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Lebensmittelampel oder Zuckersteuer – Was hilft?

Globus mit Markierungen
Maßnahme gegen zu hohen Zuckerkonsum: eine Zuckersteuer. | Bild: NDR

Zucker ist weltweit ein dickes Problem: Im Übermaß genossen, lässt das süße Gift den Blutzucker entgleisen, schädigt die Leber, zerstört Zähne und macht dick. Übergewicht hat in vielen Ländern mittlerweile epidemische Ausmaße erreicht. 463 Millionen Menschen leiden weltweit an Diabetes, 90 Prozent davon an Diabetes Typ 2 – oft in Folge falscher, vor allem zuckerreicher Ernährung. Und immer mehr Jüngere erkranken daran, auch in Deutschland.

Im Gegensatz zur Bundesrepublik haben deshalb viele Länder die Notbremse gezogen und drastische Maßnahmen ergriffen, um den überbordenden Zuckerkonsum einzudämmen. Die weltweit häufigste Gegenstrategie: eine Zuckersteuer. Die gibt es beispielsweise in Frankreich, Großbritannien, Ungarn oder Norwegen. Auch Mexiko, Südafrika, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi- Arabien haben sie eingeführt. Insgesamt erheben mehr als 45 Länder eine Strafsteuer auf übersüßte Produkte.

Deutschland gehört nicht dazu. Stattdessen haben sich Lebensmittelhersteller und Bundesregierung 2018 auf eine freiwillige Reduktionsstrategie geeinigt, eine Selbstverpflichtung der Firmen. Sie sieht vor, dass Zucker-, Salz- und Fettgehalte in Fertigprodukten bis 2025 schrittweise gesenkt werden. Eine Strafsteuer sei deshalb nicht nötig, verlautbaren das Bundesernährungsministerium und der Verband der Lebensmittelhersteller unisono. Doch Lebensmitteltests zeigen: In Frühstücksflocken, Kinderjoghurt oder Limonaden steckt immer noch deutlich mehr Zucker als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt. Ärzteverbände und Verbraucherschützer fordern deshalb auch für Deutschland eine Zuckersteuer. Einer Studie der Universität Göttingen zufolge sprechen sich auch gut 60 Prozent der Bundesbürger für solche ernährungspolitischen Maßnahmen aus.

Limonade – flüssiger Zucker

Flaschen mit bunter Flüssigkeit.
Süße Getränke sind Zuckerbomben. | Bild: NDR

Eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Übergewicht spielen süße Getränke. Ihr Zuckergehalt ist oft besonders hoch, der Zucker wird beim Trinken besonders schnell vom Körper aufgenommen und gleichzeitig entsteht kein Sättigungsgefühl. Der durch die Limo hochgetriebene Insulinspiegel sorgt dafür, dass wir schnell mehr wollen. Ein fataler Kreislauf. In den meisten Ländern wurde die Strafsteuer deshalb speziell für zuckrige Softdrinks eingeführt. Die Getränkepreise stiegen dadurch: in Mexiko etwa um rund 10 Prozent, in den Vereinigten Arabischen Emiraten sogar um 50 Prozent. Die Folge: Der Konsum ging zurück, in manchen Ländern um bis zu 20 Prozent. Und die Hersteller reagierten. In Großbritannien zum Beispiel senkten die Firmen den Zuckergehalt vieler Getränke, um der Strafsteuer zu entgehen.

Und in Deutschland? Hier gelten bisher sogar Mindestmengen an Zucker, damit sich ein Süßgetränk offiziell Limonade nennen darf. Eine Limonade muss demnach mindestens 7 Prozent Zucker enthalten, um sich so nennen zu dürfen. Eine deutsche Fairtrade Bio-Limo mit nur 6 Prozent Zucker drohte deshalb im vergangenen Jahr fast der Entzug des Titels. Das schlug Wellen – und am Ende durfte sich das Getränk weiterhin Limonade nennen.

Problem: Werbung für süße Lebensmittel

Verschiedene Lebensmittelpackungen mit Produkten für Kindern.
In anderen Ländern verboten: Werbung, die auf Kinder zielt. | Bild: NDR

Besonders kritisch sehen Ernährungsexperten Werbung für übersüßte Lebensmittel, die sich gezielt an Kinder richtet. Bunte Comicfiguren auf Verpackungen, kindgerechte Kino- und Fernsehspots laufen allen Anstrengungen von Eltern und Erziehern entgegen, Kinder an gesunde Lebensmittel zu gewöhnen. Chile hat deshalb schon Werbeverbote zum Schutz von Kindern erlassen. Ärzteverbände fordern entsprechende Regeln auch für Deutschland. In Chile greift man sogar zu noch drastischeren Mitteln: Sämtliche Dickmacher müssen mit schwarzen Warnhinweisen versehen sein – ähnlich wie bei uns Tabakprodukte. Die Aufdrucke auf der Vorderseite von süßen Frühstückscerealien, Schokoriegeln und Co. weisen auf zu viel Zucker, zu viel Fett, zu viel Salz und zu viele Kalorien hin. Der Deutsche Lebensmittelverband hält das für eine unfaire Brandmarkung von Produkten und möchte, dass bei uns weiterhin auf freiwillige Kennzeichnungen gesetzt wird – mit dem Nutri-Score zum Beispiel.

Nutri-Score : "Lebensmittelampel", die scheinbar nie auf Rot schaltet

Schild mit verschiedenen Farben Grün, Gelb, Orange und Rot.
Nutri-Score – die "zwanglose" Lebensmittelampel | Bild: NDR

Der Nutri-Score funktioniert wie eine Lebensmittelampel. Diese wurde von Ernährungsexperten in Frankreich entwickelt. Die fünfstufige Farb- und Buchstabenskala bewertet gesunde und ungesunde Inhaltsstoffe eines Produkts und ermittelt daraus eine Gesamtnote. Mittlerweile findet man das Label auch auf einigen Produkten in Deutschland. Allerdings nur dann, wenn die Wertung positiv ausfällt. Im Müsliregal oder bei den übersüßten Fruchtjoghurts heißt es: Fehlanzeige.

Stattdessen muss man mühsam Zutatenlisten und Nährwertangaben studieren, wenn man wissen will, wovon man besser die Finger lässt. Kein Zufall. Die Lebensmittel- und Zuckerlobby ist mächtig und hat es bislang erfolgreich geschafft, eine verpflichtende Nährwertampel EU-weit zu verhindern. Trotz der Forderungen von Ernährungsexperten, Ärzten, Krankenkassen und Verbraucherverbänden ist deshalb eine gesetzlich vorgeschriebene Lebensmittelampel nicht in Sicht.

Autorinnen: Ute Jurkovics, Christine Seidemann (NDR)

Stand: 27.07.2020 10:39 Uhr

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