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Wohnhöhle – Zimmer, Küche, Bad in vulkanischem Tuffgestein

Wohnhöhlen von außen
Wohnhöhlen im Dorf Turquant an der Loire. | Bild: WDR

Im Tal der Loire in Frankreich haben einst tausende Menschen in Wohnhöhlen gelebt. Lange Zeit waren sie ungenutzt. Doch jetzt erlebt die ungewöhnliche Höhlen-Wohnkultur ein Comeback. Der helle Tuffstein der Region wurde bereits vor Jahrhunderten für die Errichtung der berühmten weiß strahlenden Schlösser der Loire abgebaut. Dadurch entstanden Hohlräume, die von Bauern vor allem im 19. Jahrhundert als Wohnhöhlen genutzt wurden. Sie hatten alles, was eine Wohnung braucht: Zimmer, Küche, Bad, wie in einer normalen Wohnung, bloß mit rauem Felsen als Wand und Decke. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die meisten Wohnhöhlen allerdings für normale Häuser aufgegeben.

Von Paris in die Höhle

Eingangsbereich einer Wohnhöhle
Patrick und Renée leben seit 20 Jahren in einer Wohnhöhle. | Bild: WDR

Patrick Edgard-Rosa und Renée Frank zählen zu den Pionieren, die die verlassenen Wohnhöhlen für sich wiederentdeckten. Bereits vor 20 Jahren ist das Paar von der Metropole Paris in eine alte heruntergekommene Wohnhöhle im Dorf Parnay an der Loire gezogen. Inzwischen ist sie schick eingerichtet: vom Holzmobiliar bis zur Badewanne, hineingestellt in einen Hohlraum mitten im Felsen, der mit ein paar Mauern in Zimmer aufgeteilt wurde. Was aber hat die beiden in die Höhle gezogen? "Ich liebe Räume, die meine Kreativität anregen. Wir haben hier keine starren vier Wände", schwärmt Renée. Und auch Fotograf Patrick beschreibt mineralische Welten als "magisch". Sie fühlen sich von der Natur geborgen.

Dunkel ist es in ihrer Wohnhöhle nicht. Denn kein Zimmer liegt weit weg von den großen Fenstern am Eingang. Auch heizen müssen die beiden kaum: Der Fels speichert die Wärme ihrer Öfen und gibt sie nachts wieder ab. Wärmer als 18 Grad wird es in der Wohnung allerdings nie. Denn sie ist nicht isoliert. Der Grund dafür: Tuffstein ist ein poröses Gestein, in das viel Wasser eindringt. Dadurch liegt die Luftfeuchtigkeit in der Höhle bei bis zu 80 Prozent. Das Paar hat deshalb zusätzlich Öffnungen in der Höhlendecke gelassen. So kann die feuchte Luft entweichen, ohne dass es zu Pilzbefall kommt.

Poröser Tuffstein: Einsturzgefahr?

Geologe Christoph Leotot überprüft alte Wohnhöhle
Geologe Christoph Leotot überprüft alte Wohnhöhlen. | Bild: WDR

Vorsichtiger müssen Höhlenbewohner in puncto Sicherheit sein. Der relativ weiche und poröse Tuffstein macht es zwar leicht, künstliche Höhlen in die Felsen zu schlagen. Aber er macht diese auch anfällig für Einstürze. Keiner weiß das besser als Christoph Leotot. Der Geologe aus dem Loiretal ist Experte für die Sicherung von Wohnhöhlen. Aktuell arbeitet er in direkter Nachbarschaft zu Patrick und Renée daran, die Ruinen alter Tuffstein-Höhlen zu stabilisieren. Früher wurde dort gewohnt und Wein produziert. Jetzt soll dort ein Höhlenhotel entstehen, aktuell wäre es dafür aber noch viel zu gefährlich.

Die Decken der alten Höhlen sind teilweise von Wurzeln durchdrungen, die an der Oberfläche wachsen. Das bringt nicht nur eine Menge Wasser ins poröse Gestein, sondern übt auch Druck aus. Das kann zum Einsturz der Decke führen. Deshalb sollen in Zukunft an der Oberfläche nur noch Pflanzen mit flachen Wurzeln wachsen dürfen. Das bereits rissige und lockere Gestein stabilisiert der Geologe mit meterlangen Zugankern. Sie fixieren instabiles Gestein an dahinterliegende stabile Schichten. Dieselbe Methode hat Leotot auch angewandt, um die Wohnhöhle von Patrick und Renée zu sichern.

Im Dorf Turquant ist dies mit einer Reihe alter Wohnhöhlen bereits geschehen. Sie wurden renoviert, um dort Kunsthandwerker aus der Region anzusiedeln. Hier gibt es auch ein Kulturzentrum für Wohnhöhlen, das 2019 vom Fotografen Patrick Edgard-Rosa selbst eröffnet wurde. Jetzt stellt er dort Fotos aus, die er auf seinen Weltreisen von Wohnhöhlen gemacht hat.

Wohnhöhlen weltweit

Foto einer chinesischen Wohnhöhle
In China leben noch heute 35 Millionen Menschen in Wohnhöhlen. | Bild: Patrick Edgard-Rosa

Tatsächlich findet sich diese naturnahe Wohnkultur fast überall: von Spanien, über die Türkei bis Indien. In China leben heute noch 35 Millionen Bauern in Wohnhöhlen. Sie haben damit bereits vor über 4.000 Jahren begonnen. Die Höhlen werden dabei nicht in den Felsen, sondern in den Lößboden gegraben. Sie haben bis heute noch viele Vorteile. Sie sind durch die umgebende Erde besser isoliert als oberirdische Häuser, sie sind feuerfest und nehmen kein Ackerland weg. Schließlich lässt sich obendrauf immer noch Getreide anbauen. In Deutschland gibt es heute kein bewohnten Wohnhöhlen mehr, nur noch einige wenige sind als Museum zu besichtigen, zum Beispiel in Langenstein im Harz.

Autor: Patrick Jütte (WDR)

Stand: 12.08.2021 16:00 Uhr

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