Gespräch zwischen Jan Bonny, Eva Löbau und Hans-Jochen Wagner über den "Tatort"

»Ich empfand das bisher als die persönlichste 'Tatort'-Arbeit.«

Friedemann und Franziska sind unentspannt miteinander, aber der Tatort ist nicht wirklich geeignet, um das auszudiskutieren.
Friedemann und Franziska sind unentspannt miteinander, aber der Tatort ist nicht wirklich geeignet, um das auszudiskutieren. | Bild: SWR / Benoît Linder

Franziska Tobler und Friedemann Berg werden in diesem "Tatort" ungewöhnlich intensiv in die Geschichte geworfen, sie sind Figuren, die ihre eigene Geschichte haben. Was bedeutet das für die Arbeit an dem Film?

Hans-Jochen Wagner: Ich fand, dass bei diesem "Tatort" sehr gut aufging, was wir uns am Anfang über die Zusammenarbeit im Ermittlerteam vorgenommen hatten: Dass die Geschichte der beiden Figuren dann erzählt werden, wenn sie etwas mit dem Fall zu tun haben. Weil das Überthema Fasnacht, Verstellung, Masken ist und die Fasnacht so einen Ausnahmezustand darstellt, waren die beiden Figuren auch ein Stück weit in diesem Ausnahmezustand. Deshalb passt es gut, dass die selbst in eine Identitätskrise rutschen. Wenn man eine Maske aufsetzt, dann ändert man ja die Identität, und auch wenn die Kommissare nicht immer Masken aufhaben, sind sie praktisch auch in einem Ausnahmezustand, wo alles, was sie normalerweise als gefestigt sehen, sich verändert, zumindest verändern kann. Und hej, war eine reine Freude, das zu spielen!

Eva Löbau: Ja!

Hans-Jochen Wagner: Das Schöne war, dass wir selbst unsere Figuren auch wieder besser kennenlernen konnten, auch das Verhältnis zwischen den beiden. Und es war ganz wunderbar erzählt, weil die beiden sich begegnen und daraus etwas entsteht, dabei aber auch ihre eigene Sache reflektieren. Ihre eigene Situation wird auf sie zurückgeworfen.

Eva Löbau: Ich empfand das bisher als die persönlichste "Tatort"-Arbeit, nicht zuletzt durch die ganzen Gespräche in Vorbereitung auf das Spiel, manchmal auch nur Sekunden, bevor man sich in die Szene reinbegibt. Und auch durch das persönliche Abgleichen: Was ist meine eigene Einstellung zu Beziehungen, wie ehrlich bin ich, wann verstelle ich mich oder was sind meine Tricks? Oder auch wo sind die Grenzen des Spiels, was ist Wahrheit … Es war die am tiefsten gehende Arbeit, weil ich immer in einer Situation des Abgleichens war, mit meiner persönlichen Lebenssituation und der von Franziska Tobler.

Hans-Jochen Wagner: Das Wunderbare bei Jans Filmen ist, dass man spielen kann, ohne an die Kamera zu denken. Es wird irgendwann vollkommen unwichtig, wo die steht; ob sie hinter einem, über oder unter einem. Man spielt die Szenen immer wieder, aber in einer anderen Energie, man kommt auch in so einen karnevalesken Spielfluss. (lacht) Eine Spielfreude, die nicht danach fragt, ob ich jetzt im Licht stehe oder den Kopf drehen muss, sondern man vergisst die Kamera, kann frei spielen und die Verantwortung abgeben, was ja in unserem Job das Wichtigste ist. Man kann sich reinstürzen, und von außen sagt einem dann schon jemand, wenn es zu viel oder zu wenig ist. Man bleibt nicht in dieser permanenten Selbstkontrolle. Das war die reine Freude, kann ich nur sagen. Exzessiv und freudig, ein Arbeiten, wo man gerne hingeht, gerne alles gibt und danach gerne nach Hause geht.

Eva Löbau: Das ging mir auch so. Dazu kam, dass Szenen manchmal in Reaktion zu dem geschrieben wurden, was schon gedreht war, die Autoren waren also flexibel. Das hat von uns natürlich auch größtmögliche Offenheit gefordert, uns darauf einzulassen. Außerdem fühlten sich die Szenen sehr real an, weil wir an Orten gedreht haben, wo die Fasnacht tatsächlich stattfand, man wurde also auch tatsächlich reingeworfen und musste damit umgehen.

Also eine positive Herausforderung?

Eva Löbau: Das setzt Energie frei! In jeder Hinsicht. Aggressionen werden genauso frei wie Zuwendung, man öffnet sich. Das war ein sehr energetischer Umgang miteinander.

Hans-Jochen Wagner: Das hat ja auch mit der Fasnacht selbst zu tun. Wir haben in Elzach gedreht, wo die Fasnacht ja herrscht, und wurden da sehr freundlich aufgenommen. Das war auch für mich als protestantischen Schwaben sehr beeindruckend. So wie das ganze Dorf trotz des exzessiven Hintergrunds einer Fasnacht gut organisiert und freudig verschiedenste Veranstaltungen gemacht hat, an denen wir teilgenommen haben, hat sich das total übertragen. Wenn man sich im Nachhinein an den Dreh erinnert, ist es ein bisschen so wie wenn man sich an eine Ausnahmezeit erinnert. Wie Eva sagte, es wird Energie frei. Wir werden ja auch wieder klassischere Erzählweisen erleben …

Jan Bonny: Das ist ein total klassischer Film! Zwei Ermittler schnappen einen Täter. Total klassisch.

Hans-Jochen Wagner: Es gibt zum Beispiel in den ersten zehn Minuten noch keinen Mord ...

Jan Bonny: Das ist kein "Tatort", der aktuelle Probleme behandelt und themenmäßig daherkommt, aber es ist im Grunde eine ganz einfache Figurengeschichte, ganz gerade und auch ganz klassisch im Genre. Was eine große Freiheit gibt, sich den Figuren zu widmen. Da man nicht die gan ze Zeit mit Mikrofakten rumhantieren muss, wer wo welchen Fingerabdruck gefunden hat etc., können die Figuren viel Raum bekommen. Der Film handelt tatsächlich von Orten und Figuren, und wie eigentlich aus Figuren an Orten Geschichten entstehen. In diesem Fall bedeutet das natürlich auch, innerhalb der Fasnacht und an Orten, an denen diese Fasnacht stattfindet. Das sind Ausnahmesituationen, die die Geschichte hervorbringen und auch das Schicksal aller Figuren miteinander verbinden.

Was ich gut für die Kommissare finde, ist, dass die beiden auch wirklich die Hauptfiguren sind. Das ist ja bei Kriminalfilmen nicht immer der Fall, und muss nicht immer der Fall sein muss, aber hier ist es gut. Und sie »lösen« den Fall nicht nur durch Ermittlungsarbeit. Sondern sie erleben ähnliche Themen wie die Figuren. Die Themen werden untereinander hin- und hergespiegelt, dadurch findet eine wechselseitige Aufladung statt, die alle Figuren im besten Fall noch größer macht. Um diese schicksalhafte Verbundenheit der Figuren geht es im Prinzip während dieser Tage. Wie es nun einmal so ist an solchen Tagen.

Eva Löbau: Das Thema ist ja mehrfach gespiegelt. In den Figuren, aber auch auf unserer Schauspielerebene. Da ging es auch um die Grenzen des Spiels: Wann ist das folgenreich und wann bleibt es folgenlos. Die Behauptung ist ja, dass alles, was in der Fasnacht passiert, keine Konsequenzen nach sich zieht, dass da dieser Spielraum vorhanden ist. Es passieren aber Dinge, die sehr wohl Konsequenzen haben. Und ab wann ist etwas eine Straftat und wann ist etwas spielerisch, oder wann ist etwas moralisch falsch oder fragwürdig, aber keine Straftat. Ich kann also meinen Partner hintergehen, und das kann eine krasse Straftat werden, oder ich hintergehe meinen Partner und das führt zu einer Trennung, aber nicht zu einem Totschlag.

Jan Bonny: Genau, im Privaten kann trotzdem eine Strafe erfolgen.

Jan Bonny: Ein zentrales Thema der Erzählung ist natürlich vergeben und strafen. Wer vergibt und wer straft im Umgang der Figuren miteinander. Bis hin zum Ende. Wie am Ende mit der Figur Romy Schindler umgegangen wird, ist das Strafe oder ist das Vergebung?

Eva Löbau: … Wer ist hineingeworfen und reagiert, und wer gibt etwas vor.

Jan Bonny: Wer ist vom Schicksal belegt und wer bringt widersprüchlicherweise selbst das Schicksal hervor.

Eva Löbau: Es geht auch um so ein grundsätzliches Schauspielerthema, das bei uns in der Schauspielschule auch an der Wand hing, der Satz von Max Reinhardt »Nicht Verstellung, sondern Enthüllung ist die Aufgabe des Schauspielers«. Das wird hier in mehreren Hinsichten durchgespielt. Wie ehrlich gehen wir miteinander um, wer wollen wir sein, wer geben wir vor zu sein und wer sind wir dann wirklich. Wann sehen wir einander mal so, wie wir sind.

Hans-Jochen Wagner: Schön an diesem Film ist, dass die Wahrheit auf einer anderen Ebene als der Faktischen gefunden werden kann, im Zwischenmenschlichen, im Verhältnis zwischen Täter und Opfer, genauso zwischen den Ermittlern. Obwohl die Polizeiarbeit ganz normal läuft. Das fand ich sehr angenehm, dass die Realitätsebene eben nicht nur Indiziensuche auf der faktischen Ebene der Polizeiarbeit ist, sondern auch Indiziensuche auf der Ebene der emotionalen Realität. Man kann ja die Polizeiarbeit im Film leider immer nur verkürzt darstellen, weil die Vorgänge in der Realität viel langwieriger und komplizierter sind. Aber was die andere Ebene des Handelns betrifft, wie Eva schon sagte, wer ist Täter, wer ist Opfer, wer verstellt sich, wer sagt die Wahrheit, da findet eine ehrliche Suche statt. Da ist es auf eine gute Weise realistisch.

Jan Bonny: Aus der Fasnacht steigen auch der Geist des Märchens und der Geist der Sage. Mit der von Bibiana Beglau gespielten Elena gibt es ja auch so eine eigenartige Sagenfigur, die eigentlich alles weiß. Und natürlich kann es auch gar nicht anders sein, finde ich, bei einer Geschichte, die im Schwarzwald stattfindet. Da werden lauter romantische Motive verhandelt. Und trotzdem ist es ein Whodunit! Ich habe ja so etwas noch nie gemacht, eine Geschichte, in der man nicht weiß, wer der Täter ist und so. Aber hier finde ich es ganz schön.

Hans-Jochen Wagner: Mit Realismus meine ich …

Jan Bonny: … dass die Kamera wackelt.

Hans-Jochen Wagner: ... dass die Fasnacht etwas mit der Region zu tun hat, mit den Menschen, die die jedes Jahr erleben. Natürlich gibt es da Märchenaspekte. Aber der Film hat eine Wahrhaftigkeit, die mit der Region zu tun hat. Es ist nichts Konstruiertes, keine Welt, die wir aufgebaut haben, sondern eine erzählerische Verdichtung dessen, was dort passiert. Deshalb war es auch eine wunderbare Chance, dass wir während der Fasnacht in Elzach drehen konnten.

Welche Rolle hat die Körperlichkeit des Films gespielt?

Hans-Jochen Wagner: Oft ist es ja eine sonderbare Situation, wenn sagen wir mal intimere Szenen gedreht werden, weil es auch unangenehme Szenen sein können. Hier hat es im Endeffekt total Spaß gemacht, etwas zu drehen, was normalerweise so einen Hauch von Pseudoheiligkeit und Diskretion hat, die aber eigentlich völlig lächerlich ist. Das liegt aber auch an Jans Art zu drehen, weil man nicht das Gefühl haben muss, dass an einer Szene alles perfekt sein muss, sondern man kann sich hineinstürzen und gucken, was passiert. Ich fand das auch eher lustig als besonders exzessiv. Da habe ich schon ganz andere Sachen drehen müssen, wo ich mich wirklich nackt gefühlt habe.

Eva Löbau: Ich weiß gar nicht, ob Sex das Intimste ist … Ist man dann nackt, wenn man keine Kleider an hat oder ist man nicht sogar eher nackt, wenn man etwas zugibt? Fasnacht und Sexualität, diese Energie, die im Alltag immer in andere Dinge sublimiert wird, die anders ausgelebt wird. Die künstlerische Arbeit ist ja auch Sublimierung von Sexualenergie. Auf jeden Fall geht die Fasnacht ins Kreatürliche. Heute, wo man sensibler ist gegenüber sexueller Gewalt, werden auch in der Fasnacht die Regeln sicher mehr eingehalten, aber der Ursprung ist ein gewaltvoller Ausdruck von Trieb.

Jan Bonny: Die Körperlichkeit dieses Films ist ganz ursächlich in der Fasnacht begründet. Es ist nun mal ein Rausch aus Körperlichkeit, aus Sexualität und Anbahnung, aber auch aus Gewalt. Aus Strafe ja auch in unserem Fall. Welche Funktion diese alemannische Fasnacht hat innerhalb kleiner dörflicher Gemeinschaften, das hat ja auch historische Ursachen. Und Hierarchien spielen eine Rolle. Wer ist in den Narrenräten drin, wer darf entscheiden und das alles. Da sind immer Körper eine Körperlichkeit schon angelegt, eine positive, eine negative, eine sehnsuchtsvolle, eine abwehrende, eine strafende und natürlich ein Rausch. Das überträgt sich automatisch in die Geschichte hinein und damit dann auch in die Art und Weise, wie man mit den Schauspielern arbeitet.

Hans-Jochen Wagner: Am anstrengendsten beim Dreh habe ich übrigens empfunden, den Verlockungen zu entsagen, denen man bei so einer Fasnacht in Elzach ausgesetzt ist, wenn nach Drehschluss die jüngeren und ältere Menschen kommen und sagen, komm, jetzt ziehen wir mal los, dann im richtigen Moment zu sagen, nein, ich muss jetzt leider nach Hause.

Jan Bonny: Wann hast du das gesagt?

Hans-Jochen Wagner: Ich war noch früher als Du zu Haus, weil ich die alle abgeschüttelt habe. Die haben das natürlich auch großartig gemacht, die fanden das schade, wenn man gesagt habe, ich habe jetzt Dienstschluss. Aber ich hatte ja nur Dienstschluss, weil ich wusste, ich morgen früh wieder raus.

Jan Bonny: Ich erinnere das anders …

Hans-Jochen Wagner: Ich war da zurückhaltender als andere, ich nenne da keine Namen. Aber ich fand es großartig, da zu drehen.

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