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Weaning-Zentren: Der lange Weg zurück zum Atmen

Ein Krankenpfleger und eine Schwester am Bett einer Patientin.
Im Weaning-Zentrum sollen Betroffene wieder selbstständig atmen lernen. | Bild: WDR

Normalerweise atmen wir, ohne darüber nachzudenken. Setzt die Atmung aber aus, ist das lebensbedrohlich. Die Ursache können Unfälle oder Krankheiten sein, wie chronische Lungen- oder Muskelerkrankungen oder auch Covid-19. Künstliche Beatmung kann dann das Leben retten. Eine Maschine presst Luft über einen Schlauch direkt in die Lunge und saugt sie wieder ab. Der Patient kann sich erholen, bis er selber wieder in der Lage ist, zu atmen.

Doch wenn die künstliche Beatmung mehrere Tage oder sogar Wochen andauern muss, passiert etwas, das für einen gesunden Menschen unvorstellbar ist: Die Betroffenen können nicht sofort wieder selbstständig atmen. Ihre Atmungsmuskulatur ist zu schwach geworden. Deshalb müssen sie schrittweise an das Selberatmen gewöhnt werden. Dieser Prozess heißt "Weaning" ("Entwöhnung"). Bei etwa 20 Prozent der Weaning-Patienten kommt es dabei aber zu Problemen und es ist nicht möglich, sie vom Beatmungsgerät zu entwöhnen. Sie brauchen besondere Unterstützung. Die finden sie in einem dafür spezialisierten Weaning-Zentrum, zum Beispiel im Helios Universitätsklinikum Wuppertal. 

Hilfe im Weaning-Zentrum

Die 56-jährige Sabine W. kommt in die Notaufnahme des Helios Universitätsklinikum in Wuppertal, weil sie unter Durchblutungsstörungen in den Beinen leidet. Sie wird operiert, mehrere Blutgefäße sind verengt. Doch während der OP kommt es zu Komplikationen. Ihre Nieren versagen, Herz und Lunge arbeiten nicht mehr richtig. Sie schwebt in Lebensgefahr, wird ins künstliche Koma versetzt und künstlich beatmet. Zwei Wochen lang erholen sich ihre Organe soweit, dass sie wieder geweckt werden kann. Doch ihre Atmung funktioniert nicht richtig. Die Ärzte müssen sie zurück ins Koma versetzen und erneut an die künstliche Beatmung anschließen. Sie erhält einen Luftröhrenschnitt und eine Luftröhrenkanüle und wird ins Weaning-Zentrum der Klinik verlegt. 

Ein Leben in Zeitlupe

Eine Frau sitzt af einem Ergometer.
Nach der langen Zeit der Beatmung müssen Bewegungsabläufe neu gelernt werden. | Bild: WDR

Im Weaning-Zentrum arbeiten Psychologen, Logopäden, Atemtherapeuten, Physio- und Ergotherapeuten und Lungenfachärzte eng zusammen. Sie beraten gemeinsam, welche Therapien den Patienten helfen können. Denn durch die lange Zeit der Beatmung müssen sie sehr viel neu lernen und trainieren, nicht nur das Atmen. Sie müssen das Sprechen und Schlucken üben und auch alle Bewegungsabläufe. "Das ist bei diesen Patienten wie in Zeitlupe zu sehen. Da kann man nicht in Stunden oder Tagen rechnen", erklärt Prof. Kurt Rasche, Direktor des Lungenzentrums, "sondern da braucht man eben Wochen, da braucht man viel Geduld und Ausdauer. Und die braucht sowohl der Patient, wie natürlich auch das gesamte medizinische Team."

Nach drei Wochen kommt Sabine W. wieder zu sich. Es geht zunächst nur langsam bergauf. Noch muss sie durch eine Kanüle in ihrer Luftröhre mit Luft versorgt werden. Ein großer Fortschritt folgt nach weiteren drei Wochen: Das Selberatmen klappt inzwischen für kurze Zeit. Sie kann nun auch stundenweise wieder sprechen. Dafür bekommt sie ein besonderes Ventil auf die Kanüle gesetzt. Für sie ist das sehr anstrengend. Immer noch braucht sie die Atemunterstützung von der Maschine, wenn auch nicht mehr 24 Stunden am Tag.

Weaning-Zentrum: Erfolgsquote von circa 50 Prozent

Die Zeiten, in denen Sabine W. selber atmet, werden langsam gesteigert. Es dauert noch viele weitere Wochen, bis sie so stabil ist, dass die Kanüle aus der Luftröhre entfernt werden kann. Fast vier Monate nach der Operation atmet sie endlich wieder den ganzen Tag aus eigener Kraft. Im Weaning-Zentrum wird nun immer wieder überprüft, ob ihre Werte stabil sind, denn erst dann kann sie nach Hause entlassen werden.

Nicht alle Patienten des Weaning-Zentrums schaffen das. Es hängt davon ab, wie ernst ihre Vorerkrankungen waren und wie lange sie künstlich beatmet werden mussten. "Wir haben eine Erfolgsquote von circa 50 Prozent der Patienten, die dann definitiv auch von der Maschine entwöhnt werden können", meint Prof. Rasche. Die anderen müssen weiter beatmet werden, auf unbestimmte Zeit. Manche nur in der Nacht, andere bleiben aber den ganzen Tag abhängig vom Beatmungsgerät. Sie werden dann entweder zu Hause oder in speziellen Einrichtungen betreut. 15 Prozent sterben sogar während des Versuchs der Entwöhnung. Sabine W. dagegen hat es geschafft: Sie wird bald entlassen werden.  

Weaning-Zentren werden immer wichtiger  

Es gibt in Deutschland über 50 zertifizierte Weaning-Zentren. Hier werden die Beatmungs-Patienten ganz besonders intensiv durch speziell ausgebildetes Personal betreut. Aber nicht nur die Therapien sind wichtig, auch das Umfeld soll hier stimmen. So liegen die Patienten in der Regel allein auf den Zimmern. Es gibt genügend Platz, sodass auch – zumindest jenseits von Coronazeiten – jederzeit Angehörige zu Besuch kommen können. Zudem soll ein geordneter Tagesablauf mit strengem Tag-Nacht-Rhythmus den Patienten helfen, zurück ins Leben zu finden.

Auch wenn eine komplette Entwöhnung von der Beatmung nicht immer direkt klappt, besteht bei manchen auch später noch Hoffnung, so Dr. Claudia-Ionela Rachiteanu, Leiterin der Beatmungsmedizin im Helios Universitätsklinikum Wuppertal: "Wir hatten schon Patienten, die nach zwei Jahren noch einmal zu uns kamen und die wir dann unproblematisch entwöhnt konnten, was zwei Jahre zuvor nicht möglich war."

Den Weaning-Zentren mit ihren spezialisierten Teams kommt daher immer größere Bedeutung zu. Auch, weil deutschlandweit die Zahl derjenigen Patienten, die künstlich beatmet und dann davon entwöhnt werden müssen, steigt: Patienten werden hochaltriger, der medizinische Fortschritt lässt den eigentlich operativen Eingriff öfter gelingen – nur das Danach, das selbstständige Atmen gelingt dann nicht mehr. Für die Patienten bleiben Weaning-Zentren also die größte Hoffnung, die sie haben können auf ihrem Weg zurück zum selbstständigen Atmen.

Autorin: Eva Schultes (WDR)

Stand: 30.10.2020 16:14 Uhr

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