SENDETERMIN Sa., 02.08.25 | 23:35 Uhr | Das Erste

Pfarrer Conrad Krannich: Vom Glück gebraucht zu werden

gesprochen von Conrad Krannich (evangelisch)

Pfarrer Conrad Krannich: Vom Glück gebraucht zu werden  | Video verfügbar bis 02.11.2025 | Bild: ARD/MDR/Hagen Wolf

Ich war wieder mal segeln. Mit meiner Studierendengemeinde auf den Friesischen Seen in den Niederlanden. Jeden Sommer schippern wir eine Woche lang  von Hafen zu Hafen. Vierzehn Segelbegeisterte, vier Boote – bislang ist immer alles gut gegangen. In diesem Jahr da war‘s n bisschen anders.

Vollbepackt verlassen wir den Hafen in Langweer. Der Wind ist so stark, die Böen unberechenbar – wir reffen die Segel, fahren mit sehr stark verkleinerter Segelfläche.

Drei Boote schaffen es so über den See und passieren die erste Brücke. Aber ein Boot, das kommt und kommt nicht. So langsam mach ich mir Sorgen.

Da klingelt mein Handy. „Conrad“, sagt der Skipper, „die gute Nachricht: Es ist keiner verletzt. Die schlechte Nachricht: Wir sind gekentert.“

Ein klassischer Segel-Fehler, wie sich später herausstellt: Großschot angeknallt, Patenthalse und dann Boot liegt auf der Seite – so was darf eigentlich nicht passieren, bis es dann doch passiert, manchmal sogar den Allerbesten.

Die drei Schiffbrüchigen, die werden von anderen Seglern aus dem Wasser gezogen. Stunden später stoßen sie zu uns dazu, völlig erschöpft und klitschnass das Gepäck.

Und dann geschieht etwas Unerwartetes und eigentlich auch Selbstverständliches: Die Gruppe, die rückt zusammen. Kein Vorwurf, keine Diskussion über Schuld, nur Solidarität. Eine gibt ihre Jacke, der andere hat noch eine Decke übrig, und drei Schlafplätze, die sind schnell gefunden. Die Gruppe, die wirkt richtig beseelt miteinander.

Als wir abends im Kerzenschein zusammensitzen, da beschäftigt mich das sehr: wie leicht war es bitte, füreinander da zu sein. Für mich sind das Momente, in denen ich den Glauben an die Menschheit wiedergewinne. Eigentlich gar nicht so selten:

Erinnern Sie sich noch an die Oderflut oder an die Katastrophe im Ahrtal? Von so weit her kamen die Menschen, um zu helfen.
Oder der Tag, als das Haus im Nachbardorf brannte. Alle haben die Familie unterstützt. Alle Nachbarschaftskonflikte plötzlich unwichtig; alle rücken zusammen und packen an. Es tut einfach so gut, gebraucht zu werden. Was für ein Hochgefühl, was tun zu können, eine Aufgabe zu haben. Und wie schwer, wenn das irgendwann wegfällt.

Mitmenschlichkeit ist ein Reflex. Kinder, die beherrschen das noch intuitiv. Die teilen ihr Essen mit Mama und mit dem Hund. Und dem Obdachlosen in der Fußgängerzone, dem legen sie das angeknabberte Brötchen hin und verstehen gar nicht, wenn man sie davon abhalten will. Helfen ist uns tief eingeschrieben. Ich glaube, Gott hat uns mit einem weiten Herzen geschaffen. Eigentlich …

„Warum tun wir uns dann so sauschwer mit der Not da draußen in der Welt“, frage ich mich.

„Die Kraft“, antwortet eine Mitseglerin, „die Kraft liegt im Konkreten. Ich brauche einen Namen und ein Gesicht, irgendeine Verbindung.“

So ist es. Das Konkrete lässt mich handeln; die bloße Nachricht mit Zahlen, die schafft das nicht. Wer helfen will, der muss sehen, dass da ein Mensch ist, wie du und ich. Deshalb beginnen Kriege ja lange vor dem ersten Schuss damit, dass man sich gar nicht mehr richtig ansieht. Das führen uns die Kriege in aller Welt gerade so abgründig vor Augen.

„Und wo ist mein Platz, um zu helfen, wenn wir hier fertig sind“, fragt eine Studentin aus unserer Runde. „Dein Platz findet dich“, sagt eine andere. „Und dass es der richtige Platz ist, das merkst du daran, dass es wirklich um Menschen geht.“

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und, dass der Platz Sie findet, wo Sie gebraucht werden. Halten Sie die Herzenstür dafür ein bisschen offen.

Sendetermin

Sa., 02.08.25 | 23:35 Uhr
Das Erste

Produktion

Mitteldeutscher Rundfunk
für
DasErste