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Annette Behnken: Kaum auszuhalten

PlayPastorin Annette Behnken
Annette Behnken: Kaum auszuhalten | Video verfügbar bis 24.02.2029 | Bild: Patrice Kunte

Kaum auszuhalten

Mich bewegt und beschäftigt immer noch und zwar sehr der Tod Alexej Nawalnys. Der russische Regimegegner. Er hat uns was zu sagen. Uns auf unserem Sofa, in unserem Wohnzimmer, in unserem Land, in dem wir sagen dürfen, was wir denken, ohne verhaftet oder ermordet zu werden.

Seine zentrale Botschaft, über seinen Tod hinaus, heißt: "Gebt nicht auf! Ich fürchte mich nicht, und Ihr sollt Euch auch nicht fürchten" - einer seiner bekanntesten Sätze. Der klingt biblisch, und ich bin sicher, er war auch so gemeint.

Nawalny sagte von sich: "Ich bin ein gläubiger Mensch". Der Glaube war eine seiner Kraftquellen. Nawalny sah sich ganz im biblischen Sinn an der Seite derer, die "hungert und dürstet nach Gerechtigkeit".

Das hat ihm diesen unbegreiflichen Mut gegeben. Sich dem Regime Putins in den Weg zu stellen. Über Jahre immer wieder die absurden Urteile der russischen Gerichte zu ertragen. Und das bis zum Schluss, selbst noch einen Tag vor seinem Tod lächelnd, ironisch, mit Chuzpe, Charme und Charisma. Angetrieben von Werten, die ihm heilig waren: Freiheit. Gerechtigkeit. Demokratie. Frieden.

"Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit" – Den Bibelvers habe er, Nawalny, immer als Handlungsanweisung verstanden. Für die, denen das zu pathetisch klingt, hat er es auf Twitterlänge eingedampft: In Gerechtigkeit liegt Kraft.

Ich habe eine von Nawalnys Reden vor Gericht gelesen. Und dachte – hoppla – was für ein unerwarteter Name in der Rede eines russischen Dissidenten: Luna Lovegood. Ausgerechnet Luna Lovegood. Eine Romanfigur. Die feenhaft-verträumte Esoterikerin aus Harry Potter. Alexej Nawalny nennt sie eine großartige Philosophin. Zu Harry Potter hat sie gesagt: "Es ist wichtig, sich nicht einsam zu fühlen. Denn an Voldemorts Stelle würde ich sehr wollen, dass du dich einsam fühlst." Und Nawalny ergänzt: "Unser Voldemort in seinem Palast will das natürlich auch". Weil Despoten wissen: Wer isoliert und einsam ist, ist ein schwacher Gegner.

Alexej Nawalny war ein starker Gegner. Der seinen Landsleuten gezeigt hat: Ihr seid nicht allein, sondern umgeben von einer Menge Gleichgesinnter. Die politische Vereinsamung des Einzelnen, auf die das putinsche Regime setzt, hat er damit durchbrochen.

Die Voldemorts dieser Welt setzen alles daran, all das, was ein starkes Wir ausmacht zu zerstören. Solidarität. Toleranz. Demokratie. Ein Wir, das ist in diesen Wochen so kraftvoll auf unseren Straßen zu sehen ist. Ein starkes Wir gegen die vielen, kleinen Voldemorts, die gern wieder groß wären. Ein starkes Wir auf unseren Straßen für Vielfalt und Toleranz und Demokratie. Das mehr sein muss, als eine spontane Aktion.

Wir müssen uns ihnen in den Weg stellen, und zwar dauerhaft und deutlich, ihnen: den antidemokratischen und rechtsradikalen Ideen, Initiativen und Parteien, die meinen, gerade Morgenluft zu wittern.

Auf den Straßen, in politischen Debatten, in sozialen Medien, in Büros, auf Parties, an Frühstückstischen. Denn – ich zitiere Nawalny: "Für den Triumph des Bösen braucht es nichts weiter, als dass die Guten untätig bleiben. Also seid nicht passiv." Das ist die Botschaft Nawalnys an uns.

An uns hier auf unseren Sofas, in unseren Wohnzimmern, in unserem Land, in dem wir sagen dürfen, was wir denken.

Sendetermin

Sa., 24.02.24 | 23:35 Uhr
Das Erste

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Norddeutscher Rundfunk
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