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Süßstoffe: Zucker-Alternative oder ungesunder Dickmacher?

In einem Labor stehen kleien Fläschchen mit Flüssigkeiten, dahinter Obstsorten.
Natürliche Süßstoffe aus dem Baukasten der Natur. | Bild: hr

Künstlich hergestellte Süßstoffe statt Haushaltszucker – auf den ersten Blick haben die nur Vorteile: ein Vielfaches der Süßkraft von Zucker und praktisch kalorienfrei. Doch wie so oft, steckt der Teufel im Detail. Wissenschaftler suchen deshalb nach natürlichen Alternativen.

Die Forscher der Firma Brain-Biotech in Zwingenberg zum Beispiel forschen an einem Super-Süßstoff, der aus natürlichen Quellen – Pflanzen oder Pilzen – stammen soll. Dieser Süßstoff soll Zucker in Zukunft ersetzen oder den süßen Geschmack so verstärken, dass wesentlich weniger Zucker eingesetzt werden muss. Wichtigstes Kriterium: Produkte, die mit dem Super-Süßstoff gesüßt werden, sollen ganz genauso schmecken wie zuvor. Eine unlösbare Aufgabe?

Künstliche Süßstoffe mit Nebenwirkungen

Künstliche Süßstoffe rieseln auf einen Teller
Künstliche Süßstoffe: kaum Kalorien, aber nicht unproblematisch. | Bild: hr

Die bisher bekannten Süßstoffe können dieses Geschmacksversprechen oft nicht erfüllen. Viele Menschen mögen sie deshalb nicht. Hinzu kommt: Noch immer ist nicht völlig geklärt, wie die gängigen Süßstoffe im Körper wirken. Beispiel Aspartam: Trotz behördlicher Prüfung warnen Kritiker vor Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Sehstörungen.

Außerdem fanden Forscher, als sie einige der Süßstoffe genauer untersuchten, dass diese – im Gegensatz zu Zucker – keine Sättigungshormone freisetzten. Das heißt: Man fühlt sich weniger satt. Und sie aktivierten auch nicht das Belohnungszentrum im Gehirn. Das könnte dazu führen, dass man mehr isst und sogar zunimmt – obwohl Süßstoffe praktisch keine Kalorien haben.

Natürliches Vorbild Stevia

Fast alle EU-weit zugelassenen Süßstoffe sind künstlich hergestellt. Eine Ausnahme: Stevia. Seine Zulassung als erster natürlicher Süßstoff weckte 2011 viele Hoffnungen. Seine Verwendungsmöglichkeiten sind aber begrenzt. In Milchprodukten zum Beispiel kann Stevia nur schlecht eingesetzt werden, da der typische Geschmack durch Fehlnoten verfälscht wird. Brain-Biotech sucht jetzt nach einem Naturstoff, der in allen Produkten funktioniert. Dazu durchsuchen die Forscher systematisch den Baukasten der Natur. Tiefgefroren lagern in ihrem riesigen Archiv unzählige Zellen und Naturstoffe, die aus Pflanzen und Pilzen gewonnen wurden.

Süßstoff-Suche mit einer "künstlichen Zunge"

Verschiedene Stevia-Produkte stehen auf einem Tisch.
Stevia – nicht künstliche, sondern natürliche Süße aus einer südamerikanischen Pflanze. | Bild: hr

Rund 20.000 Tausend Proben haben die Forscher bereits untersucht. Die süß schmeckenden Stoffe können in essbaren oder nicht essbaren Bestandteilen stecken – in kleinsten Molekülverbindungen. Das heißt, in einer einzigen Pflanze müssen Hunderte, manchmal Tausende Verbindungen getestet werden. Das macht die Forschung zeitaufwendig und teuer.

Ohne die "künstliche Zunge" wäre das kaum zu leisten. Diese sieht unscheinbar aus: ein eckiger Kasten mit verschiedenen Schubladen, die an das Laufwerk eines CD-Players erinnern. Öffnen und schließen lassen sie sich auf Knopfdruck. In einer Halterung befinden sich viele Reihen winziger Röhrchen. In ihnen stecken Geschmackszellen, die der menschlichen Zunge entnommen wurden. Empfangen die Zellen bei den Tests das Signal "süß", setzen sie Botenstoffe frei. Diese lassen sich als Lichtsignal sichtbar machen. Beim Test von einem Stoff aus der Roten Bete leuchten sehr viele Punkte auf – ist er gefunden, der Supersüßstoff?

Süß aber Beigeschmack

Um das zu entscheiden, müssen die Stoffe erst noch von menschlichen Testpersonen probiert werden. Denn nur sie können die entscheidenden Feinheiten und Nuancen herausschmecken. Wird der Stoff aus der Roten Bete den Test bestehen? Leider nicht. Ein Tester erkennt im Vergleich zu anderen süßen Stoffen einen "leicht metallischen Nebengeschmack". Damit ist der Rote Bete-Süßstoff durchgefallen. Denn Proben, die in der Verkostung nicht völlig überzeugen, sind für die weitere Erforschung uninteressant.

Ein anderer Kandidat hat hingegen geschmacklich vollends überzeugt: ein süßes Eiweiß aus einer zentralafrikanischen Frucht, der Pentadiplandra Brazzeana-Beere. Im Vergleich zu Zucker soll ein bestimmtes Protein der Pflanze eine bis zu 1.900 Mal höhere Süßkraft als Zucker haben und das bei sehr geringem Kaloriengehalt (4 cal/mg Protein).

Neuer Süßstoff – weitere Forschung nötig

Eina Frau sitzt in einem Labor und schaut auf einen Computerbildschirm.
Die "künstliche Zunge" kann Stoffe auf Geschmackseigenschaften prüfen.

Geschmack allein ist aber noch nicht alles, denn nicht jeder Stoff eignet sich für unterschiedliche Produkte. Manche Süßstoffe sind sehr gut löslich, die könnten zum Beispiel in Getränken zum Einsatz kommen. Andere schmecken zwar gut, lösen sich aber nur schlecht. Sie könnten eher für die Produktion von Riegeln oder Kaugummi genutzt werden.

Mittlerweile haben die Wissenschaftler der Brain-Biotech AG fast 100 vielversprechende, natürliche Süßstoffe identifiziert. Diese bieten sie Lebensmittelherstellern an, die sie dann noch weiter erforschen müssen. Dabei zählt nicht nur der Geschmack, sondern auch, wie gut verträglich sie sind und wie sie im Körper wirken. Es wird also noch einige Zeit vergehen, bis der natürliche Super-Süßstoff gefunden ist, der für alle Produkte funktioniert.

Autorinnen: Nina Chmielewski und Dorothee Kaden (hr)

Stand: 27.07.2020 10:39 Uhr

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