Sa., 10.05.25 | 23:45 Uhr
Das Erste
spricht Benedikt Welter, Trier
gesprochen von Benedikt Welter (katholisch)
Einen guten späten Abend, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer,
Einem kleinen Jungen von sieben Jahren drückt seine Oma Kieselsteine in die Hand; groß genug, dass es innen zu hören ist, wenn einer ans Fenster fliegt; klein genug, dass die Fensterscheibe trotzdem heil bleibt. Der kleine Junge ist mein Vater. Meine Urgroßmutter hat ihm die Kieselsteine in die Hand gedrückt, damit er sie ans Fenster wirft und sie drinnen warnt, wenn jemand sich dem Haus nähert. Denn meine Uroma hörte verbotenerweise BBC London. „Den Feindsender“.
Das ist 80 Jahre her. Und die Szene kommt mir in diesen Tagen in den Kopf. Am vergangenen Donnerstag, dem achtzigsten Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs heißt es: Habemus Papam. Leo XIV. wird Papst. Er beginnt an diesem geschichtsträchtigen Tag seine erste Ansprache mit den Worten: Der Friede sei mit euch. Er grüßt wie der auferstandene Jesus Christus am Osterabend: Friede mit euch.
Achtzig Jahre nach dem Ende des Weltkriegs in Europa, so denke ich, sind wir kaum ein bisschen weiser. Ich habe das Glück: Mein Vater hat mir erzählt, was er als Kind erlebte und von seiner mutigen Oma. Auch davon, wie er als junger Erwachsener gespürt hat, was alles verschwiegen wurde. Der Mut meiner Urgroßmutter hat ihn angetrieben, Fragen zu stellen und klar davon zu sprechen: ohne den 8. Mai 1945 könnte ich achtzig Jahre später nicht in Frieden leben. Und nicht in einer Demokratie, die ihren Ursprung zu vergessen scheint.
Seit dem 8. Mai 2025 wird Papst Leo XIV. nun seine Stimme immer wieder in der Öffentlichkeit erheben müssen – ob er will oder nicht. Denn er ist einem verpflichtet, der größer ist als er. Von dem sagt die Bibel: „Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Gasse erschallen. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.“ Dieses Prophetenwort wendet die Christenheit schon immer auf Jesus Christus an. Wenn der Papst – auch der neue Papst Leo – als Stellvertreter Jesus Christi auf Erden gilt, ist er genau dieser Art verpflichtet, auch dessen Stimme zu sein.
Und diese Stimme wird Unerhörtes zu sagen haben; Papst Leo wird als 267. Nachfolger des Heiligen Petrus nicht brüllen und geifern, wie der 47. US-Präsident es häufig tut – und andere, die sich selbst für mächtig halten und es ja auch sind. Ein bisschen so, wie meine Uroma ihrem Enkel Kieselsteine in die Hände gelegt hat, damit er sie warnen soll – ein bisschen so wird Papst Leo die Leere dieser chaotischen Welt mit einer Stimme erfüllen, die aufhorchen lässt und aufatmen lassen kann. Damit gerade die aufatmen und gehört werden, die keine Stimme zu haben scheinen. Unerhörterweise wird er den verborgenen Gott hörbar machen – gegen das Gebrüll unserer Tage.
Ein neuer Papst, dem letztlich nur die kleinen Kieselsteine seiner Stimme gegeben sind. Das wäre doch etwas. Wenn er wie mein Vater damit leise an unsere Fensterscheiben werfen würde. Damit kann er den Menschen helfen, sich den Wahrheiten ihres Lebens und ihrer Geschichte zu stellen; damit sie alle hören können: Friede sei mit euch – und endlich das Unerhörte hören und tun.
Einen gesegneten Sonntag wünsche ich Ihnen.