal so viele Bäume treffen. Allein bis Ende März sind weitere 13 Millionen Kubikmeter Holz beschädigt worden – etwa ein Drittel durch Stürme, zwei Drittel durch Schädlinge wie den Borkenkäfer. 

Der Borkenkäfer setzt Fichten zu

Der Borkenkäfer ist der derzeit größte Feind von Försterin Petra Westphal. Zwei Arten gehen in die Rinde der Fichte: der Buchdrucker und der Kupferstecher. Sie befallen abgestorbene Bäume, die nach Stürmen im Wald liegen, aber auch lebende Bestände, wenn es zu trocken ist.

Der Hitzesommer 2018 und zu wenig Regen im Winter haben die Böden ausgedörrt. Die Niederschläge der vergangenen Monate konnten das Defizit nicht ausgleichen. Und die Grundwasserbestände sind vielerorts schon seit Jahren zu niedrig. Flachwurzelnde Fichten gelangen erst gar nicht bis zum Grundwasser. Die Folge: Sie leiden besonders unter Trockenstress. Dadurch sinken die Abwehrkräfte der Bäume und sie werden anfällig für den Borkenkäfer.

Ein Borkenkäferweibchen kann 50 Nachkommen produzieren

Die Käfer bohren sich von außen durch die Borke in den Baum hinein und fressen unter der Rinde Gänge, in die das Weibchen die Eier legt. Bei trockener und warmer Witterung schlüpfen nach etwa sechs Wochen die Larven. Diese fressen dann horizontale Gänge zwischen der Rinde und dem Holz, genau dort wo die Nährstoffbahnen des Baumes entlanglaufen. Dadurch werden diese zerstört und der Baum stirbt nach und nach ab. Ein einziges Borkenkäferweibchen kann rund 50 Nachkommen produzieren. Wenn davon wieder 25 Weibchen sind (Geschlechterverhältnis 1:1), kann jedes wieder 50 Nachkommen produzieren. Somit können bereits in der zweiten Generation bis zu 1.250 Jungkäfer heranwachsen. Davon legen wiederum 635 Weibchen Eier, was zu 31.250 Jungkäfern in der dritten Generation führt. Und schon ab einem Befall mit 100 Käfern kann eine Fichte absterben.

Förster suchen mit Ferngläsern die Bäume ab

Ein Borkenkäfer krabbelt über Rinde
Die Käfer bohren sich von außen durch die Borke in den Baum hinein. | Bild: hr

Viel Zeit zu handeln, bleibt also nicht. Deshalb suchen Petra Westphal und ihre Mitarbeiter im Frühjahr und Sommer ein- bis zweimal pro Woche nach Anzeichen von Borkenkäferbefall: Bohrmehl und Harztropfen, die beim Einbohren der Käfer entstehen. Die Bohrlöcher sind oft in zehn bis fünfzehn Meter Höhe. Die Förster suchen mit Ferngläsern die Bäume ab. Das Ziel ist, die Käfer schon in einem frühen Befallsstadium zu entdecken und die Bäume dann schnell zu ernten, bevor die Käfer sich weiter vermehren können. Eine Sisyphusarbeit. Die Förster markieren jeden befallenen Baum, er wird in eine App eingetragen und in den nächsten Tagen gefällt. Viele junge Bäume sind darunter, die noch hätten weiter wachsen sollen. Zurzeit fällen die Forstarbeiter im Forstamt Melsungen viermal so viele Bäume wie in durchschnittlichen Jahren.

Fichtenholzmarkt übersättigt

Ihr Borkenkäferholz türmt sich derweil an den Waldstraßen. Der Markt für Fichtenholz ist übersättigt. Bleibt das befallene Borkenkäferholz aber im Wald, kann sich der Borkenkäfer darin weiter vermehren. Deshalb werden am einigen Orten die Holzpolter mit Pestiziden besprüht, wenn sie nicht aus dem Wald gefahren werden können. Das Problem: Pestizide töten nicht nur die Borkenkäfer, sondern auch viele andere Tierarten.

Im Forstamt Melsungen will man deshalb andere Wege gehen und testet gerade, das Holz unter Planen einzuschweißen, um es so haltbar zu machen und erst in vier bis fünf Jahren zu verkaufen. Die Förster müssen ständig mit einem Gasanalysegerät kontrollieren, dass kein Sauerstoff unter die Folie gelangt, denn nur dann ist das Holz vor Pilzen, anderen Schädlingen und Verrottung sicher. Ob die Methode langfristig erfolgreich ist, wird sich zeigen müssen.

Borkenkäferbekämpfung aus der Luft

Drohen am Boden
Schnüffeldrohne des Projekt "Protectforest". | Bild: hr

In ihrem Kampf gegen den Borkenkäfer könnten die Förster demnächst Unterstützung aus der Luft bekommen. Drohnenspezialisten und Forscher der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, der Georg-August-Universität Göttingen und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg entwickeln gerade eine Spezialdrohne mit Gassensoren. Die Drohne "erschnüffelt" mit speziell entwickelten Gassensoren die Harzstoffe, die der Baum als natürliche Abwehr produziert, wenn ein Borkenkäfer in die Rinde eindringt. In Zukunft sollen betroffene Bäume so bis zu ein Jahr früher entdeckt werden. Eine explosive Zunahme der Käferpopulation könnte verhindert werden. Noch ist die Drohne allerdings nicht marktreif.

Viele Baumarten unter Trockenstress

Der Borkenkäfer ist nur eines von vielen Problemen in deutschen Wäldern. Denn nicht nur den Fichten, sondern auch anderen Baumarten setzt die Trockenheit zu. Die Buche zum Beispiel leidet am Buchenrindensterben. Die Kiefer stirbt vielerorts an einem Pilz namens Diplodia, und die Lärche wird vom Lärchenborkenkäfer angegriffen. Besonders hart hat es dieses Jahr den Licher Wald in Mittelhessen getroffen. Eine Fläche von 20 Hektar mit 30.000 Bergahornbäumen musste auf einen Schlag abgeholzt werden. Übrig sind jetzt nur noch riesige Hackschnitzelberge. Schuld war hier ein eingewanderter Krankheitserreger: der Rußrindenpilz.

Rußrindenpilz – gefährlich für Menschen

Rußrindenpilz an einem Baumstamm
Rußrindenpilz-Sporen können für den Menschen gefährlich werden. | Bild: hr

Der Rußrindenplitz sitzt unter der Rinde seines Wirts. Ist der Baum geschwächt, bildet der Pilz Fruchtkörper aus. Es entsteht ein dunkles, flaches Geflecht mit massenhaft rußartigen Sporen: 170 Millionen pro Quadratzentimeter. Wenn diese sich mit dem Wind verbreiten oder vom Regen abgewaschen werden, kann das für Waldspaziergänger gefährlich werden. Denn die Pilzsporen können die Atemwege schädigen, Reizhusten, Fieber und Atemnot auslösen. Revierförster Jörg Hessler und seine Kollegen konnten sich wochenlang nur mit Atemmasken im Licher Wald bewegen. Von einem Befall dieser Größenordnung hatten sie bis dahin noch nie gehört.

Welche Baumarten trotzen Klimawandel?

Auf einigen der abgeholzten Abschnitte hat Jörg Hessler mittlerweile Küstentannen, Roteichen und Kiefern gepflanzt – in der Hoffnung, dass sie besser mit den Klimabedingungen auskommen. Damit seine Jungbäume überhaupt eine Chance haben, will Jörg Hessler überall Wasserfässer aufstellen und die Bäume künstlich bewässern.

Petra Westphal wird in ihrem Revier bei Melsungen erst mal nichts Neues anpflanzen. Sie setzt auf Naturverjüngung: Es soll nur wachsen, was sich von selbst aussät. Denn in Zukunft sollen hier möglichst viele unterschiedliche Bäume gedeihen. Sie hofft, dass sich so der Wald selbst regulieren und an die veränderten Bedingungen anpassen kann. Wird eine Baumart durch Klimabedingungen oder Schädlinge geschwächt, können andere Baumarten die Lücke füllen.

Waldbäume der Zukunft

Noch ist ungewiss, wie der Wald der Zukunft aussehen wird. Aktuelle Forschungsprojekte versuchen herauszufinden, welche Bäume mit veränderten klimatischen Bedingungen am besten zurechtkommen werden. Prognosen der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt zufolge werden Buchen und Fichten bis zum Jahr 2070 aus unseren Wäldern fast verschwunden sein. Der Klimawandel wird unseren Wald verändern.

Autorin: Nina Schmidt (hr)

Stand: 17.08.2019 15:14 Uhr