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Zoo-Architektur – Wie entsteht die Illusion von Wildnis?

Ein Affe sitzt in einem Baum.
Versteckt im Blattwerk. Moderne Zoos ermöglichen es den Tieren, sich den Blicken der Besucher auch mal zu entziehen.  | Bild: NDR

Wenn die deutschen Zoos bei Architekt Peter Rasbach die Planung neuer Gehege in Auftrag geben, sind fast immer auch Käfige mit Gitterstäben gewünscht – aber nur hinter den Kulissen. In den Schlafräumen der Tiere gibt es noch praktische Betonböden, die leicht zu reinigen sind, und Gitter, die es Pfleger*Innen einfach machen, Tiere voneinander zu trennen oder mit ihnen in Kontakt zu treten. Für schnelle medizinische Checks, Leckerbissen oder eine kurze Schmuseeinheit. Doch im öffentlichen Bereich zeigen sich moderne Zoos ihren Besuchern so naturnah wie möglich und scheinbar gitterlos. Denn Gitter lassen Zoobesucher an Gefängnisse denken und eignen sich nicht als Hintergrund für Fotos. Der Trend geht zu unsichtbaren Barrieren: große Plexiglasscheiben, Gräben oder Betonwände, die wirken wie echte Felsen. "Je näher ich dem Tier vermeintlich oder tatsächlich kommen kann, umso besser ist mein Eindruck. Das ist eine sehr emotionale Geschichte. Zoo ist aus dem Bauch, Zoo ist Emotionen", erklärt Zooarchitekt Peter Rasbach. 

Lebensraum Zoo

Moderne Zoos wollen Tiere und Besucher in einen exotischen Lebensraum versetzen. Dazu gehört auch, dass viele Arten nicht mehr alleine in ihren Gehegen präsentiert werden, sondern vergesellschaftet mit anderen. Wenn sich Giraffen, Zebras und Antilopen die Savanne teilen und Meerkatzen Gorillas Futter stibitzen, bringt das Abwechslung für die Tiere und soll es Besuchern ermöglichen, natürliche Zusammenhänge zu begreifen. Moderne Gehegeplanung im Zoo setzt darauf, den Tieren eine Umgebung zu bieten, in der sie mehr natürliches Verhalten ausleben können, und gleichzeitig dem Zuschauer den besten Blick darauf zu ermöglichen. Wenn der Elefant die Möglichkeit bekommt, ein tiefes Badebecken zu nutzen, ist das für beide Seiten ein Gewinn.

Vieles, was für den Besucher zufällig wirkt, ist von langer Hand geplant – die Raubkatze liegt wahrscheinlich deshalb so gerne auf dem gut einsehbaren Felsen, weil er beheizt ist. Ein naturnahes Aussehen ist allerdings nicht zwangsläufig primär ein Vorteil für die Tiere. Ein Graben zum Beispiel ermöglicht dem Besucher freie Sicht auf das Tier – seine Breite geht jedoch von der Fläche ab, die dem Tier zur Verfügung steht. Und entscheidender als eine üppige Bepflanzung ist für das Tier oft die Vielseitigkeit eines Geheges. 

Umgestalten auch fürs Tierwohl 

Elefant im Wasser
Elefantenbaden im Zoo Leipzig. Noch sind Pfleger und Elefant hier im direkten Kontakt. | Bild: NDR

Bei der Planung neuer Anlagen beobachten sich die Zoos weltweit gegenseitig ganz genau. "Ich habe auf meiner Liste etwa 300 Zoos, die ich besucht habe, vielleicht auch 350", erklärt der Leipziger Zoodirektor Prof. Jörg Junhold. Seine Tropenhalle "Gondwanaland", die Besucher in den Regenwald versetzen soll, zieht ihrerseits viele Zookollegen an, die kommen, um Ideen mitzunehmen. Nicht nur Geld und Ideenreichtum entscheiden darüber, wie neue Gehege aussehen. Immer wieder machen es auch neue Haltungsvorgaben notwendig, Anlagen umzugestalten. Nach einem jahrzehntelangen Streit um die Elefantenhaltung hat der europäische Zooverband EAZA beispielsweise festgelegt, dass alle Mitglieder, die künftig an Zucht- und Austauschprogrammen teilnehmen wollen, bis spätestens 2030 ihre Elefantenhaltung auf den sogenannten geschützten Kontakt umstellen müssen, bei dem Pfleger*Innen und Elefanten durch Barrieren voneinander getrennt sind. Das soll besseren Schutz für die Pfleger*Innen und größere Freiräume für die Tiere bewirken. Der "direkte Kontakt", bei dem die Pfleger*Innen die Leitungsfunktion innerhalb der Elefantenherde einnehmen, soll dann nicht länger möglich sein. Auch für die Zoobesucher wird das neue System Veränderungen bringen: Dass Besucher die Elefanten füttern können, wie es in einzelnen Zoos noch üblich ist, wird im geschützten Kontakt nicht mehr möglich sein. 

Ideen für den Zoo der Zukunft

Welchen Trends die Zoos in 20 Jahren folgen, mag Prof. Jörg Junhold heute noch nicht abschätzen. Dass in den Zoos der Zukunft virtuelle Erlebnisse oder Animationen die echten Tiere ersetzen, hält er jedoch für ausgeschlossen. "Ich glaube, dass wir die realen Tiere weiter zeigen werden. Darüber sind wir uns auch in der Zoowelt einig. Wir werden digitale Zusatzlayer einspielen können. Aber wir glauben an das Tiererlebnis und daran, dass wir ein Ort der Entschleunigung sein können. Wenn die Leute mal wieder ein reales Tier sehen wollen, dann sind sie bei uns richtig." Eines gilt heute wie in Zukunft, sagt Junhold: "Eigentlich ist ein Zoo nie fertig."

Autorin: Christine Seidemann (NDR)

Stand: 06.06.2020 13:19 Uhr

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