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Lissy Eichert: Unsere Demokratie braucht Religion

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Lissy Eichert: Unsere Demokratie braucht Religion | Video verfügbar bis 20.05.2028 | Bild: ARD

Guten Abend.

Es roch schon im Flur nach verbranntem Essen. O Gott, hatte ich in der Hektik vergessen, den Herd abzuschalten? Kurze Panik – und richtig: Da stand ein rabenschwarz verkohlter Topf auf der Herdplatte. Dank großartiger Technik hatte sich der Herd selbständig ausgeschaltet. Was hätte alles passieren können! Langsam beruhigte sich der Puls, meine Lebenserwartung stieg wieder.

Apropos „Lebenserwartung“: Die sinkt gerade in Deutschland. Laut einer Studie sind wir im Vergleich der westeuropäischen Staaten bei den Schlusslichtern. Hauptsächlich wegen einer erhöhten Zahl von Todesfällen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zu viel Stress. Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung.  Als ich das las, musste ich an den Soziologen Hartmut Rosa denken. Er bezeichnet den aktuellen gesellschaftlichen Zustand als „rasenden Stillstand“. Ob Unternehmen oder Kommunen oder privat: Alle sind wie Getriebene, die immer weiter, immer schneller wachsen müssen, dabei irre viel Lebensenergie aufbringen und trotzdem nicht vorwärtskommen. Ein Dauerstress, der Aggressionen anheizt und Beziehungen belastet. Was nun?

„Unsere Demokratie braucht Religion.“  Sagt der Soziologe Rosa. Ich war erstmal irritiert. Demokratie braucht Religion? Religion – das Wort bedeutet Rückbindung. Sich rückbinden in einen größeren Lebenszusammenhang. Rosas Begründung: Demokratie funktioniere nur, wenn Bürgerinnen und Bürger sich als Menschen begegnen, die einander etwas zu sagen haben – und die sich auch etwas sagen lassen. Und: Es brauche ein „hörendes Herz“. Ein Herz, das mir hilft, mich von dem, was ich höre, auch berühren zu lassen. Um neu in Beziehung zu gehen zu mir selbst. Zur Welt. Zu dem, der anderer Meinung ist als ich. Und zu diesem größeren Lebenszusammenhang – wofür die Religionen stehen. Mit ihren Ritualen, ihren Liedern und Räumen bieten sie eine Chance, diese hörende Haltung einzuüben. Wer zum Beispiel eine Kirche betritt, erlebt diesen Raum anders als einen Supermarkt. Religion kann ein Gespür dafür wecken, was es heißt, sich berühren und verwandeln zu lassen.

Berühren und verwandeln. Denn „wenn die Gesellschaft diesen Sinn verliert, dann ist sie erledigt“, sagt der Soziologe. Die Gesellschaft brauche die Religion, weil sie eine andere Beziehung zur Welt und zum Menschen ermöglicht. Weil wir durch sie entdecken können, was für das Zusammenleben, die politische Kultur und auch für einen selbst heilsam ist - eben diese Haltung des „hörenden Herzens“. Sie hilft heraus aus der Aggressionsspirale und dem Dauerstress, erhöht die Lebensfreude und damit bestimmt auch - die Lebenserwartung.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

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Sa., 20.05.23 | 23:45 Uhr
Das Erste

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Rundfunk Berlin-Brandenburg
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